Der alte Humboldt hätte seine Freude gehabt: Auch in Berlin gingen im April 2017 Tausende gegen alternative Fakten auf die Straße – hier vor der Humboldt-Universität Unter den Linden.

Foto: imago / ZUMA press

Vor kurzem war Caroline Weinberg in Wien, als Stargast am Wiener Ball der Wissenschaften. Die 33-jährige New Yorkerin hat einiges zu sagen: Sie studierte Medizin, arbeitete bei Gesundheitsprojekten in Uganda und Guatemala mit, ehe sie sich als Gesundheitsberaterin selbstständig machte. Das allein ist schon eine beachtliche Vita einer Millennial-Geborenen.

Doch Weinberg tat noch mehr. Im April des Vorjahres organisierte sie einen March for Science in über 600 Städten, bei dem über eine Million Menschen weltweit teilnahmen. Es geht ihr und ging bei der Aktion darum, eine faktenbasierte Politik einzufordern – keine Selbstverständlichkeit mehr in den USA unter Donald Trump.

Marschieren für Fakten

In einem "Profil"-Interview klagte Weinberg, wissenschaftliche Erkenntnisse und Tatsachen zählten im Trump-regierten Amerika "weniger als nichts", Umwelt-, Gesundheits- und andere Behörden würden strategisch ausgehöhlt. Nicht nur, dass an den Schaltstellen der Verwaltung dann Menschen ohne wissenschaftliche Ausbildung sitzen. Viele seien darüber hinaus auch noch ausgesprochen wissenschaftsfeindlich, kritisiert Weinberg. Der March for Science wird heuer am 14. April auch in Wien stattfinden.

Ein Solidaritätsspaziergang angesichts der "Fake Politics" in den USA wird es wohl nicht werden. Was die Trump-Administration krass und schrill vorlebt, passiert, weniger spektakulär, auch in Österreich. Die Regierung setzt sich zunehmend über wissenschaftliche Fakten hinweg, wenn sie ihr nicht in den politischen Kram passen.

Noten und Quartiere

Es begann nicht im, sondern bei den Kleinen: Nun mag man noch einräumen, dass Experten durchaus zu unterschiedlichen Schlüssen kommen, was die Sinnhaftigkeit von Ziffernnoten von der ersten Schulstufe an betrifft. Aber dass das Regierungsprogramm jedwede Form von Reformpädagogik (etwa Mehrstufenklassen, verschränkter Unterricht etc.) mit Ignoranz straft, ist eine grundsätzliche Verleugnung von bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Integrationspolitik: Asylquartiere am Rande der Stadt, weit weg vom Schuss, dienen nicht der Integration, sondern der Exklusion. Da konnten Experten warnen, so viel sie wollten – der Innenminister will diese Quartiere, Zahlen, Daten und Fakten interessieren ihn in dem Zusammenhang nicht weiter.

Aufs Tempo drücken

Munter weiter ging es in der Verkehrspolitik: Infrastrukturminister Norbert Hofer will das Tempolimit auf Autobahnen auf 140 Stundenkilometer hinaufsetzen – als ob es sich um reine Zahlenschiebereien auf dem Schreibtisch handle, nicht um eine Verschiebung von Grenzen, die noch mehr Leben in Gefahr bringen kann.

Das Gros der Autos, die in Österreich zugelassen sind, kann schon jetzt die Geschwindigkeitsbeschränkungen locker überschreiten. Unter dem Gasfuß verantwortungs- und oft auch hirnloser Raser kann ein normales Mittelklasseauto zum tödlichen Geschoß werden. Die Aufgabe des Verkehrsministers wäre es (gemeinsam mit dem Innenminister), sich darum zu kümmern, dass das nicht passiert.

Stattdessen macht man es den Schnellfahrern gern noch ein wenig leichter – abseits etwa der Erkenntnisse einer Studie des Kuratoriums für Verkehrssicherheit (KfV) aus dem Jahr 2014, wonach überhöhte Geschwindigkeit die Hauptursache für Verkehrsunfälle ist.

Klima gesundbeten

Wer nun glaubt, eine von Fakten kaum angekränkelte Politik sei eine Domäne der FPÖ, wurde von Rudolf Taschner eines Besseren belehrt. Ausgerechnet der Mathematikprofessor und ÖVP-Wissenschaftssprecher beharrte jüngst auf seiner bereits im Wahlkampf gepflegten, umstrittenen Message: "Das Klima braucht keine Rettung." Allen wissenschaftlichen Evidenzen zum Trotz – da ist es dann nicht mehr gar so weit bis zu Donald Trumps Parallelwelt.

Faktum ist aber auch, dass trotz des Beweises des Gegenteils die Faktenleugner derzeit starken Aufwind haben – auch an den Wahlurnen. Sich also zurücklehnen, warten und hoffen, dass die Menschheit von selbst klüger wird? Im Gegenteil, sagt dazu March-for-Science-Organisatorin Caroline Weinberg. Ignoranz gegenüber denen, die nicht wissen wollen, helfe nicht: "Auch wenn manche Leute für uns verloren sind, so sind es ihre Kinder noch lange nicht." (Petra Stuiber, 14.2.2018)