Vor dem Scala-Theater hatte das Stück mit Christian Kainradl und Christina Saginth bereits im Stadttheater Mödling Premiere.

Foto: Bettina Frenzel

Wien – Schon beim Einlass wird in der Bahnhofsstation gewartet. Dass Züge Verspätung haben, ist hier ganz normal. Man hat sogar Verständnis dafür, dass man sich nur widerwillig hierhin begibt, wo nicht einmal der Express hält. Für die Bewohner des kleinen Ortes in Ödön von Horváths Der jüngste Tag hat diese Verspätung keine Konsequenzen. Im Gegenteil, so kann man sich beim Plausch mit dem durchreisenden Vertreter über die Mitmenschen auslassen.

Als aber der stets korrekte Stationsvorstand Hudetz einmal verspätet sein Signal gibt, passiert eine schreckliche Entgleisung. Im Scala-Theater geht es in Peter M. Preisslers Inszenierung um das menschliche Versagen. Dass endlich etwas passiert, darauf schienen die Figuren nur zu warten. Da kommt die Zugunglückskatastrophe gerade recht (amüsant als Chips essende Schaulustige: Anna Sagaischek).

Erst mit dem Zusammenstoß kommt auch Leben in Körper und Gesicht von Hudetz (Christian Kainradl), der eben noch stoisch der Routine nachging. Bleibt zu klären, wer Schuld an dem Unglück hat. Abgelenkt durch den Kuss der Wirtstochter Anna, vergisst der Stationsvorstand seine Pflicht, doch ist sie es auch, die ihm ein falsches Alibi gibt und den Freispruch sichert.

Überzeugendes Mienenspiel

In Der jüngste Tag ist meinungsbildend, was "die Leut’" sagen. Angelika Auer agiert als Frau Leimgruber als deren herrlich provokant-tratschendes Sprachrohr. Und das allgemeine Urteil wird hier ebenso schnell gefällt und geändert, wie sich das beeindruckende Bühnenbild (Julia Krawczynski) in sieben Bilder verwandelt. So wird ein harmlos wirkender Kuss auf einem idyllischen Stationsbild im Nu zu einem kriminalistischen, düsteren Tatort.

Vor allem überzeugt jedoch das Mienenspiel der Darsteller (allen voran Susanne Preissl als Anna), in dem sich sämtliche Ängste, Gemütsregungen und Provokationen im Minutentakt abwechseln. Schnell wird der gefeierte Held zum gejagten Mörder, das böse Weib (Vorstandsgattin: Christina Saginth) zur armen betrogenen Ehefrau, der unnahbare Drogist (Jörg Stelling) zum Gutmenschen. Schuldig macht sich jeder. Eine gelungene Produktion. (Katharina Stöger, 11.2.2018)