Der Patriarch und sein Clan: Christopher Plummer als J. Paul Getty, Charlie Shotwell als sein Enkel, Michelle Williams als Schwiegertochter und Andrew Buchan als ungenügender Sohn.

Foto: Tobis Film

Wien – Mit achtzig Jahren fährt Ridley Scott unverdrossen auf der Überholspur. Nach Alien: Covenant ist All the Money in the World (Alles Geld der Welt) die zweite Regiearbeit, die der Regisseur vergangenes Jahr abschloss. Dabei lief die Produktion des Entführungsthrillers alles andere als glatt: Für Schlagzeilen sorgte, dass der Brite nach Ende der Dreharbeiten den wegen seiner Sexskandale untragbar gewordenen Kevin Spacey durch Christopher Plummer ersetzte. Umfangreiche Neudrehs waren die Folge. Nebenbei fungierte Scott 2017 noch bei ungefähr einem Dutzend Projekten als Produzent, darunter bei Blade Runner 2049, für den er – nach eigenen Angaben – ohne Nennung auch einen Großteil des Drehbuchs beigesteuert haben soll.

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Seine turbulente Entstehungsgeschichte merkt man Alles Geld der Welt jedoch nicht an – nicht zuletzt deshalb, weil der 89-jährige Plummer in der Rolle des knorrigen 81-jährigen Multimilliardärs J. Paul Getty so perfekt besetzt wirkt, dass es schwerfällt, sich den wesentlich jüngeren Spacey in dieser Rolle vorzustellen.

Der Verweigerer

Der Film basiert auf der wahren Geschichte der Entführung von Gettys Enkel John Paul Getty III 1973 in Rom. Die italienische Mafia hatte den damals 16-Jährigen von der Straße weg gekidnappt und nach Kalabrien verschleppt. 17 Millionen Dollar Lösegeld verlangte die 'Ndrangheta. Doch Johns Eltern waren mittellos, und der alte Getty weigerte sich zu zahlen – mit dem Hinweis, er habe noch vierzehn weitere Enkel, die er in Gefahr bringen würde, sollte er den Entführern klein beigeben.

Scott verfilmt die Geschichte mit einem Drive, den die meisten halb so alten Regisseure nicht erreichen würden. Der erste Akt springt geradezu atemlos zwischen drei Zeitebenen: der Entführung in Rom, der Kindheit des jüngsten Getty in San Francisco und der Aufstiegsgeschichte des alten Getty im Ölgeschäft. Zur zentralen Identifikationsfigur wird dabei vor allem die Mutter des Entführten, Gail Harris. Sie ist in der absurden Situation, in die reichste Familie der Welt eingeheiratet zu haben, aber selbst völlig mittellos zu sein. Harris steht also zwischen ihrem Schwiegervater, der zwar weiterhin Kunstwerke für Millionen kauft, aber kein Geld für seinen Enkel ausgeben will, und der Mafia, die ihr natürlich nicht abnimmt, kein Geld zu besitzen. Michelle Williams spielt Harris mit großer Entschlossenheit, aber sie macht auch ihre zunehmende Erschöpfung durch den psychischen und physischen Dauerstress deutlich.

Die Gefangenen

Alle Gettys sind in Alles Geld der Welt letztlich – metaphorisch oder ganz direkt – Gefangene des Familienreichtums: sei es der alte Getty, der niemandem trauen kann und sich in seine eigene Welt einkapselt, sein Sohn (Andrew Buchan), der den Ansprüchen des Vaters nie genügen konnte und sich in die Drogensucht flüchtet, oder der Enkel (Charlie Plummer), der hilflos in seinem Mafia-Gefängnis dahinvegetiert. Auch mit allem Geld der Welt kann man Glück nicht kaufen – das ist die wenig überraschende Erkenntnis von Ridley Scotts Film.

Als "morality play" bleibt Alles Geld der Welt somit vorhersehbar, als Thriller ist der Film über weite Strecken packend. Im letzten Drittel entfernt sich die Geschichte allerdings immer mehr von den wahren Begebenheiten, um sich den Maßgaben üblicher Hollywood-Dramaturgie zu fügen. Nicht, dass der Film sich sklavisch an den Hergang der Ereignisse halten müsste, aber immer dann, wenn die Glaubwürdigkeit allzu offensichtlich strapaziert wird, um die Spannung zu steigern, wirkt Alles Geld der Welt tatsächlich ein wenig angestaubt. Scott wagt nicht, den auch dramaturgisch widerborstigen Unwägbarkeiten eines echten Kriminalfalls Raum zu geben, wie es etwa David Fincher in Zodiac (2007) meisterhaft vorgemacht hat. Das ist wohl der Preis, den Scott für seine muskulöse Regie zahlen muss. (Sven von Reden, 12.2.2018)