Auf gute Nachbarschaft essen: Das kann man jetzt im Weinschlössl Retz – und ziemlich gut noch dazu.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kulajda: Die samtige, mit Weißwein und Sauerrahm zum Leben erweckte Erdäpfelcremesuppe hat gebratene Schwammerln als Einlage.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Schnell einmal nach Böhmen und Mähren rüberfahren, um gut essen zu gehen, weil das im Wein- und Waldviertel immer unmöglicher wird: Klingt gut, ist aber in echt nicht anzuraten – in der Provinz hat sich die legendär köstliche Küche der Nachbarn auch fast dreißig Jahre nach Ende des Kommunismus nicht derrappelt. Dafür gibt es jetzt ein Restaurant in Retz, in dem man diese Küche beherrscht.

Das ist der Verdienst von Jitka Pucher, die hier vor Jahren im Service des Weinschlössls werkte und zugriff, als das markante Gebäude neu vergeben wurde. Ihr Mann ist Peter Pucher, Eishockey-Legende des Znaimer Clubs Orli Znojmo und Weltmeister 2002 mit der slowakischen Nationalmannschaft. Der Küchenchef heißt Petr Fucík, ist ebenfalls aus Znaim und war bisher Chefkoch des Koishi in Brünn, das als bester Japaner Tschechiens gilt. Dem Mann war das tägliche (und nächtliche) Pendeln irgendwann zu mühsam, weshalb er jetzt in Retz zeigt, dass er auch die Küche seiner Heimat mit Verve und Finesse herzukochen weiß. Das Lokal heißt jetzt nämlich Mährische Botschaft und soll dem nachbarschaftlichen Austausch zwischen Znaim und Retz dienen.

Köstliche Suppe

In der Küche haben sich die Grenzen schon vor Jahrhunderten verwischt. Umso interessanter ist es, den Nuancen nachzuschmecken, wenn zur Abwechslung ein Könner von "drüben" bestimmt, wo es langgeht. Beef Tartare vom Rindsfilet mit fermentierten Schalotten und Senfcreme etwa wird wie selbstverständlich von Hand gehackt und pikant, erfrischend, geradezu französisch abgemischt, ganz ohne Paprikapulver oder Ketchup, wie wir uns das seit jeher von den osteuropäischen Kollegen abzuschauen pflegten. Rote Rüben, einerseits im Ofen gegart, anderseits roh mariniert, werden mit Ziegenfrischkäse und kandierten Walnüssen vergleichsweise konventionell kombiniert – fein, so ähnlich kennt man das aber von zahllosen Haubenlokalen.

Dafür geht mit der Kulajda (siehe Bild) eine Tür zu einer fremden und doch sehr verwandten Welt auf. Die samtige, mit Weißwein und Sauerrahm zum Leben erweckte Erdäpfelcremesuppe hat gebratene Schwammerln als Einlage, bekommt als köstlichen Kontrast ein paar Tropfen tiefgrünes aromatisches Dillöl darübergeträufelt, birgt aber auch ein ideal weich pochiertes Ei: eine Suppe wie ein Denkmal, markant, elegant, facettenreich und doch ganz vertraut – gleichzeitig köstlich neu in der Kombination der Aromen. Mährische Krautsuppe gibt es auch, die wird mit knusprig panierter, innen cremiger Blunze kombiniert und verströmt einen nicht minder lockenden, vergleichsweise vertrauten Duft.

Schnitzelritus

Wiener Schnitzel, tadellos souffliert, saftig und nicht zu dünn geklopft, wird mit typisch siaßlertem, ostösterreichischem wie auch mährischem Erdäpfelsalat aufgetragen – die mit Mayonnaise angemachte, nach Art russischen Salats mit Karotten- und Selleriewürfeln sowie Essiggurkerln zubereitete Version der Nachbarn könnte schnitzelorthodoxe Gäste aber vor gewisse Herausforderungen stellen.

Dafür reißt die Svícková na smetane, der legendäre gespickte Rindsbraten mit golden schimmernder Wurzelrahmsauce, Preiselbeeren und Schlagobers, die Grenzen zwischen hiesigen und dortigen Köstlichkeitsidealen umso effektiver nieder. Nur die gar festen Serviettenknödel als Beilage wirken deplatziert: Zur Svícková gehören sich flaumig germige Böhmische. Für die Mehlspeisen muss aber eh Platz bleiben. Powidltascherln aus ideal bissfestem Teig mit wirklich herausragendem Zwetschkeneis oder doch Topfenknödel mit Bröseln, Birnenkompott und Zimtschaum? Bitte beides, weil noch so lange Winter ist.(Severin Corti, RONDO, 16.2.2018)

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