Die ISO-Norm 11088 legt fest, wie eine Skibindung eingestellt werden soll, sie unterscheidet allerdings nicht zwischen Mann und Frau. Dabei kann die Bindungsstärke bei Frauen um etwa 15 Prozent vermindert werden.

Foto: istock

Wenn im Winter die Rettung auf die Skipiste gerufen wird, dann sind häufig Knieverletzungen wie ein Kreuzbandriss der Grund. Moderne Skibindungen vermeiden zwar Knochenbrüche. Dafür ist nun das Knie gefährdeter – auf diesen Teil des Beins entfallen rund ein Drittel aller Verletzungen.

"Frauen sind doppelt so oft von einer Knieverletzung betroffen wie Männer", sagt Gerhard Ruedl von der Universität Innsbruck. Der Sportwissenschafter hat gemeinsam mit dem Sportwissenschaftsprofessor Martin Burtscher Ende 2017 im British Journal of Sports Medicine einen Diskussionsbeitrag zu diesem Thema veröffentlicht. Demnach sind bei etwa 60 bis 80 Prozent der Knieverletzungen beim Freizeitskifahren – eigenen Angaben der Skifahrer zufolge – die Bindungen beim Sturz nicht aufgegangen.

"Dass die Bindung sich nicht löste, trat bei Frauen um 20 Prozent häufiger auf als bei Männern, obwohl Frauen sogar öfter angaben, dass die Skibindung in der aktuellen Wintersaison im Fachhandel eingestellt wurde", so Ruedl. Selbstauslösetests unverletzter Skifahrer kamen zu ähnlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Ruedl ist sich sicher: "Die für Männer und Frauen im Prinzip gleiche Einstellung der Skibindung ist möglicherweise ein Faktor, der schuld daran sein könnte, dass viel mehr Frauen als Männer beim Skifahren Knieverletzungen erleiden."

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Die Bindung muss so eingestellt sein, dass der Skischuh in der Bindung gut festsitzt. Dennoch muss sie das Bein bei bestimmten Sturzarten freigeben. Die ISO-Norm 11088 legt fest, wie eine Skibindung eingestellt werden soll, und berücksichtigt dabei Körpergewicht, Größe, Alter, Sohlenlänge des Skistiefels und den Skifahrertyp – also Geschwindigkeit, Stil und bevorzugtes Gelände. Diese Größen bestimmen den sogenannten Z-Wert. Er gibt die Kraft an, bei der die Bindung aufgehen soll, um Verletzungen zu vermeiden.

Die Norm unterscheidet allerdings nicht zwischen Mann und Frau. Dabei gibt es mehrere geschlechtsspezifische Unterschiede, die sich darauf auswirken, wie gut eine Skibindung beim Sturz aufgeht. Frauen haben durchschnittlich eine geringere Muskelkraft und weisen deshalb weniger muskulären Schutz des Knies auf. "Sie haben auch häufiger als Männer eine X-Bein-Stellung, die die Kniestabilität zusätzlich vermindert", sagt Ruedl.

In einer US-Studie waren Verletzungen des Kreuzbandes zudem übermäßig häufig kurz vor dem Eisprung aufgetreten. "Das Kreuzband weist Rezeptoren für das weibliche Sexualhormon Östrogen auf. Vor dem Eisprung kommt es zum Östrogenanstieg. Möglicherweise wird dadurch die Zugfestigkeit des Kreuzbandes vermindert und eine Kreuzbandverletzung begünstigt", so Ruedl.

Falsche Selbsteinschätzung

Die aktuell gültige ISO-Norm lasse etwas Spielraum, um bei Frauen die Einstellung der Skibindung zu verbessern, so der Sportwissenschafter. Die Bindungsstärke kann etwa um bis zu 15 Prozent vermindert werden. Frauenspezifische Aspekte bleiben in Sportgeschäften und im Direktverleih vor Ort am Skilift jedoch zumeist unberücksichtigt. "Das Problem ist, dass die meisten Skifahrerinnen nicht wissen, dass es die Möglichkeit gibt, die Bindung weniger hart einzustellen als vom Sportgeschäft vorgeschlagen", sagt Veit Senner, Professor für Sportgeräte und Sportmaterialien an der TU München und Chairman des ISO 11088 Normenausschusses. Ein Problem sei aber auch, dass das eigene Fahrvermögen oftmals falsch angegeben wird.

Welche Art von Knieverletzungen treten bei Skiunfällen generell auf? Am häufigsten kommt es zu kleinen Mikroverletzungen im Bereich des Meniskus. Die auftretende Knieschwellung ist zwar nach ein paar Tagen wieder weg, "die Mikroschäden summieren sich aber im Laufe der Zeit, und irgendwann kommt der Einriss und die Arthrose", so Peter Biberthaler, Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie der TU München.

"Sind äußere Meniskusanteile gerissen, werden sie genäht. Implantate sind nach wie vor nicht ausgereift. Deshalb verwenden wir sie nur, wenn gar kein Meniskus mehr vorhanden ist", sagt Biberthaler. Sind die schlecht durchbluteten zentralen Meniskusanteile betroffen, werden sie entfernt. "Es soll aber unbedingt so viel Meniskus erhalten werden wie nur möglich, um das Risiko einer Arthrose zu minimieren."

Kreuz- und Innenband

Das beim Skifahren stark belastete vordere Kreuzband kann reißen, wenn der Unterschenkel nach hinten außen wegdreht. "Die Therapie hängt von der Instabilität im Knie, dem Alter und dem sportlichen Anspruch sowie der Muskulatur ab. Bei hohem sportlichem Anspruch, aber zugleich deutlicher Instabilität ist eine Operation angebracht", so der Münchner Mediziner. Dann wird beispielsweise ein Sehnentransplantat aus dem Oberschenkel an der Abrissstelle eingesetzt.

Eine weitere mögliche Knieverletzung ist der Riss des Innenbands. Verursacht er eine signifikante Instabilität des Knies, dann wird das Innenband wieder zusammengenäht und durch zusätzliches, neben dem Innenband verlaufendes Fadenmaterial gestützt.

Sollten im ungünstigsten Fall beim Verdrehen des Beins vorderes Kreuzband, Innenband und Meniskus gleichzeitig verletzt werden ("unhappy triad"), ist die im Knie entstehende Instabilität relativ groß. Eine Operation ist unvermeidbar. "Ziel ist es, die anatomische Führung des Kniegelenks so gut wie möglich zu rekonstruieren, um Fehlbelastungen und als Spätfolge Arthrose zu verhindern", sagt Biberthaler.

Das gilt auch im Fall eines Bruchs des Schienbeinkopfes. Der in Position gebrachte Knochen wird mit Schrauben und Platten fixiert. "Wichtig ist, dass die Fraktur den individuellen Gegebenheiten entsprechend versorgt wird. Dann kann man mit modernen Operationstechniken gute Ergebnisse erzielen", so der Unfallchirurg. Allerdings bleibt bei jeder Verletzung ein Unsicherheitsfaktor. Biberthaler: "Wir sehen nach dem Unfall nicht, welche Folgen der Schlag aufs Knie für den Knorpel hat, es besteht das Risiko, dass es dort langfristig zu ungünstigen Strukturveränderungen kommt." (Gerlinde Felix, 12.2.2018)