Frau Edtstadler inspizierte unlängst Bombenentschärfer-Fahrzeuge. Später ließ sie es im TV krachen.

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Was Staatssekretärin Karoline Edtstadler unlängst in der ZiB 2 abgeliefert hat, ist ein Gesellen-, wenn nicht ein Meisterstück an Ignoranz gegenüber Fakten und Fachmeinungen. Der an sich nicht um Worte verlegene Armin Wolf wusste schon nicht mehr, welche einschlägigen Fachurteile er noch aus seiner (guten) Vorbereitung vorbringen sollte – die Ex-Richterin blieb beharrlich: Es brauche härtere Strafen gegen Sexualtäter.

Da können die Richtervereinigungspräsidentin, Sexualstrafrechtsexperten und Opferschutz-Vertreter unisono feststellen, dass die ohnehin erst vor zwei Jahren angehobenen Strafrahmen ausreichend seien, dass kein Anlass für eine Erhöhung bestünde und sich empirisch gesehen niemand durch höhere Strafrahmen abschrecken ließe: Die Staatssekretärin blieb finsteren Blicks dabei, dass dies notwendig sei und dass sie, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hätte, das auch durchsetze. Ist das nicht unübertroffene Sachpolitik, die Kurzens Frau fürs Grobe hier betreibt?

Als Begründung nennt sie – fast noch gefährlicher als ihr jedes fachliche Urteil ignorierender Starrsinn – das "natürliche Volksempfinden" (Hilfe!), wie sie es aus Twitter und Postings (noch einmal Hilfe!) erkennen könne. Während jeder halbwegs Medienkundige heute weiß, dass und wie Posting-Meinungen sehr häufig aus einer blindwütig und unter dem Schutz der Anonymität agierenden extremen Aggression resultieren, nimmt ein Regierungsmitglied sie als eine Art Auftrag für seine Politik. Geht's eigentlich noch?

Kurz-Sichtigkeit

Dass eine derart exzentrische Ignoranz bei einer Debatte zum Thema Sexualität auftritt, ist kein Zufall: Seit ich mit diesem Gegenstand fachlich und beruflich zu tun habe – das ist seit den 1970ern -, begegnet mir ein enormes Defizit an Forschung, Bildung und demnach an Wissen zu Fragen der Sexualität. Schon der Pionier österreichischer Bemühungen um Sexualforschung, Ernest Bornemann, beklagte zeit seines Lebens das Fehlen von Stellen, Lehrstühlen und Bildungsangeboten zu Fragen der Sexualität. Weder in Studien wie Medizin oder Psychologie, auch nicht in Pädagogik oder Sozialer Arbeit, die alle immer wieder mit Sexualität zu tun haben, gibt es ein erkennbares Angebot für die entsprechenden Berufe – und das bis heute.

Obwohl niemand die Wichtigkeit dieses Lebensbereichs bestreitet, ignorieren die Verantwortlichen ihn bei der Ausgestaltung von akademischen oder sozialberuflichen Ausbildungen. Dass dies bei einer Juristin nicht anders ist, verwundert nicht – aber es macht deren Ansichten dazu zu "Urteilen", die sich von populären Stammtischmeinungen nicht unterscheiden.

Ich habe nach rund zehn Jahren Sachverständigentätigkeit vor Gericht meine Zulassung nicht verlängern lassen, weil ich die leidigen Streitereien in Hauptverhandlungen mit vorurteilsbehafteten Richtern satthatte (etwa die Verwechslung der "Erklärung" eines Täterverhaltens mit einer "Entschuldigung"). Ich will nicht alle über einen Kamm scheren, aber es kommt auf die Einzelinitiative an, ob sich jemand auf dem Richterstuhl damit fächerübergreifend beschäftigt hat oder nicht. Die Staatssekretärin scheint jedenfalls nicht beispielgebend zu sein für eine solche Beschäftigung. Diffuse Propaganda unter Berufung auf ein "Volksempfinden" bei Nichtberücksichtigung von Experten lässt den Geist einer gewissen Orbánisierung erkennen.

Kinder und Jugendliche stärkende Programme

Die Regierung sollte sich dagegen endlich darum kümmern und Geld zur Verfügung stellen (Kollege Faßmann!), dass wir ausgebildete Sexualpädagogen bekommen, die Kinder und Jugendliche stärkende Programme in Schule und Jugendarbeit umsetzen können, anstatt entsprechende Initiativen – wie in Ober- und Niederösterreich – finanziell auszuhungern. Das wäre eine Generalprävention und Opferschutz ersten Ranges!

Wir brauchen auch Sexualmediziner und -psychologen, die sich mit gefährdeten und/oder zu Tätern gewordenen Menschen so auseinandersetzen können, damit die Rückfallgefahr minimiert wird. Wir brauchen ausreichend Pädophilieprogramme zur Vorsorge und eine kritische Sozialwissenschaft, die die Infantilisierung der weiblichen Sexualität in Mode und Körperkultur aufzeigt ("Kindfrauen"). Wir brauchen besser ausgestattete Männerberatungsstellen, die nicht um jeden Cent betteln müssen, denn sie leisten wichtige Begleitung und Prävention von Sex und Gewalt.

Und wir brauchen eine geförderte Sexualforschung, die in Österreich als einem der wenigen EU-Länder völlig fehlt: Forschung zu Fragen der Entwicklung sexueller Störungen, der Prävention, der Therapie, der Vorbereitung von Heranwachsenden, um möglichst weder Opfer noch Täter zu werden. Keine einzige universitäre Position, nicht einmal eine Assistentenstelle, wurde in Österreich jemals zu diesem Fach ausgeschrieben. Ich selbst habe mein Engagement für die Einrichtung der ersten sexualtherapeutischen Programme an einer österreichischen Universität quasi als Nebenjob, als Hobby neben meiner Professur leisten müssen – und mein Ersuchen um die Ausschreibung wenigstens einer entsprechenden Mittelbau-Stelle nach mir blieb ungehört.

So schaut's aus in einem Land, in dem dann derart sachunkundige Behauptungen von Regierungsseite in volksverdummender Weise geäußert werden. Von Initiativen wie den oben geforderten würden alle profitieren: Richter, Ärzte, Therapeuten, Erzieher, Kinder und Jugendliche, Frauen und Männer – nicht zuletzt die Staatskasse. Was kaum in ein Politikerhirn zu bekommen ist: Prävention ist immer billiger als Maßnahmen nach erfolgten Taten. (Josef Christian Aigner, 12.2.2018)