Die Macht der Synkope sei mit dir: Deep-Purple-Bassist Roger Glover bei einem Konzert in Wien. Rhythmische Verschiebungen im Takt stimulieren das Gehirn, wie Forscher herausfanden.

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Dave Brubeck schrieb 1959 mit "Take Five" Jazzgeschichte. Rhythmische Muster wie in diesem Klassiker führen unweigerlich zu einer Aktivierung des zentralen Nervensystems.

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Wien – Es gibt eine Art von Musik, die uns unweigerlich in die Knochen fährt. Wenn wir sie hören, können wir nicht mehr stillsitzen: Dann gerät der ganze Körper in einen beflügelnden Aufruhr, da wippt und klopft und schwingt er ohne höheren Befehl in ihrem Takt. Was uns da so mitreißt, ist der "Groove": das rhythmisch-metrische Grundmuster eines Musikstücks. Die Redewendung "im Groove sein" bezeichnet jenen glücklichen Zustand, wenn Menschen in völliger Übereinstimmung mit sich und anderen nach einem gemeinsamen Rhythmus agieren: etwa beim gemeinsamen Musizieren, Singen oder Tanzen.

Die sogenannte "Synchronicity and Sociality"-Hypothese besagt, dass dabei auch eine stärkere Verbundenheit innerhalb der Gruppe entsteht, sich die Mitglieder untereinander also sozialer verhalten. Um diese Hypothese zu überprüfen, hat man in bisherigen Versuchen Probanden miteinander "grooven" lassen und sie danach zu ihrer Befindlichkeit und ihrem Verhältnis zu den anderen Gruppenmitgliedern befragt.

Pupillen im Blick

Der zurzeit am Department für Kognitionsbiologie der Uni Wien forschende Neurobiologe Dan Bowling will diese Hypothese nun mit einer etwas objektiveren Methode auf ihren Realitätsgehalt abklopfen. Er zieht psychophysiologische Parameter wie Puls, Atemfrequenz, Hormonstatus oder Pupillenerweiterung heran, um die soziale Kraft der Musik zu ergründen. Zu diesem Zweck hat der Lise-Meitner-Stipendiat mit finanzieller Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF eine Reihe von Versuchen durchgeführt.

So hat er seinen Probanden beispielsweise "sehr groovige" bzw. "wenig groovige" Musik vorgespielt und dann ihre Pupillengröße gemessen. Dabei stellte sich heraus, dass Musik, die zur Bewegung animiert, auch zu einer stärkeren Pupillenerweiterung führt. "Die unwillkürliche Erweiterung der Pupille ist ein untrügliches Zeichen für die Aktivierung des zentralen Nervensystems, also für vermehrte Aufmerksamkeit und Wachheit", sagt Bowling. Auch der Einfluss von Tempo und Lautstärke der Musik auf den Grad der Gehirnaktivierung wurde überprüft. "Wir fanden heraus, dass die positive Stimulation weder mit Tempo noch mit Lautstärke zu tun hat, sondern ausschließlich mit der Art des Rhythmus."

Eine interessante Rolle spielen dabei Synkopen, die eine rhythmische Verschiebung in Bezug auf den Takt bewirken. Die Töne des Takts werden früher oder später gespielt als bei reinen Viertelnoten, wodurch eine rhythmische Spannung entsteht. Synkopen finden sich in allen Musikstilen, besonders prägend sind sie aber für Jazz, Funk, Blues oder Reggae. Einer Musik also, bei der das Stillsitzen besonders schwerfällt.

Synkopen und Frequenzen

"Aus unseren Daten konnten wir ablesen, dass Synkopen dabei helfen, das Rhythmusmuster vorherzusagen", berichtet Bowling von den Tests im "Rhythm and Movement Lab" des Departments. "Und wer weiß, was kommt, kann Bewegungen vorwegnehmen und noch besser abstimmen." Man braucht nur an Dave Brubecks Jazzklassiker Take Five zu denken oder an das legendäre Introgitarrenriff von Smoke on the Water, um ein Gefühl für die Macht der Synkope zu bekommen.

Bowlings Versuche zeigten auch, dass hohe Frequenzen stimulierender wirken als tiefe: "Das hat uns ziemlich überrascht, da man gemeinhin davon ausgeht, dass der Bass das stimulierende Element ist", sagt der aus Kalifornien stammende Forscher. "Wir konnten aber feststellen, dass Menschen deutlich stärker auf die höheren Frequenzen reagieren als auf verstärkte Bassfrequenzen."

Um zu überprüfen, ob sich mit Musik tatsächlich Stress reduzieren lässt, haben Bowling und sein Team einen 90-köpfigen Jugendchor begleitet und das Stresshormon Cortisol in Speichelproben gemessen. Vorher mussten die Probanden entweder gemeinsam singen oder vorlesen. Bemerkenswerterweise wurde bei beiden Aktivitäten eine Abnahme des Stresshormons nachgewiesen. "Wir haben nicht damit gerechnet, dass der Cortisolspiegel beim Lesen in der Gruppe genauso stark sinkt wie beim gemeinsamen Singen", berichtet Bowling. "Möglicherweise ist es also vor allem das gemeinsame Tun, das sich hier positiv auswirkt."

Entspannte Männer

Ganz besonders scheinen davon Männer zu profitieren, bei denen die stressmindernde Wirkung noch stärker zutage tritt als bei Frauen. Was die Ursache dafür sein könnte? "Möglicherweise sind Männer in Gruppen eher auf Konkurrenz und Kampf eingestellt", vermutet der Neurobiologe. "Durch das gemeinsame Tun fühlen sie sich demnach sicherer und brauchen nicht mehr so sehr auf der Hut sein."

Ausgehend von diesem Ergebnis haben die Forscher auch überprüft, ob beim gemeinsamen Singen und Lesen auch das landläufig als "Kuschelhormon" bekannte Oxytocin vermehrt ausgeschüttet wird. "Dafür konnten wir aber keine Belege finden", so Bowling. "Offensichtlich zeigt dieses Hormon nicht an, was sich bei den Gemeinschaftsaktivitäten im Gehirn abspielt." (Doris Griesser, 18.2.2018)