Von einzelnen Krankheitsformen der Epilepsie sind jeweils nur wenige Menschen betroffen. Daher ist jeder Einzelfall eine große diagnostische und therapeutische Herausforderung.

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Epilepsie zählt weltweit zu den häufigsten schweren neurologischen Erkrankungen. Etwa zehn Prozent aller Menschen haben eine erhöhte Krampfbereitschaft, vier bis fünf Prozent der Bevölkerung erleiden einmal oder wenige Male in ihrem Leben epileptische Anfälle. Bei rund 0,5 bis 1 Prozent schließlich treten epileptische Anfälle wiederholt auf.

"In Österreich gehen wir von bis zu 80.000 Betroffenen aus, zu denen jährlich etwa 3.000 Neuerkrankungen dazukommen", so Eugen Trinka, Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie in Salzburg. Bei richtiger Diagnostik und Therapie, kann bei bis zu zwei Drittel der Patienten eine Anfallsfreiheit erreicht werden, so der Experte.

Zahlreiche Vorurteile

Am Internationalen Tag der Epilepsie, der jährlich am 12. Februar begangen wird, werben Experten und Fachgesellschaften für mehr Bewusstsein. In diesem Jahr zentrales Anliegen: Betroffene sollen ein möglichst normales Leben führen können – und dies bereits in der Kindheit.

In Österreich gibt es jährlich etwa 900 Schulanfänger und insgesamt etwa 5.000 bis 6.000 Schulkinder mit Epilepsie. Für sie ist es besonders wichtig, wie die Umwelt mit ihrer Erkrankung umgeht: "Die Schule hat großen Einfluss darauf, wie gut es einem Kind gelingt, mit der Krankheit zurechtzukommen, im Klassenverband wie auch im späteren Berufs- und Privatleben", so Edda Haberlandt, Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Krankenhaus Dornbirn. "Hier ist immer noch Aufklärungsarbeit notwendig, denn leider bestehen zur Epilepsie nach wie vor zahlreiche Vorurteile und Irrtümer."

In der Schule ausgeschlossen

Immer wieder berichten Eltern beispielsweise, dass Kinder mit Epilepsie – auch wenn sie gut behandelt sind – nicht an organisierten Freizeitaktivitäten teilnehmen dürfen oder zum Teil sogar aus dem Regelschulbetrieb ausgeschlossen werden.

Hier wurde kürzlich ein wichtiger Schritt zur Verbesserung der Situation gesetzt: Bisher stellte in der Schule die Verabreichung von Notfallmedikamenten im Bedarfsfall für Lehrer eine rechtlich potenziell heikle Situation dar, denn bei auftretenden Problemen wären sie persönlich zur Verantwortung gezogen worden. Seit einer Änderung des Amtshaftungsgesetzes im Vorjahr gilt das nicht mehr. Seither haftet im Fall des Falles die Republik Österreich.

Um alle, die nun dank der Gesetzesänderung besser helfen können, zu unterstützen, hat die Österreichische Gesellschaft für Epileptologie (ÖGfE) eine Informationskampagne in Schulen gestartet. Gemeinsam mit Schulärzten sollen Lehrer unter anderem vermehrt darüber aufgeklärt werden, dass nicht jeder Anfall einen Notfall bedeutet, wie Betroffene vor Verletzungen geschützt werden können und wann Notfallmedikamente verabreicht werden müssen.

Hoffnung in Cannabis

In den letzten zwei Jahrzehnten wurden zahlreiche Medikamente eingeführt, die für viele Betroffene deutliche Fortschritte gebracht haben, berichtet die Österreichische Gesellschaft für Neurologie. Dies gilt nicht zuletzt für speziell für Jugendliche zugelassen Wirkstoffe wie Brivaracetam oder Lacosamid. Für zahlreiche weitere Substanzen laufen aktuell weltweit Studien. Besonderes Interesse gilt dabei der Erforschung von Neurosteroiden wie Allopregnanolon oder Cannabidiol. Vor allem der nicht psychotrope Bestandteil der Cannabispflanze hat in einigen Untersuchungen bei Kindern mit seltenen Epilepsieformen vielversprechende Ergebnisse geliefert.

Bleibt die medikamentöse Therapie erfolglos oder ist mit zu hohen Nebenwirkungen verbunden, ist die ketogene Diät – vor allem für Kindern – eine inzwischen immer besser untersuchte Therapieoption. Dabei machen sich die Behandler einen körpereigenen Vorgang zunutze, dessen positive Wirkung gegen epileptische Anfälle zufällig erkannt wurde. Im Hungerzustand verbrennt der Körper Fett und setzt dabei sogenannte Ketonkörper frei, die aus bisher unbekannten Gründen Anfälle vermeiden helfen. Bei der ketogenen Diät wird dem Körper der Hungerzustand durch einen sehr hohen Fettgehalt – bei gleichzeitiger Reduktion der Kohlehydrate – in der Nahrung vorgegaukelt. "Damit können wir bei bestimmten Epilepsieformen bei Kindern eine deutliche Besserung und gelegentlich sogar Anfallsfreiheit erreichen", erklärt Haberlandt.

Neurochirurgie als Option

Bei bestimmten Formen der Erkrankung sind neurochirurgische Eingriffe eine wichtige Option. Dank der Fortschritte in der bildgebenden Diagnostik und den chirurgischen Techniken, können immer mehr Patienten mit immer besseren Langzeiteffekten operiert werden. Voraussetzung für dafür ist zum einen, dass die Anfallsursprungszone in keinem der sensiblen Gehirnteile liegt, zum anderen müssen diese winzigen Läsionen mithilfe von Neuro-Bildgebung erst entdeckt werden.

Wie eine internationale Studie, an der auch Trinka beteiligt war, zeigt, können mittels modernster Elektroenzephalografie und hochauflösender Kernspintomografie in 86 Prozent der Fälle zehn typische Hirnschädigungen identifiziert werden. Liegen diese klar abgrenzbar in einem zugänglichen Bereich der Großhirnrinde, ist die Operation eine sichere und sehr effiziente Option: Bis zu 80 Prozent der Kinder bleiben nach einem solchen Eingriff anfallsfrei. "Diagnostik und Behandlung solcher Fälle sollten unbedingt in einem spezialisierten Zentrum mit ausgewiesener Expertise erfolgen", betont Trinka.

Zentralisierte Zusammenarbeit

Wie bei anderen neurologischen Erkrankungen gibt es auch bei der Epilepsie seltene und sehr seltene genetische Ursachen. Auch wenn diese in Summe einen großen Teil der Erkrankungen ausmachen, sind von den einzelnen Krankheitsformen jeweils nur sehr wenige Menschen betroffen. Trinka: "Durch die Fortschritte in der Genetik entstehen auch neue Herausforderungen in der Versorgungslage. Weil wir das immer besser verstehen, werden auch immer mehr genetische Abklärungen für solche Fälle nötig."

Aufgrund der Seltenheit stellt jeder Einzelfall eine große diagnostische und therapeutische Herausforderung dar. Weil einzelnen Häuser die Ressourcen für eine Expertise für die Vielfalt seltener Epilepsien fehlen, fordern Experten eine Bündelung der Kräfte: "Für die Behandlung und weitere Erforschung dieser Erkrankungen braucht es eine Zentralisierung des Know-hows und eine auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit", so Trinka. "Hier gibt es inzwischen eine Reihe EU-weiter Initiativen, in denen wir uns austauschen können".

So konnten etwa allein im vergangenen Jahr 24 europäische Referenznetzwerke inauguriert werden, die insgesamt 300 Krankenhäuser mit rund 900 Kliniken und Abteilungen umfassen. Darüber hinaus schlossen sich 27 europäische Zentren für seltene und komplexe Epilepsien im EpiCARE-Netzwerk zusammen. (red, 12.2.2018)