Zwölf Episoden, eine Schauspielerin: Julian Rosefeldts "Manifesto" durchwandert die Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts.

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Wien – Wer ein Kunstmanifest schreibt, ist zwangsläufig im Kampf. Denn das Manifest verlangt, dass es nur eine Wahrheit geben soll, und trotzdem gibt es viele. Die jeweiligen Definitionen dulden keinen Widerspruch: Kunst sollte dieses und eben nichts anderes sein. Kunst ist, Kunst soll, Kunst wird – und als Grundrauschen unter all dem die Sebstberauschtheit des Autoren, auch dann noch, wenn sie den Absolutheitsanspruch, den die Textart Manifest traditionell mit sich bringt, ironisiert.

"Kunst erfordert Wahrheit, nicht Wahrhaftigkeit", heißt es in einem der über fünfzig Manifeste, die Julian Rosefeldt in Manifesto von Cate Blanchett zitieren lässt. Der Essayfilm basiert auf einer Videoinstallation, die der Berliner Künstler 2015 fertiggestellt hat. Die funktioniert auch in linearer Form ausgesprochen gut: als Textcollage, die in einem Atemzug von der Hybris der Manifestautoren wie auch von der Schönheit der Kunst erzählt und so einen befreiten Blick auf sie ermöglicht.

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Ein unfilmisches Werk ist Manifesto bei aller Textlastigkeit also nicht geworden. Die zwölf Räume und Szenerien, in denen hier rezitiert, geschimpft und, in einem Fall, gebetet wird, sind wunderschön ins Bild gesetzt. Das Zentrum aber bilden Cate Blanchett und ihre enorme Wandlungsfähigkeit. Blanchett, manchmal an der Grenze zum Overacting, tritt unter anderem als Penner, als Theatermacherin, als Börsenmaklerin, als tätowierte Punkerin und als spießig wirkende Mutter auf.

Szenerie konterkariert das Gesprochene

Figur und Szenerie konterkarieren das Gesprochene, dann entsteht Komik, etwa wenn die Mutter am Esstisch nicht aufhört, ihrer zunehmend gelangweilten Familie Claes Oldenburgs vergleichsweise zärtliches I am for an Art aus dem Jahr 1961 vorzutragen. Oder der Text wird durch das Bild verstärkt, wenn Blanchett als Börsenmaklerin das Loblied des Futurismus singt: "Der Schmerz eines Menschen ist für uns genauso interessant wie der einer Glühbirne." Da verfährt Rosefeldt bewusst so wenig subtil wie die Autoren der zitierten Texte. Unplausibel ist die Verknüpfung nun allerdings auch nicht.

Obwohl in Manifesto Blanchett als Medium für sehr unterschiedliche künstlerische Traditionen und Haltungen fungiert, entstehen in dieser Bündelung auch Verbindungen. Weniger als kunsthistorische Korrespondenzen, dazu bleibt das Material auch zu unausgewiesen. Aber man erkennt den funktionalen Charakter dieser Texte, die so tun, als ginge es ihnen ausschließlich ums Ganze. Manifesto ist ein Filmexperiment, großes Schaupielerinnenkino – und ein Stück Kunstsoziologie mit der Kamera.

Durchschlagende Positionen

Nachdem einen die fast durchweg großspurigen Sätze gut eineinhalb Stunden weichgeklopft haben, kann man auf die Idee kommen, dass der Umkehrschluss jeweils genauso plausibel wäre. "Kunst erfordert Wahrhaftigkeit, nicht Wahrheit" zum Beispiel. Denn egal, worum es "der Kunst" angeblich auch immer gehen mag: Dem Kunstmanifest geht es um Reviermarkierung, Identifizierung des Kontrahenten im eigenen Feld und die möglichst durchschlagende Positionierung der eigenen Idee. Rosefeldts filmischer Essay ist ein formal brillantes und zugleich quälendes Fegefeuer der Eitelkeiten. (Benjamin Moldenhauer, 8.2.2018)