Die Option Karma hüllt alle Zeitläufe in den Nebel einer "Alles macht irgendwie Sinn-Notwendigkeit". Die Akteure dürfen durchatmen, die Rollen von Opfern und Tätern verschwimmen – zumeist zu Gunsten der Täter. Das hat bereits Heinrich Himmler erkannt. Er hat vom Holocaust als "karmische Notwendigkeit" schwadroniert, mit der die "schlechten Taten der Juden in früheren Epochen" bestraft würden. Da sind Himmlers SS und die Herren von der Wannsee-Konferenz doch gleich ein wenig aus dem Schneider.

Hitler in höheren Ebenen

Ein dreiviertel Jahrhundert später sucht der Moderator Basti im Diskussionsforum der Plattform "Jaii" eine Antwort auf die Frage, die uns allen unter den Nägeln brennt: "Kam Hitler in den Himmel ? (Diskussion zu Strafe, Karma, Hitler, Himmel…)". Und Basti ist um eine knackige Antwort nicht verlegen: "Hitler könnte gut und gern eine schon lange in höheren Ebenen wohnende Seele sein. Warum auch nicht. Der zweite Weltkrieg war eine Kollektiventscheidung. Es geschieht hier nichts ohne die Zustimmung der Mehrheit. Und Stimmenthaltungen gibt es nicht – auch eine unbewusst abgegeben Stimme ist eine Stimme."

Eine Kollektiventscheidung: Holocaust und so

Willkommen in der regenbogenfarbenen Welt der "open heart & open mind"-Community. Die deutsche Webseite "Jaii" steht für "Herzlichkeit gepaart mit einem wachen Geist" und ist "neugierig und experimentierfreudig. Nachdenklich und lebendig. Wild und lustvoll. Präsent und achtsam. Tolerant und weltoffen." Und, wir fügen hinzu: "Jaii" hat ein Gespür für charmante Vergangenheitsdiskurse und lehrt uns ein nettes Buzzword: "Kollektiventscheidung". Hier halten wir kurz inne und verlassen die fröhliche Welt der Karma-Bobos von der "Jaii"-Community und rufen uns weniger runde Bilder von einer "Kollektiventscheidung" in Erinnerung, die sich einfach aufdrängen beim Thema: Bilder von Kindern, die in einem Zug nach Auschwitz zusammengepfercht sind, zum Beispiel. Bilder von den ausgemergelten Überlebenden, zum Beispiel. Menschen an der berüchtigten Rampe, zum Beispiel. Und wir ahnen: diese Menschen waren nicht im großen Karma-Plenum, als die "Kollektiventscheidung" für einen Völkermord getroffen wurde.

Hitler: Das war kein leichter Job

Und dann lesen wir nochmal bei unserem Karma-Basti nach, der nicht locker lässt in Sachen Kollektiventscheidung: "Nunja wie gesagt: Eine Kollektiventscheidung. Was bedeutet das? Irgendwer muss den Job machen. Und Holla die Waldfee, das ist kein leichter Job. Man muss schon richtig heftig drauf sein um sowas zu verzapfen. Tja und anscheinend hat sich eine Seele dafür angeboten."

Irgendwie müssen wir Adolf Hitler dankbar sein. Der hat glatt "den Job gemacht" und "seine Seele angeboten" – und vermutlich hat der Gute unbedankt noch jede Menge mieser Karmapunkte gesammelt.

Jaii: Ein bunte Plattform mit flapsiger Holocaustdiskussion
Sreenshot: jaii.de

Hitler hat "Leiden beendet"

Nicht nur die bunte "Jaii"-Community arbeitet sich an Hitlers Opferbereitschaft ab. Der amerikanische Guru und Bestsellerautor Neal Donald Walsch versorgt uns mit versöhnlichen Zeitgeschichte-Weisheiten. In seinen Büchern führt Walsch "Gespräche mit Gott" und lässt Buddha und Co heiter und unbefangen Karma-Pudding verteilen: "Also musst Du als Erstes verstehen, dass Hitler niemand schadete. In gewissem Sinne hat er nicht Leiden zugefügt, er hat es beendet. Buddha hat gesagt: Das Leben ist Leiden. Buddha hatte recht. Aber selbst wenn ich das akzeptiere, so wusste Hitler doch nicht, dass er im Grunde Gutes tat."

Ist Hitler im Himmel oder wo treibt er sich im Jenseits herum?
Foto: AP

Die Juden: selbstgewähltes Schicksal

Der deutsche Autor Tom Hockemeyer aka Trutz Hardo erspart sich zeitraubende Gespräche mit Gott, er sitzt als "Deutschlands bekanntester Reinkarnationstherapeut" (Selbstdefinition) an der Quelle: In seinem 1996 erschienenen – und mittlerweile verbotenen – Buch mit dem sensibel gewählten Titel "Jedem das Seine" (sic!) –  der Spruch, der einst über dem Haupttor des KZ Buchenwald stand – heißt es zur Causa Holocaust salopp: "Warum mussten so viele Menschen überhaupt vergast werden? Die meisten, die vergast wurden, musste durch diesen Gewalttod noch nicht ausgeglichenes Karma abtragen. Die hatten früher andere Menschen getötet (…) Doch bedenke, nicht er [Anmerkung: Hitler] hat den Juden das Schicksal der Gaskammern zuerteilt, sondern jene haben es sich selbst ausgesucht, denn nichts geschah gegen ihren Wunsch und ihren Willen. Hitler ist nur der Vollstrecker ihres Willens!

Gaskammer mit Happy End

Diese Äußerungen haben Hockemeyer eine Verurteilung wegen Verhetzung eingebracht, gegen den Vorwurf des Antisemitismus wehrt sich der Rückführungstherapheut mit dem Hinweis, zahlreiche "in Deutschland reinkarnierte Juden" in seiner Praxis sorgsam betreut zu haben. Und Hockemeyer scheut bei seinen Rückführungen keinen Gang: "Ich begleite diese Opfer sogar in die Gaskammern und veranschauliche, was für ein Grauen sie dort erleben mussten. Aber ich zeige auch auf, wie ihre Seelen sich aus den irdischen Körpern lösten und von den Seelen ihrer verstorbenen Verwandten und Freunde empfangen und umarmt wurden ..."

"Jedem das Seine", diesmal als esoterischer "Farbroman".
Screenshot: trutzhardo.de

Anne Frank: eine Reinkarnation

Mit der Reinkarnation findet alles sein Happy End. Ende der 90er-Jahre sorgte die Schriftstellerin Barbro Karlén für Aufsehen. Die Schwedin erklärte sich so nebenbei zur Reinkarnation des von den Nazis ermordeten Mädchens Anne Frank. Mitglieder aus der Familie von Anne Frank wurden in der Folge von dem Ansinnen Karléns zu einem "Familientreffen" im Diesseits belästigt. Karlén musste sich mit Einladungen zu Esoterikveranstaltungen mit dem geschmackvollen Titel "Reinkarnation und Holocaust" begnügen.

Was wir nach diesem kleinen Rundgang durch die Welt von Karma und Reinkarnation noch immer nicht wissen: Ist Hitler jetzt im Himmel, oder dreht er von fernöstlichen Weisheiten inspiriert noch ein paar Karma-Runden auf dem Weg zur Erleuchtung? (Christian Kreil, 12.2.2018)