Bergab mit 140 km/h: Dafür ist der menschliche Körper nicht geschaffen, meinen Experten – wer es dennoch wagt, braucht starke Muskeln.

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Stefan Nehrer ist Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin der Donau-Universität Krems und Präsident der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin, die am 10. Februar in Seoul den "Sports Medicine Summit Congress" koorganisiert.

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STANDARD: Welche Rolle spielt die Sportmedizin bei den Olympischen Spielen?

Nehrer: Eine große, weil die Spitzenathleten eine sehr spezielle medizinische Betreuung brauchen. Der Großteil geschieht aber schon in der Vorbereitungszeit: Es geht darum, Überlastungen im Training zu vermeiden und Verletzungen zu kurieren, damit die Athleten möglichst schnell wieder zurück in den Spitzensport kommen. Bei den Spielen selbst übernehmen die mitgereisten Experten die Betreuung. Aber wenn etwas passiert und sich ein Athlet verletzt, dann wird das meist von den lokalen Organisatoren übernommen. Die müssen daher ein eigenes medizinisches System aufbauen, inklusive eigener Krankenstationen und MRTs.

STANDARD: Welche Sportarten sind denn besonders gefährlich?

Nehrer: Grundsätzlich gilt: Bei allem, was schnell ist, kann viel passieren, beim Abfahrtslauf beispielsweise oder beim Boardercross, wo Snowboardfahrer gleichzeitig gegeneinander antreten. Bei den Alpinbewerben kommt es immer darauf an, wie die Kurse gesteckt sind. Aber meistens bemüht man sich gerade bei den Olympischen Spielen, keine Extremsituationen heraufzubeschwören, weil viele Nationen dabei sind, die nicht Weltklasse sind. Man würde bei den Olympischen Spielen nie die Streif als Abfahrt wählen. Daher ist es auch nicht ganz so verletzungsintensiv.

STANDARD: Von welchen Verletzungen sprechen wir überhaupt?

Nehrer: Beim Skifahren sind es ganz klassisch Knie- und Kreuzbandverletzungen. Letztere treten bei Frauen zwei- bis dreimal häufiger auf, weil die Kraftentwicklung und Gelenkstellung eine andere ist. Bei anderen Sportarten, beispielsweise dem Snowboarden, kommt es eher zu Schulterverletzungen. Wobei man sagen muss: Die Nationen, die am Ende am Podest stehen, haben in der Regel wenige Verletzungen, weil die Sportler top sind. Aber bei den Olympischen Spielen gibt es, wie gesagt, eben auch Nationen, die sich zwar qualifizieren, am Ende aber nicht ganz so gut sind.

STANDARD: Für die Belastungen, denen sich Skifahrer aussetzen, ist unser Körper gar nicht gemacht, heißt es immer wieder. Stimmt das?

Nehrer: Unser Körper ist sicher nicht dafür gemacht, mit 140 km/h mit einem ganz dünnen Rennanzug einen Berg hinunterzufahren. Aber man sieht an den Athleten, wie man mit so einer Herausforderung umgeht. Haben Sie schon einmal den Oberschenkel eines Abfahrtsläufers gesehen? Diesen Kräften kann man nur standhalten, wenn man muskulär gut aufgebaut ist. Sonst kommt man auch gar nicht an die Spitze, weil es von der Geschwindigkeit und der Koordination her so herausfordernd ist.

STANDARD: Die Technik wird immer ausgefeilter, die Athleten immer schneller. Wird Sport dadurch nicht auch gefährlicher?

Nehrer: Nicht unbedingt. Beim Carvingski hat man zum Beispiel wieder zurückgerudert, die Radien sind wieder länger geworden. Die Carvingskier hatten nämlich schon einen so kurzen Kurvenradius, dass der Sportler kaum mehr reagieren konnte.

STANDARD: Die raschen Comebacks mancher Skistars nach Verletzungen machen Schlagzeilen. Kommen danach oft Hobbysportler mit falschen Erwartungen zu Ihnen?

Nehrer: Das geschieht immer wieder. Aber Topathleten machen eine forcierte Rehabilitation, sie haben eine andere Motivation und ein hohes Eigeninteresse, bald wieder auf den Skiern zu stehen. Auch die Athleten erwarten immer, nach einer Kreuzband-OP innerhalb von sechs Monaten wieder auf den Skiern stehen zu können. Realistischer sind neun bis zwölf Monate, wie man auch an Skistars wie Lindsey Vonn gesehen hat.

STANDARD: In Österreich lassen sich längst nicht mehr nur Spitzensportler sportmedizinisch beraten.

Nehrer: Das stimmt. Es gibt immer mehr interessierte Hobbysportler, die ihre Leistung optimieren wollen und daher zum Sportarzt gehen. Wenn man ein gewisses Niveau erreichen will, muss man einen systematischen Trainingsprozess durchmachen. Mittlerweile gibt es in fast jeder Stadt Marathonläufe oder Triathlons – und dort ist das Leistungsniveau stark gestiegen. Wenn man da gewinnen will, dann muss man fast ein Spitzensportler sein.

STANDARD: Die Donau-Universität Krems bietet ab April einen Universitätslehrgang für Sportmedizin an, der auch eine wissenschaftliche Ausbildung beinhaltet. Zu welchen Themen wird in Krems geforscht?

Nehrer: Wir beschäftigen uns beispielsweise mit der Knorpelforschung. Das ist ein schwieriges Gewebe, weil es von selbst nicht heilt. Knorpelschäden sind aber eine sehr relevante Verletzung, auch bei jungen Sportlern. Zur Behandlung können körpereigene Knorpelzellen gezüchtet und dann transplantiert werden. Das funktioniert heute schon sehr gut. Aber die Therapie geht auch immer mehr in Richtung Regeneration: Man versucht also nicht mehr nur, das Kreuzband zu reparieren, indem man die Sehne ersetzt, sondern man will dem Kreuzband dabei helfen, zu heilen, etwa durch Eigenblutpräparate, genannt autologes konditioniertes Plasma, oder indem man entsprechende Biomaterialien findet, in die das Kreuzband hineinwachsen kann. Wir untersuchen verschiedene Wachstumsfaktoren und befassen uns besonders mit Zellzüchtung.

STANDARD: Damit es künftig mit dem Comeback der Skistars noch schneller klappt?

Nehrer: Richtig. Ein großes Thema sind auch Muskelverletzungen, weil die Heilung oft langwierig ist. Diese zu verkürzen und die Athleten rascher wieder zurückzubringen, ist das Ziel. (Franziska Zoidl, 8.2.2018)