Johanna Mikl-Leitner, dritte Landeshauptfrau in Österreich.

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Grete Rehor, Österreichs erstes weibliches Regierungsmitglied.

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Angela Merkel, die erste Bundeskanzlerin Deutschlands.

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Margaret Thatcher, erste britische Premierministerin.

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Theresa May, Großbritanniens zweite Premierministerin.

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Man kann nach Berlin oder St. Pölten schauen, nach London linsen oder in die Vergangenheit blicken – Angela Merkel, Johanna Mikl-Leitner, Theresa May, Margaret Thatcher, die erste österreichische Ministerin, Landeshauptfrau sowie Präsidentschaftskandidatin einer Großpartei, die meisten politischen Pionierinnen und viele erfolgreiche Spitzenpolitikerinnen, sie alle teilen eine in diesem Zusammenhang kuriose Zuschreibung: Sie sind konservativ.

"Es ist ein Phänomen, weil so vieles dagegen spricht", sagt Birgit Sauer, Politologin an der Universität Wien. "Schließlich sind es die Sozialdemokraten, die seit Jahrzehnten Frauenpolitik im Programm haben und propagieren." Doch warum sind Frauen in politischen Spitzenpositionen bis heute so selten? Und warum gelingt ausgerechnet bürgerlichen Frauen häufiger der Durchbruch an die Spitze? Sechs Erklärungsversuche.

1. Die "installierte" Frau in Männerclans

Politik ist auch heute noch oftmals Familiensache: Das gilt zum Beispiel für die Gandhis in Indien, die Bushs und Clintons in den USA oder die Le Pens in Frankreich. Da stellt die Inthronisierung von Frauen häufig allein schon deshalb kein Problem dar, da sie mangels Alternative die zwingende Nachfolgerin sind. "Auch konservative Parteien sind dynastisch organisiert", sagt Sauer. Wobei sich dynastisch hier nicht auf Blutsverwandtschaft bezieht, sondern auf engste Verbindungen in Form von Bünden, Clans oder auch Freundschaften. "Frauen werden dann von einem alten Herrn als seine loyale Nachfolgerin installiert, weil es innerhalb der Struktur Sinn macht."

Tatsächlich wird kaum eine erfolgreiche Politikerin ohne Hinweis auf ihren politischen Ziehvater beschrieben: Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war "Helmut Kohls Mädchen", Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner gilt noch immer als die von Erwin Pröll aufgebaute Wunschkandidatin.

2. Linke sind ohnehin keine "Männerparteien"

Es ist ein vielfach belegtes Faktum: Weibliche Spitzenkandidaten sprechen Frauen eher an als Männer. Ist die eigene Wählerschaft also tendenziell männlich und möchte sich eine Partei verbreitern, kann eine Frau an der Spitze hilfreich sein. "Die Sozialdemokraten leiden aber ohnehin nicht an dem Bild, sie seien eine Männerpartei", sagt Sauer. "Seit den Siebzigerjahren setzen sich SPÖ und SPD für berufstätige Frauen ein." Sprich das Image als Partei, die feministische Anliegen vertritt, hat sich längst verfestigt. Frauen zusätzlich mit einer Spitzenkandidatin zu umwerben haben linke Parteien zumindest aus dieser strategischen Überlegung schlicht nicht nötig.

3. Ein freundliches Gesicht

Es gibt aber noch weitere Gründe, warum Parteien mit Spitzenpolitikerinnen neue Wählergruppen überzeugen können – zwei davon machen sich vor allem sehr rechte und rechtspopulistische Gruppierungen zunutze: Erstens wird Frauen zugeschrieben, dass sie zugänglicher seien – in Zeiten, in denen viele Menschen das Gefühl haben, die Politik entferne sich von ihnen, ein nützliches Klischee. Zweitens gelten Spitzenkandidatinnen als strategischer Vorteil, um rechte Positionen in der Bevölkerung attraktiver zu machen.

Steht eine Frau an der Spitze einer Partei, dann wirke diese "immer sofort weniger hart", sagt der deutsche Kommunikationsexperte Lutz Meyer, der Angela Merkel beraten hat. Wer mit einer Partei sympathisiere, sich aber nicht traue, sich zu dieser Sympathie zu bekennen, tue sich leichter damit, wenn eine Frau ihr vorsitze, sagt Meyer. Und: "Wenn eine Frau sehr harte Botschaften formuliert, dann sind sie am Ende doch weicher als bei einem Mann." Marine Le Pen etwa sollte den französischen Front National vom rechtsextremen und antisemitischen Rand wegbringen – und schaffte es in die Stichwahl der Präsidentschaftswahl. Auch in der deutschen AfD haben Frauen Führungspositionen inne: Alice Weidel, Frauke Petry und Beatrix von Storch kam die Rolle zu, antimuslimische Rhetorik als feministische Position zu präsentieren.

4. Sozialdemokraten bedienen Männerbünde

In sozialdemokratischen Parteien sind die Rekrutierungsmechanismen nicht so hierarchisch wie bei den Konservativen. Es gibt seltener einen einzelnen mächtigen Mann, der seinen Nachfolger wählt. "Sozialdemokraten besetzen ihre Spitzenposten demokratischer, gleichzeitig sind sie aber vom Proporz innerhalb der eigenen Lager geprägt", sagt Sauer. Die Politikwissenschafterin denkt hier etwa an die Gewerkschaften – "Männerbünde", wie sie sagt. "Wenn schlussendlich alle Strukturen bedient werden müssen, kommen auch wieder häufiger Männer zum Zug." Im Gegensatz zu konservativen Parteien fehle das "Backing" durch einen Förderer.

5. Die politischen "Trümmerfrauen"

Es sind oft Krisensituationen, in denen Frauen zum Zug kommen. In Großbritannien muss Theresa May den Brexit-Scherbenhaufen aufkehren, den ihr ihre männliche Kollegen hinterlassen haben – und das, obwohl sie selbst nie zum EU-Ausstieg tendierte. Vor der Abstimmung noch lautstark polternde Brexit-Befürworter wie ihr Tories-Kollege Boris Johnson oder die Brexit-Speerspitze Nigel Farage verstummten nach dem Votum. Auch Mays Vorvorvorvorvorgängerin Margaret Thatcher gelang der Vorstoß an die Spitze erst nach einer schweren Niederlage ihrer Partei bei den Wahlen 1974. Unter ähnlichen Vorzeichen verlief auch Angela Merkels Start in Deutschland: Ihr kam 1999 die Aufgabe zu, als Generalsekretärin die CDU nach dem aufgedeckten Skandal über die illegale Spendenpraxis wieder aufzurichten und in der Partei nach 25 Jahren unter dem Vorsitzenden Helmut Kohl einen Transformationsprozess einzuleiten.

Weil Frauen in Spitzenpositionen seltener sind, sind sie auch nicht so oft in politische Krisen verwickelt – in diesem Fall lässt sich somit leichter auf eine unbescholtene Frau zurückgreifen. In Deutschland war dies der Grund, warum Merkel an die Reihe kam und nicht der "ewige Kronprinz" Wolfgang Schäuble, der selbst in die Spendenaffäre verwickelt war. Wobei "Krise" auch bedeuten kann, dass ein Politiker nur temporär eine vertraute Person an den Thron lässt: Dilma Rousseff, eine Linke und Brasiliens erste Präsidentin, kam so an die Macht, da Lula da Silva nach zwei Amtszeiten eine Pause einlegen musste.

6. Die Quotenfrauen

Zwar sind sich in Theorie und Sonntagsreden zumindest die meisten Parteien einig, dass sie zu wenige Frauen in ihren Reihen haben, dennoch verläuft der Marsch der Frauen in politische Institutionen im Schneckentempo. Die Politologin Sieglinde Rosenberger liefert dafür im Weißbuch Frauen. Schwarzbuch Männer der Journalistinnen Sibylle Hamann und Eva Linsinger eine strukturelle Erklärung: "Der Aufbau des politischen Systems ist historisch an männliche Bedingungen und Interessen ausgerichtet, Frauen waren in diesem System ursprünglich nicht vorgesehen." Frauen seien immer nur dazugekommen und hätten sich einfügen müssen. Konservative Parteien hatten stets größere Schwierigkeiten mit Quoten für Frauen als linke. Schaffen es Frauen dennoch bis an die Spitze, legitimiert das oftmals erst recht deren Haltung und diene als Beleg dafür, dass Quoten oder eine systematische Gesellschaftsveränderung nicht notwendig seien.

"Konservative Feministinnen"

Je weiter rechts vom Konservatismus Ideologien stehen, desto eher sehen sie für Frauen zwar primär die Rolle als Hausfrau und Mutter vor, in der Praxis aber waren einzelne Protagonistinnen schon immer politisch und kulturell aktiv, schreibt Cordelia Heß, Historikerin an der Universität Göteborg und Mitglied im Forschungsnetzwerk Frauen und Rechtsextremismus, in einem Beitrag für die Zeit. Sie sehen sich meist als "konservative Feministinnen" oder lehnen den Begriff Feminismus völlig ab. Aber alle, so Heß, "sehen eine Form von staatlich unterstützter Gleichstellungspolitik als die wahre Bedrohung einer freien Lebensgestaltung von Frauen und Männern".

Stoßen Frauen in die Regierung dazu, dann werden ihnen häufig Ämter am Rande der Macht zugestanden. Sie besetzen neugeschaffene Ressorts oder solche, bei denen sie "die Kreise der Männer nicht stören", wie es Hamann und Linsinger formulieren: Bildung, Soziales, Frauen, Jugend, Familie. Sehr sehr langsam stoßen Frauen in Männerdomänen vor. In Asien sah man bereits einige Verteidigungsministerinnen kommen und gehen, in Europa war Finnland Vorreiter. 2015 machte ein unübliches Foto die Runde: Als die Verteidigungsminister und -ministerinnen Europas zusammenkamen, saßen dort erstmals vier Frauen: die Norwegerin Ine Marie Eriksen Soreide, die Niederländerin Jeanine Hennis-Plasschaert, die Italienerin Roberta Pinotti und die Deutsche Ursula von der Leyen. (Anna Giulia Fink, Noura Maan und Katharina Mittelstaedt, 10.2.2018)