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Alte Bilder, wie das der Hysterikerin, tauchen auch heute noch in Debatten über die Genderforschung auf. Auch wenn das Krankheitsbild – hier dargestellt ist die fotografische Dokumentation von Hysterie-Patientinnen in einem Pariser Spital – längst nicht mehr anerkannt ist.

Illustration: Picturedesk / Mary Evans

Sabine Grenz, Professorin für Gender-Studies an der Universität Wien.

Foto: STANDARD/Corn

Wien – Geht es um das Thema Gender, geht es rund. Allein schon dieser Begriff, Gender, der das soziale im Unterschied zum biologischen Geschlecht benennt, provoziert in Onlineforen und darüber hinaus harsche Kritik an jeglicher Beschäftigung mit den Geschlechterordnungen – gespickt mit abwertenden Wortschöpfungen wie "Genderwahn" oder "Genderismus".

Davon ist die Genderforschung nicht ausgenommen. Auch im Forum zu einem im STANDARD erschienenen Interview mit Sabine Grenz im April 2017, als sie gerade ihre Professur für Gender-Studies antrat, entstand schnell eine der Disziplin gegenüber extrem ablehnende Haltung. Grenz nahm diese Reaktionen auf das Interview zum Anlass, um gemeinsam mit Studierenden eine quantitative Diskursanalyse über die ersten knapp 600 Postings durchzuführen. Wo liegen die Hauptangriffspunkte? Welchem Wissenschaftsverständnis liegt die Kritik zugrunde und welche Ressentiments werden offen vorgetragen, welche versteckt?

Diese Fragen stellten sich Studierenden der Gender-Studies an der Uni Wien vergangenes Semester und arbeiteten sich anhand dreier "Prozeduren des Diskurses" voran, die der Philosoph und Soziologe Michel Foucault definierte: Wer nimmt am Diskurs teil? Was bleibt im Diskurs unerwähnt und welche Themen werden enorm oft wiederholt, sodass sich eine "Prozedur der Reproduktion" ergibt?

Wer spricht?

Wie schon von anderen Experten und Expertinnen festgestellt, beobachteten auch die Studierenden, dass einige sich besonders oft zu Wort melden. Von den ausgewerteten ersten 598 Postings stammt rund die Hälfte von Usern, die nur einmal gepostet haben. Die andere Hälfte wurde von Leuten gepostet, die mindestens fünfmal posteten. Sieben haben 20-mal und öfter gepostet, von ihnen stammen insgesamt 169 Kommentare.

Über Geschlecht und sonstige Merkmale lässt sich aufgrund der Nicknames nur schwer etwas sagen, aus den Inhalten zogen die Studierenden allerdings den Schluss, dass es sich überwiegend um Männer handelt, etwa weil sie sich männliche Nicknames geben oder Formulierungen wie "dass ich die gleichen Fähigkeiten wie eine Frau habe" benutzt wurden. Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen fanden sich nicht unter den Postern.

Was wird verschwiegen?

Es wird als selbstverständliche Tatsache angesehen, dass Frauen in Wahrheit nicht diskriminiert werden. Die behauptete Nichtexistenz von geschlechterspezifischer Diskriminierung bildet somit die Grundannahme gegen die Genderforschung, die sämtliche Problemlagen "erfinden" würde, formuliert es Sabine Grenz im Gespräch mit dem STANDARD. So schreibt etwa jemand: "Wo wird eigentlich so vehement gegen die Nachteile des Mannes vorgegangen wie gegen die des Frauenseins – nur weil es grad so gut zur Scheinheiligkeit passt." Und an anderer Stelle heißt es sarkastisch: "Alle Frauen sind immer und überall zu bevormunden."

Die Behauptung einer Welt ohne Sexismus bringe allerdings mit sich, dass man sich "davor hütet, Frauen bestimmte kognitive Fähigkeiten abzusprechen", sagt Grenz. Trotzdem passiert genau das mehr oder weniger versteckt in Aussagen wie "in der Physik vertraut man den Experten eher, sie sind ja auch männlich" oder wenn im Zuge von Postings, die Gender-Studies seien ein völlig unwissenschaftliches Studium, festgehalten wird, dass 90 Prozent der Frauen mit Gender-Studies befasst sind. Oder: "Wie viele männliche Professoren gibt es im Bereich der Gender-Studies weltweit? Mehr oder weniger, als eine Hand Finger hat? Warum ist das so?"

Die Negation der Diskriminierung von Frauen trifft somit auf eine alte Methode der Diskriminierung: Männer und Frauen werden unterschiedliche Eigenschaften und Kompetenzen zugeschrieben und Frauen daher indirekt weniger kognitive Fähigkeiten. In diesem Zusammenhang stehen etwa Wortmeldungen über die "wahren Wissenschaften" Naturwissenschaften, die noch immer klar männlich konnotiert sind. "wem würden sie wohl eher vertrauen, der wissenschaft die uns mitunter handy, pc und strom brachte oder den binnen i machern?"

Die verschwiegene Diskriminierung erinnert Sabine Grenz an das Bild der Hysterikerin. Das längst nicht mehr anerkannte Krankheitsbild der Hysterie beschreibt eine Frau, die sich ihre Symptome nur einbildet, erklärt Grenz, "eine, die sich völlig ohne Grund aufregt, eine Lügnerin". Der Geschlechtsverkehr galt im 19. Jahrhundert als mögliches Heilmittel gegen Hysterie. Äußerungen im Stile von "Die müsste mal richtig rangenommen werden" spielen – auch unbewusst – auf diese Praxis an, sagt Grenz. In dieser derben Form finden sich solche Beiträge zwar nicht, wenn sich allerdings die "eingebildete" Diskriminierung mit Vorstellungen über Frauen, die sich den Gender-Studies widmen, verschränken, sieht das so aus: "Genderwissenschaften sind eher etwas für gefrustete Frauen höheren Alters mit zu viel Zeit."

Was wird immer wieder wiederholt?

Dass die Geschlechter nun mal verschieden seien, war eine im analysierten Onlinediskurs oft wiederholte Annahme. Diese Unterschiede begännen bei der Biologie und würden sich auch bei konkreten Fähigkeiten fortsetzen. Diese Beobachtungen beziehen die User aus alltäglichen Erfahrungen, "über die man sich von keiner Wissenschaft belehren lassen will", sagt Grenz. "Gender wird von den Menschen abgelehnt, weil es eine Ideologie und keine Wissenschaft ist und weil sie der Realität widerspricht", heißt es etwa.

Trotzdem bemüht man sich fast durchgängig in den Postings um einen wissenschaftlichen Duktus. Besonders oft wurden Begriffe wie "objektiv", "wissenschaftlich", oder "falsifizierbar" angeführt und in Opposition zur "Ideologie" gesetzt. Dass auch die Gender-Studies wie andere Sozialwissenschaften mit empirischen Daten arbeiten, blieb unbeachtet. Neben der "Ideologie" erscheint den Usern eine unverständliche Sprache als weiterer Beleg für die Unwissenschaftlichkeit der Gender-Studies. Fachtermini, wie es sie in jeder Disziplin gibt, gelten in den Kommentaren als Verschleierungstechnik und seien "überintellektualisiertes Fachausdrucksgeschwurbel".

Wenig freundliche Wortmeldungen

Die Kritik an der Disziplin lässt auf wenig Wissen über die konkrete Forschung der Gender-Studies schließen. Diese umfasst etwa aktuelle Arbeiten, die von Grenz kürzlich betreut wurden und gerade im Entstehen sind: zum Beispiel eine Dissertation zu den Risiken des Geschäfts mit Leihmutterschaft in Indien, eine zur Gewalt in Beziehungen im modernen Russland oder eine Arbeit zur Frage, inwieweit sich die Möglichkeiten hormoneller Verhütung zwischen Optimierung und Emanzipation bewegen.

Doch auch freundliche Wortmeldungen gegenüber den Gender-Studies gab es – wenngleich in weitaus kleinerem Ausmaß. Diese erfolgten allerdings – mit Ausnahme von einer Person – nur in Verteidigungspose und waren keine für sich stehenden Einschätzungen, warum sie das Gelesene spannend fanden. (Beate Hausbichler, 14.2.2018)