Das Krankenhaus Rudolfstiftung betreibt eine eigene Ambulanz als Anlaufstelle für beschnittene Mädchen und Frauen.

Foto: Robert Newald

Wien – "Wenn Frauen oder Mädchen zur mir kommen, hat Umyma El-Jelede den Großteil der Vorarbeit bereits erledigt", sagt die Gynäkologin Magdalena Pabinger, die in der Wiener Rudolfstiftung eine Ambulanz als Anlaufstelle für beschnittene Frauen und Mädchen, die medizinische Behandlung brauchen, leitet. Umyma El-Jelede ist im Frauengesundheitszentrum FEM Süd als Beraterin tätig.

Bei der im Kaiser-Franz-Josef-Spital angesiedelten Einrichtung für Frauengesundheit ist die Beratung von Klientinnen, die von FGM (Female Genital Mutilation, weibliche Genitalverstümmelung, Anm.) betroffen bzw. bedroht sind, einer der Schwerpunkte. Die gebürtige Sudanesin Umyma El-Jelede betreut pro Jahr bezüglich dieses Themas mehr als 100 Mädchen und Frauen, in die FGM-Ambulanz kommen jährlich mehr als 50. FGM ist auch in Österreich angekommen. Wie viele betroffene Frauen es im Land gibt, kann nur geschätzt bzw. anhand von Zahlen aus Deutschland errechnet werden. Möglicherweise sind es 6.000, rund ein Drittel von ihnen in Wien.

Verbote greifen unterschiedlich

Bei der Beschneidung von Frauen handelt es sich um eine Tradition unbekannten Ursprungs. Sie wird in 29 Ländern Afrikas sowie im Nahen Osten durchgeführt. FGM kommt jedoch auch in Asien, Australien, Brasilien und Peru vor und ist somit keiner bestimmten Religion zuzuordnen.

Regional gibt es große Unterschiede, in welchem Alter FGM bei Mädchen durchgeführt wird. Es kann von sieben Tage nach der Geburt bis zur ersten Schwangerschaft passieren. Allfällige gesetzliche Verbote greifen in unterschiedlichem Ausmaß. Für die Mädchen ist es eine traumatische Erfahrung und potenziell lebensgefährlich, da der Eingriff zu einem enormen Blutverlust führt und häufig unter hygienisch fragwürdigen Bedingungen erfolgt. Auf jeden Fall führt er zu lebenslangem Leiden: zu Entzündungen, Problemen beim Geschlechtsverkehr, schmerzhaften Blutungen, Angststörungen und vielem mehr.

"Die meisten Frauen, die zur mir kommen, stammen aus Somalia, Eritrea und Ägypten", sagt Magdalena Pabinger. "Fast alle von ihnen wurden in ihrer Kindheit beschnitten, in der Regel im Alter zwischen fünf und acht oder neun Jahren." Nach den Umständen fragt die Gynäkologin nicht: "Die Frauen sprechen nicht gern darüber. Manche haben die traumatische Erfahrung offenbar überhaupt aus ihrem Gedächtnis gelöscht."

Kontrollierte Sexualität

Das Ausmaß der Verstümmelung reicht von der Verletzung oder der Entfernung der Klitoris über die Entfernung der kleinen und eines Teils der großen Schamlippen bis zum Vernähen des Scheidenausgangs, sodass im extremsten Fall nur eine minimale Öffnung bestehen bleibt, durch die Harn und Menstruationsblut – verzögert – abfließen können. Eine operative Öffnung sei in den allermeisten Fällen möglich, sagt Pabinger. "Das ist kein komplizierter Eingriff. Das Wiederöffnen erfolgt mit einem Laser. Die Operation samt Wundversorgung dauert rund eine halbe Stunde. Die Frauen bleiben dann eine Nacht bei uns im Spital zur Beobachtung und kommen eine Woche danach zur Kontrolle."

Bis zur Operation ist es für viele Frauen ein weiter Weg. Die tradierte Vorstellung, nach der eine Beschneidung für Reinheit, Schönheit und Gesundheit steht, ist manifest, wie Umyma El-Jelede erklärt. Viele denken außerdem, dass eine Beschneidung die Gebärmutter und das Kind schütze und die Fruchtbarkeit erhöhe. "Eine nichtbeschnittene Frau wird auch als Prostituierte gesehen, sie gilt als unrein." Dahinter stehe die Kontrolle der Männer über die Sexualität der Frauen. Aus Sicht der Frauen und deren Familien sind darüber hinaus wirtschaftliche Gründe für eine FGM ausschlaggebend: Der sogenannte Brautpreis wird erhöht. Auch sie sei schon gefragt worden, ob sie eine Beschneidung durchführen könne, sagt El-Jelede, die in Libyen als Ärztin tätig war.

Seelische Probleme

Im Rahmen ihrer Arbeit berät Umyma El-Jelede im FEM Süd Frauen und Mädchen hinsichtlich Themen in Zusammenhang mit FGM: dazu gehören körperliche und seelische Probleme, die auf die Verstümmelung zurückzuführen sind, und Fragen, wie ein operatives Wiedereröffnen der Scheide durchgeführt werden kann und welche Veränderungen auf die Frau zukommen werden.

In Österreich ist FGM verboten. "Auch Wiederverschließen nach vaginalen Geburten kommt nicht infrage, das wird den Frauen und ihren Partnern schon bei der Geburtsanmeldung kommuniziert", sagt Barbara Maier, Primaria der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung am Wilhelminenspital. In dem Krankenhaus im Arbeiterbezirk Ottakring ist der Anteil der Patientinnen mit Migrationshintergrund hoch. Rund 20 beschnittene Frauen pro Jahr bringen dort ihr Baby zur Welt. Eine Geburt auf natürlichem Weg kann zur Bildung von Fisteln zwischen Geburtskanal, Blase und Enddarm führen, was unbehandelt Inkontinenz zur Folge hätte. Deshalb wird häufig ein Dammschnitt durchgeführt, erläutert Maier. Medizinische Fragen werden im Vorhinein sachlich besprochen, mit dem FEM Süd arbeitet die Abteilung zusammen. Das Wort "Genitalverstümmelung" verwendet die Medizinerin ebenso wie Pabinger aus Respekt vor der Würde der Frauen nicht.

Keine Belege für Beschneidungen

"Wenn eine beschnittene Frau ein Mädchen zur Welt bringt, melden wir das an die Kinderärzte", sagt Maier. Denn die Gefahr, dass das Mädchen seinerseits beschnitten wird, könne nicht ausgeschlossen werden.

Auch beim FEM Süd ist das ein wichtiges Thema. "Wir wissen, dass in Österreich FGM praktiziert wird, aber es gibt leider keine Belege dafür, da Ärzte sich strafbar machen würden", sagt Umyma El-Jelede. Eine größere Gefahr sei außerdem, dass Mädchen in den Schulferien in die Heimat geschickt und dort verstümmelt werden. Entgegenwirken will man dem im Rahmen der permanenten Aufklärungsarbeit in der Community sowie mit Fortbildungen in unterschiedlichen Einrichtungen. "Die Mädchen müssen wissen, dass sie ein Recht auf einen unversehrten Körper haben", betont El-Jelede.

Am 6. Februar wird mit dem internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung auf die Menschenrechtsverletzungen an Frauen aufmerksam gemacht. Der Aktionstag wurde 2004 von der First Lady von Nigeria, Stella Obasanjo, ausgerufen und von der Menschenrechtskommission der Uno zum internationalen Gedenktag erklärt. (APA, 6.2.2018