Gediegener Kreationist: Adnan Oktar hat nun Sendepause.

Foto: Harun Yahya International

Ankara/Athen – In seiner Branche stand er nie hoch im Ansehen. "Tutti kurutti" nannte ein Predigerkollege schon einmal die bizarre Mischung von religiösem Fernsehtalk und Bauchtanzeinlagen. "Kurut" sind in der türkischen Küche die getrockneten, salzigen Joghurtkörner. Diese Woche aber hat es Adnan Oktar alias Harun Yahya tatsächlich erwischt: Fünf Sendungen Zwangspause und eine hohe, noch nicht bezifferte Geldstrafe verhängte die türkische Rundfunkanstalt. Hunderte von Fernsehzuschauern sollen sich über Oktar beschwert haben.

Mehr ins Gewicht fiel wohl, dass der neue Leiter der staatlichen Religionsbehörde in der Türkei, Ali Erbaş, öffentlich sowohl die spirituelle Mission wie auch den mentalen Zustand des 62-Jährigen anzweifelte. Strafanzeigen und Gerüchte über Drogen und Sexorgien hatten immer schon das Wirken des Sektenführers begleitet.

Post-Gülen-Ära

Eines der Verfahren in den vergangenen Wochen hatte ein in Wien lebender Türke angestrengt, der seine zwei Töchter im mitunter dürftig bekleideten, aber dafür stark geschminkten Studiopublikum des TV-Predigers entdeckte. "Kedi" nennt Adnan Oktar seine jungen Damen: "Kätzchen".

Oktars Maßregelung fügt sich allerdings in ein größeres Bild in der Türkei ein. Die politische Führung in Ankara will die schier endlos erscheinende Zahl der islamistischen Gruppen, Sekten und Stiftungen im Land neu austarieren.

Nach dem spektakulären Bruch mit der einst verbündeten, mittlerweile zur Terrororganisation erklärten Bewegung des Predigers Fethullah Gülen hält die konservativ-islamische Regierung Ausschau nach neuen potenziellen Feinden wie auch Partnern im religiösen Lager.

Bald 150.000 Staatsbedienstete sind seit dem Putsch und der Verhängung des Ausnahmezustands entlassen worden; der Großteil, weil er im Verdacht steht, dem Gülen-Netzwerk anzugehören. Die "islamische Flanke" will die regierende Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) von Staatschef Tayyip Erdoğan nicht mehr offen lassen. Auch die Erfahrung mit der Terrormiliz Islamischer Staat, die längere Zeit ihre Mitglieder in den türkischen Städten rekrutieren konnte und deren überlebende Kämpfer nun aus Syrien zurückkehren, spielt hier eine Rolle.

Adnan Oktar und sein nächtlicher Koran-Talk im weißen Seidenanzug nehmen sich daran gemessen harmlos aus. Oktar war für das konservativ-islamische Establishment in der Türkei lange Zeit ganz nützlich. Schließlich ist er einer der bekanntesten Vertreter des Kreationismus in der muslimischen Welt, der predigt, was auch das türkische Bildungsministerium für richtig hält. Mit Beginn dieses Schuljahres ist die Evolutionstheorie aus einem Teil der Unterrichtsbücher herausgenommen worden.

Maulkorb für linken Prediger

Ihsan Eliaçik wiederum, ein politisch links stehender Theologe, der von "tutti kurutti" sprach, ist in Erdoğans Türkei auch nicht mehr gut gelitten. Im Herbst vergangenen Jahres war Eliaçik der Zutritt zu einer Buchmesse in der zentralanatolischen Großstadt Kayseri verwehrt worden, wo er sprechen wollte. Es galt als weiteres Zeichen für die schwindende Meinungsfreiheit in der Türkei. Ein Islamist, der ständig Reichtum, Korruption und Moral thematisiert, ist für die politische Führung und die um sie kreisenden Geschäftswelt bedrohlich.

Kritik an der Militärintervention der Türkei in der syrischen Provinz Afrin hat dafür offenbar den Ausschlag für die Schließung der Furkan-Stiftung gegeben. Ihr Gründer Alparslan Kuytul und ein Dutzend seiner Gefolgsleute sind am Sitz der Stiftung in der Provinz Adana diese Woche verhaftet worden.

Rückkehr der Nakşibendi

Der Islamistengruppe, die landesweit Vertretungen hat, wirft die Regierung nun auch vor, den Putsch im Sommer 2016 unterstützt zu haben. Andere religiöse Führer in der offiziell weiterhin säkularen Türkei positionieren sich günstiger. Ahmet Hoca etwa, der "Lehrer Ahmet", ein verschroben wirkender Prediger aus Istanbul, der den Zusatz "Cübbeli" trägt – "mit dem Talar" – und sich ähnlich wie Adnan Oktar auch einmal mit Prostitutionsvorwürfen plagen musste, liegt bei Afrin ganz auf Linie. "Unseren zweiten Unabhängigkeitskrieg" nennt Ahmet Cübbeli den Militäreinsatz im Nachbarland.

Cübbeli ist ein sehr medialer Vertreter der Nakşibendi, des großen, konservativ-islamischen Ordens in der Türkei. Diese Sufi-Gruppe musste lange gegenüber den Gülenisten zurückstecken. Jetzt aber, so glauben Kenner der Szene, schmiedet die Regierung ein neues Bündnis mit den Nakşibendi und öffnet ihnen den Weg in Ministerien und Unis. (Markus Bernath, 10.2.2018)