Auch nach dem zweiten Rücktritt von Martin Schulz – zuerst als SPD-Vorsitzender und kurz danach von der Kandidatur für das Amt des Außenministers – bleibt es völlig offen, ob das Koalitionsabkommen von den SPD-Mitgliedern in den nächsten drei Wochen gebilligt wird. Man kann sogar eine Revolte bei den Christdemokraten wegen der Preisgabe von beiden Schlüsselministerien (Finanz- und Außenministerium) und angesichts des rapiden Autoritätsverlustes der Bundeskanzlerin nicht gänzlich ausschließen.

Trotzdem bestimmt die Selbstzerstörung der politischen Führung einer "nahezu schrottreifen ... lächerlich gemachten" SPD die Berichterstattung der deutschen Medien. Nun steht der noch vor einem Jahr als charismatischer Hoffnungsträger gefeierte Schulz "mit leeren Händen da", nachdem er "rücksichtslos, schamlos und charakterlos" (so Die Welt) das Amt des SPD-Vorsitzenden für seine persönlichen Belange ausgenützt und einen Scherbenhaufen der Partei hinterlassen habe. Trotz aller Irrungen und Wirrungen des früheren Präsidenten des EU-Parlaments darf man auch andere Spitzengenossen nicht vergessen, wie unter anderem seinen Vorgänger als Parteivorsitzender, den um den Posten des Außenministers kämpfenden Sigmar Gabriel, die zum Eindruck bei der Parteibasis beigetragen haben, den Leuten "oben" in der Partei gehe es nur um Posten und Privilegien.

Brandt, Kreisky, Palme

Der Beobachter erinnert sich an das bekannte Werk des deutsch-italienischen Soziologen Robert Michels über das "eherne Gesetz der Oligarchie" (1911), wonach sich sämtliche Führungsgruppen in politischen und gesellschaftlichen Organisationen nur noch an ihren eigenen Interessen orientieren und vor allem persönliche Vorteile suchen. Nach dem Inferno des Zweiten Weltkriegs haben aber auch Führungspersönlichkeiten wie Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme gewirkt, denen es nicht um ihr persönliches Wohl ging – sondern um die Ideen und Werte der Sozialdemokratie.

Etwas Ähnliches dürfte dem wortgewaltigen Chef der Jusos (der SDP-Jugendorganisation), Kevin Kühnert, vorschweben, der seit Freitag mit einer "No Groko" (Nein zur großen Koalition)-Kampagne durch Deutschland tourt. In Leipzig sagte ihm bei einer Versammlung ein altes SPD-Mitglied: "Damals haben wir gegen Helmut Schmidt protestiert, und uns wurde gesagt, wenn ihr den stürzt, dann werden die Schwarzen sehr lange regieren. Und dann kamen 16 Jahre Helmut Kohl." Er habe daraus seine Lehren gezogen – "wenn wir jetzt nicht in diese Koalition gehen, dann verschwinden wir für 25 Jahre, und dann gehst du, Kevin, in die Rente".

Jetzt warnt selbst eine konservative angesehene Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine in einem Leitartikel: "Eine Niederlage bei dem Mitgliederentscheid wäre eine politische Katastrophe." Wohlgemerkt nicht nur für die SPD, sondern für das ganze Land. Die kaum verhüllte Schadenfreude in manchen Kanzleien Mittel- und Südosteuropas, auch in Österreich und in der Schweiz, angesichts der Instabilität im wichtigsten Land der EU ist töricht. Es handelt sich nicht bloß um den Machterhalt Merkels oder den Niedergang einer linken Volkspartei, sondern um den Frieden und die politische Stabilität in Europa. (Paul Lendvai, 12.2.2018)