Der spätantike Bischof Epiphanius von Salamis in Zypern wusste sich mit wirksamen Inszenierungen seines Selbst und des Anderen zu einer machtvollen Person zu etablieren. Als glorreicher Kämpfer für das orthodoxe Christentum heilte er mit seiner Schrift Panarion, was so viel bedeutet wie "Medizinkoffer", die 80 Häresien¹ der Spätantike und nannte hierbei jegliche Variabilität im Glauben eine Irrlehre. Eben dies verschaffte Epiphanius in der späteren Rezeption und in der modernen Forschung einen negativen Ruf, der an den Vorwurf der Intoleranz gekoppelt war. Durch aktuelle Werke, wie des US-amerikanischen Religionswissenschafters Andrew S. Jacobs, der versuchte, eine kulturelle Biographie des Bischofs zu verfassen, folgte erst wieder eine intensivere Beschäftigung mit Epiphanius.²

Experte der Askese

Die Quellenlage zu Epiphanius' Leben ist unsicher. Seine Lebens- und Sterbedaten sowie weitere Eckpunkte seines Wirkens sind Rekonstruktionen und weitgehend ungewiss. Geboren wurde er vermutlich zwischen 310 und 320 als Sohn christlicher Eltern in Besandûk nahe dem palästinensischen Eleutheropolis. Im Jahr 367 gelangte Epiphanius auf den Bischofstuhl in Zypern. Epiphanius starb im Jahr 404 auf hoher See auf der Rückreise von Konstantinopel in sein Bistum.

Für Epiphanius war eine Verbindung von Taten und Glauben offenkundig: nur wer an etwas Richtiges glaubte, konnte gut handeln. Auf Grundlage dieses Gedankens konnte er sein Vorgehen gegen Häresien begründen. Häretiker waren innerhalb seiner Logik in vielfältiger Weise verdorben und jeder konnte durch das Lesen häretischer Schriften vom Glauben abfallen. Epiphanius war eine Person mit hoher Macht und Autorität, die sich auf verschiedene Lebensbereiche erstreckte. Er galt als Experte auf dem Gebiet der Askese, galt als von Gott erwählt und wusste seine Gemeinde auch ökonomisch zu führen. Über die Zeit hinweg überdauert dies zudem in seiner Heiligsprechung und in der Verbreitung seiner Schriften.

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Das Panarion, die Heilung gegen die Bisse der Häresie

Das Panarion wurde von zwei Klerikern aus Syrien in Auftrag gegeben und circa in den Jahren 374 bis 378 von Epiphanius verfasst. Die darin angestrebte Ausgrenzung der häretischen Gruppen diente der Identitätsstiftung des Christentums und festigte die gesellschaftliche Akzeptanz jener Auslegung der christlichen Lehren, die Epiphanius propagierte. In seinem Panarion inszeniert er sich als Verteidiger der Orthodoxie und somit als Kämpfer gegen die Irrlehre. Epiphanius definiert "normal" und "abnorm", "orthodox" und "häretisch" und macht sich somit zu einer allwissenden Reputation und Bezugsquelle für alle weiteren noch kommenden Häresiewellen.

Epiphanius benennt im Panarion vier vorchristliche "Mutterhäresien". Er zeichnet hier eine Genealogie der Häresie und beleuchtete den direkten Zusammenhang der verschiedenen Irrlehren Judentum, Barbarei, Glaube der Skythen und Hellenismus. Epiphanius argumentiert hierbei für ein orthodoxes Christentum, das bereits vor dem Judentum bestand und unterfüttert dies durch seine Argumentation bezüglich Adams: Adam als erster Mensch glaubte an den Vater, an den Sohn und an den heiligen Geist, zudem war er nicht beschnitten. Mit dieser Argumentation legt er den Glauben an die Trinität und die Ablehnung der Beschneidung als Erkennungszeichen für Christen fest und setzt zeitgleich das Judentum mit der Beschneidung gleich. Er untermauert seinen Gedanken des immerwährenden Christentums zudem – in der Logik der Beschneidung bleibend – dadurch, dass auch Abraham erst mit 99 zum Juden wurde und vorher ein Vorfahre der christlichen Gemeinde war.

Neben diesen sogenannten "Mutterhäresien" führt Epiphanius die 76 verbleibenden Irrlehren an und benutzt für diese Metaphern. Die in verschieden langen Mikrobiographien vorgestellten Häretiker werden konstruiert und so zu einem Kollektiv vereint. Sie alle werden mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert: Flexibilität in ihrem Glauben, Einfließen griechischer Tradition, Ablehnung des nicäanischen Trinitätskonzepts, das Leben in der Peripherie und abnormales Sexualverhalten.

Der Archetypus der weiblichen Irrlehre

Häretiker verstreuen sich auf der ganzen Welt, nur eine Auslöschung aller Häresien, würde eine reine orthodoxe Kirche, in Epiphanius' Logik, bedeuten. Neben ihrer Zerstreutheit sind Häresien besonders in der "Wildnis" zu finden. Diese Zuschreibung gewinnt an Gehalt, wenn man sich die Auswahl der metaphorischen Tiere anschaut, mit denen Epiphanius Häretiker vergleicht. Er wählt zumeist Schlangen und Insekten, die generell in der Umwelt Epiphanius' als hochgradig gefährliche Tiere angesehen wurden. Der Vergleich mit Schlangen war keines Falls neu – tauchte er doch schon an prominenter Stelle in der Bibel auf – der Kontext innerhalb eines als medizinisches Handbuch getarnten Werkes gegen Häretiker hingegen schon. Die biblische Assoziation, allen voran mit der Schlange des Sündenfalls³ ist dennoch für die Argumentation notwendig, ist sie doch einerseits mit dem Teufel gleichgesetzt, anderseits ein niederes Tier und zudem auf Verführung aus. All diese Aspekte spielen in die Argumentation gegen Häretiker sinnvoll mit ein – er verbindet gekonnt die biblische Metaphorik mit der tatsächlichen Bedrohung. Neben dem Bild der kontinuierlichen Verbreitung und der Identifikation als Schlangen, ist der Vorwurf der sexuellen Ausschweifung elementar. Dieser tangiert automatisch die Kategorie Gender und wertet jegliche nicht auf Reproduktion ausgelegte Form der Sexualität als Häresie.⁴

Zudem bedingte der Vorwurf des Weiblichen an männlichen Häretikern ihre Unglaubwürdigkeit. Homosexualität und Geschlechtsverkehrs rein aus Gründen der Lust gelten als abnorm und pervers. Außerdem schwingt in der Weiblichkeit stets eine Gefahr mit, die sich auch in der Schlangenmetaphorik zeigt, die besonders auf der Sündenfallthematik basiert. Die empfängliche, naive Frau, die wie einst Eva von der List des Teufels getäuscht wird, ist eine Bedrohung für die christliche Gemeinde.

Eva, die Schlange und Adam im Garten Eden. Gemälde von Byam Shaw (1911).
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Häretische Frauen galten als sexuell freizügig

Das negative Frauenbild, das hier heraus zu lesen ist, liegt in den patriarchalen Strukturen der Spätantike begründet. Innerhalb der christlichen Ämter spielte die Frau nahezu keine Rolle. Phöbe (Röm 16,2), sowie Lydia (Apg 16, 14/40) gelten als einige der wenigen Ausnahmen für biblische Belege der weiblichen Partizipation am Gemeindeleben. Weibliche Präsenz in der Lehre und Liturgie galt als ein klares Anzeichen für häretische, besonders gnostische Gruppen. Dies lag vor allem im biblischen Lehrverbot begründet.⁵ Häretische Frauen galten in der Wahrnehmung als sexuell freizügig, was mit dem Bild der fehlenden Kontrolle und des Chaos einhergeht. Promiskuität war zudem Anzeichen für Häresie, stand es doch konträr zur christlichen Disziplin. Die weiblichen Attribute umfassten Zuschreibungen wie trügerisch, dumm, schwach, passiv, unmoralisch und gefährlich.⁶ Im Panarion wird dies an der Kontrastierung Braut-Hure des Hoheliedes (Hld 6,8-9) sichtbar. Die 80 Konkubinen bilden hierbei sinngemäß die 80 Häresien, denen gegenüber die katholische Kirche als Braut Christi steht.

Die Häresien bekommen somit eine weibliche Zuschreibung, die dann durch das Bild der Schlange ergänzt sowie gesteigert wird. Zudem werden die vorchristlichen Häresien als Mütter bezeichnet. Auch wenn die eigentlichen Zielgruppe Epiphanius' männlich ist, fungiert Eva als Archetypus der Häresie. Die ursprüngliche Häresie ist demnach weiblich, die archetypische Häresie ebenso, und auch alle anderen darauffolgenden Irrlehren sind als Konkubinen weiblich konnotiert. (Kristina Göthling, 15.2.2018)

Fußnoten

¹ Der Begriff Häresie wird hier im Sinne der christlichen Deutung genutzt. Hier sollen Häretiker zwar nicht bewertet oder gar als negativ dargestellt werden, dennoch möchte ich den Begriff als Quellenbezeichnung nutzen, um den historischen Entwicklungen gerecht zu werden. Die Polemik, die diesem Begriff anhaftet, ist somit aus der Logik Epiphanius heraus gedacht und nicht an eine Wertung gebunden.

² Andrew S. Jacobs, Epiphanius of Cyprus. A Cultural Biography of Late Antiquity, Oakland 2016.

³ Gen 3, aber unter anderem auch: Mtt 23,33 "Ihr Schlangen und Otterngezücht!" Lk 10,19 "Seht, ich habe euch Macht gegeben, zu treten auf Schlangen und Skorpione, und Macht über alle Gewalt des Feindes und nicht wird euch schaden." Vgl. z.B. Epiphanius, Panarion Book I (wie Anm. 165), Anacephalaeosis II, 26 (S. 90).

⁴ Vgl. hierzu unter anderem Epiphanius, Panarion Book I (wie Anm. 165), Anacephalaeosis II 25,1-6, (S.84). "For he had shifted from one pretense to another. Seeing that his wife was unusually beautiful and yet bore herself with modesty, he envied her. And, supposing that everyone was as lascivious as he, he began by constantly being offensive to his wife and making certain slanderous charges against her in speeches. 5 And at length he degraded himself not only to normal sexual activity but to a blasphemous opinion, the harm of perverse teaching, and the deceit of the covert introduction of wickedness."

⁵ 1.Tim 2,11-13 11 "Eine Frau lerne in der Stille mit aller Unterordnung. Einer Frau gestatte ich nicht, dass sie lehre, auch nicht, dass sie über den Mann Herr sei, sondern sie sei still. Denn Adam wurde zuerst gemacht, danach Eva. 1Kor 14,34 34 sollen die Frauen schweigen in der Gemeindeversammlung; denn es ist ihnen nicht gestattet zu reden, sondern sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz sagt. Wollen sie aber etwas lernen, so sollen sie daheim ihre Männer fragen. Es steht der Frau schlecht an, in der Gemeinde zu reden.

⁶ Vgl. Virginia Burrus, "The heretical Woman as a symbol in Alexander, Athanasius, Epiphanius and Jerome" in: Harvard Theological Review 84/3 (1991), S.229-248, hier: S. 232, 239.; Dass sich viele dieser Zuschreibungen bis in die Gegenwart kaum verändert haben stellt Karin Hausen unter Beweis. Vgl. Karin Hausen, "Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben", in: Sabine Hank (Hrsg.): Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie, Wiesbaden 2001, S.162-185, hier besonders: S.166.

Literaturhinweise

  • Bischof, Franz Xaver u.a, Einführung in die Geschichte des Christentums, Freiburg u.a. 2014.
  • Brown, Peter, The Body and society. Men, Women and Sexual Renunciation in Early Christianity, New York 1988.
  • Burrus, Virginia „The heretical Woman as symbol in Alexander, Athanasius, Epiphanius and Jerome”, in: Harvard Theological Review 84/3 (1991), S. 229-248.
  • Dechow, Jon F., Dogma and Mysticism in Early Christianity. Epiphanius of Cyprus and the Legacy of Origen, Macon GA 1988.
  • Jacobs, Andrew S., Epiphanius of Cyprus. A Cultural Biography of Late Antiquity, Oakland 2016.
  • Kim, Young Richard, „Bad Bishops Corrupt Good Emperors: Ecclesiastical Authority and the Rhetoric of Heresy in the Panarion of Epiphanius of Salamis”, in: Studia Patristica 47 (2010), S. 161-66.
  • Kim, Young Richard, Epiphanius of Cyprus. Imaging an orthodox world, Michigan 2015.
  • Kösters, Oliver, Die Trinitätslehre des Epiphanius von Salamis. Ein Kommentar zum „Ancoratus“, Göttingen 2003.
  • Kim, Young Richard, „Reading the Panarion as Collective Biography: The Heresiarch as Unholy Man” in: Vigiliae Christianae 64 (2010), S. 382-413.
  • Rapp, Claudia, Holy Bishops in Late Antiquity. The Nature of Christian Leadership in an Age of Transition, Berkeley u.a. 2005.
  • Sælid Gilhus, Ingvild, „The Construction of Heresy and the Creation of Identity: Epiphanius of Salamis and His Medicine-Chest against Heretics “, in: Numen 62 (2015), S. 152-168.
  • Stefaniw, Blossom „Straight Reading: Shame and the Normal in Epiphanius´s Polemic against Origen”, in: Journal of Early Christian Studies 21/3 (2013), S. 413-435.

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