Das Glück dieser Erde ...

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... liegt offenbar auch für Österreichs Innenminister auf dem Rücken der Pferde. Als Geschenk für die Münchner Reiterstaffel brachte Herbert Kickl am Donnerstag eine blaue Abschwitzdecke mit.

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Ikonographisch für das Desaster des 15. Juli 1927: Rayonsinspektor Franz Frenstatzky reitet eine Attacke gegen die demonstrierenden Arbeiter – ein Hauptgrund für die Eskalation an diesem Tag.

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Wien / München– In München gibt es schon lange berittene Polizei, seit 1898. Die aus 36 Pferden und 35 Beamten bestehende Truppe ist eine von sieben Landesreiterstaffeln in Deutschland, zusätzlich gibt es noch eine Staffel der Bundespolizei. Die deutsche Expertise will sich Österreichs Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zunutze machen, denn bereits in einem Jahr sollen berittene Uniformierte im "Feldversuch" in Wien ausrücken. Zu diesem Behufe stieg er sogar selbst auf und ließ sich eine Runde durch die Reithalle führen.

Spätestens im Mai will Kickl ein detailliertes Konzept vorlegen, darin soll dann auch stehen, was das Innenressort bis jetzt nicht beantworten kann: Wie viele Beamte und Tiere zum Einsatz kommen sollen, wo sie trainiert und stationiert sein sollen – und wo und wie sie vor allem eingesetzt werden.

Konsternierte Gewerkschaft

Kickls Plan ist wild umstritten: Von teurer Symbolpolitik sprechen die einen, vor Tierquälerei warnen die anderen. Auch die Personalvertreter sind beunruhigt – nicht nur wegen der Pferde, aber auch. Der Zentralausschuss für die Bediensteten des öffentlichen Sicherheitswesens hat seine Kritik am Donnerstag in zwei Schreiben an den Minister zum Ausdruck gebracht.

Kritisiert wird einerseits Kickls Plan für ein eigenes Exekutivdienstgesetz, mit dem der Minister gerne spezielle dienstrechtliche Bestimmungen regeln würde. Andererseits beschweren sich die Personalvertreter, dass Kickl nur via Medien mit Ankündigungen für Schlagzeilen zu sorgen versuche, ohne vorher mit den Belegschaftsvertretern zu reden – wie eben bei seiner Idee einer Reiterstaffel.

Die Schreiben wurden von roten, schwarzen und blauen Gewerkschaftern einstimmig verabschiedet. Sie fordern den Minister im Sinne der Sozialpartnerschaft auf, sie künftig rechtzeitig einzubinden. Seine Strategie, permanent mit Einzelvorstößen punkten zu wollen, sei "eine ganz neue Form", wie ein Funktionär meint.

Historische Bedenken

Das Thema Pferde bei der Polizei ist zudem historisch und politisch sensibel, vor allem im Zusammenhang mit dem Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. Das zeigte auch die bis zum 4. Februar dieses Jahres laufende Ausstellung direkt im Innenministerium, die sich auch selbstkritisch mit der Rolle der Polizei damals auseinandersetzte. Die Proteste damals gegen das Schattendorfer "Schandurteil" eskalierten auch wegen des Einsatzes berittener Polizei. Die Polizeikräfte waren den Protestierenden, aus einer Fehleinschätzung ihrer Führung heraus, zunächst zahlenmäßig weit unterlegen gewesen.

Der Stadthauptmann von Wien, Albert Tauß, reagierte panisch: Er ließ gegen die zunächst nur rund 500 Demonstranten vor Justizpalast und Parlament mehrere, völlig kopflose "Reiterattacken" reiten. Die Demonstranten wichen zurück, jedoch "voller Empörung, dass gegen sie in ihrem Wien, ihrem 'roten Wien' Polizeikavallerie vorgehe", schrieb Zeithistoriker Gerhard Botz in dem 2001 erschienenen, von Norbert Leser und Paul Sailer-Wlasits herausgegebenen Buch Als die Republik brannte. Die Arbeiter sammelten sich erneut, die Kämpfe mit der Polizei wurden intensiver. Die Folgen waren verheerend: 89 Tote und hunderte Verletzte – in großer Mehrheit aufseiten der Protestierenden – waren die Folgen.

Dass der FPÖ-Innenminister dennoch ankündigte, er wolle berittene Einheiten künftig auch bei Demonstrationen einsetzen, irritiert daher, über 90 Jahre später, nicht nur politische Gegner.

Sympathieträger

Von der täglichen Praxis moderner Polizeiarbeit anno 2018 sei das freilich weit entfernt, betont Andreas Freundorfer, der Kickl am Donnerstag durch die Stallungen führte. Seit sechs Jahren leitet der Polizeihauptkommissar die Dienststelle PI ED 4 – Reiterstaffel der bayerischen Polizei in München. Reiter und Pferde versehen vor allem Streifendienst: Drei Doppelstreifen täglich im Englischen Garten sollen das "subjektive Sicherheitsgefühl" der Menschen stärken. Die Reaktionen seien großteils sehr positiv, beteuert Freundorfer im Gespräch mit dem STANDARD: "Pferde sind die größten Sympathieträger, die die Polizei hat. Menschen sprechen uns an, wollen die Tiere streicheln, uns fotografieren." Selbst tendenziell gewaltbereite Menschen würden angesichts der teils riesenhaften, aber extrem ruhigen Tiere "wieder friedlich", erklärt Freundorfer.

Auch im "Einsatzgeschehen", der sogenannten "crowd control", sind Reiterstaffeln präsent: etwa bei Fußballspielen oder auch am kommenden Wochenende, bei der Sicherheitskonferenz. Allerdings: "In Extremsituationen bleiben wir im Hintergrund", sagt Freundorfer.

Arbeit im Hintergrund

Das Bild vom schlagstock-schwingenden Reiter, der sein Ross alles niedertrampeln lasse, müsse er einmal korrigieren, sagt Freundorfer: "Wenn es zu Tumulten kommt, sind wir in erster Linie damit beschäftigt, unsere Tiere zu kontrollieren und aus der Gefahrenzone zu bringen." Pferde sind und bleiben, selbst wenn sie gut trainiert sind, Fluchttiere – dem müsse man Rechnung tragen, sagt der Reiterstaffelchef. Es gelten einerseits die "neun ethischen Grundsätze des Pferdefreundes" der Deutschen Reiterlichen Vereinigung. Andererseits auch die Menschenrechte: Mit Gummiknüppeln von oben auf Demonstrantenköpfe zu hauen sei "mit unserem Rechtsverständnis nicht vereinbar", betont Freundorfer. Schlagstock von oben bedeute automatisch, dass man auf den Kopf ziele: "Das wäre vorsätzliche schwere Körperverletzung."

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Wenn also Pferde eher zur Hebung des Sicherheitsgefühls in der Bevölkerung oder präventiv eingesetzt werden, passten sie vielleicht sogar zur "3-D-Strategie" der Wiener Polizei, mit der man "seit Jahren gut gefahren" sei, wie Polizeisprecher Hans Golob bestätigt: Dialog, Deeskalation und erst in letzter Konsequenz Durchgreifen. Das ist auch das Selbstbild der Münchner Polizeireiterstaffel.

Aufwand und Kosten

Bleibt die Frage nach den Kosten: In München kauft man von mehreren Züchtern, pro Pferd steht ein Anschaffungsbudget von 7.000 Euro zur Verfügung. Dazu kommen monatliche Fixkosten von 300 Euro pro Pferd. Damit sind Futter, Einstreu, Hufschmied und Tierarzt abgedeckt, nicht enthalten sind die Kosten für Personal (Tierpfleger, Stallpersonal, sowie die Polizeibeamten selbst). Ebenso nicht enthalten ist Miete, da die Stallungen in München-Riem dem Staat Bayern gehören. Zum Vergleich: Die an Rosenheim ausgeborgten Pferde kosten, allein wegen der dort fälligen Stallmiete, bereits 750 Euro pro Monat.

Die Ausbildung von Pferden und Reitern ist aufwendig. Die vier- bis sechsjährigen Wallache sind lediglich angeritten, Vielseitigkeits- und Gewöhnungstraining passieren vor Ort in Riem. Reiter und Pferde werden gemeinsam ausgebildet, da sie ein harmonisches Team bilden sollen. Tier und Mensch brauchen rund ein Jahr, bis sie gemeinsam auf Streife gehen können.

Die Frage, ob in Österreich überhaupt genügend Polizisten gut genug reiten können, um binnen eines Jahres einsetzbar zu sein, beantwortet der Polizeisportverein (eine private Vereinigung) eindeutig mit Ja: Major Thomas Maier, Leiter der Reitersektion: "Ich kenne mindestens zehn Polizistinnen und Polizisten, die das aus dem Stand könnten." (Günther Oswald, Petra Stuiber, 15.2.2018)