Bild nicht mehr verfügbar.

Französische Frauenministerin Marlène Schiappa trat demonstrativ mit Umweltminister Nicolas Hulot auf, dem Vergewaltigung vorgeworfen wird.

Foto: Reuters/Charles Platiun

Marlène Schiappa kann – und muss – viel einstecken. In einer Zeitschrift wurde die 35-jährige Feministin schon als "heiße Pantherin" bezeichnet. Ein Newsportal nannte sie "Königin der Schlampen". Das soll ironisch gemeint sein: 1971 hatten in Paris die legendären "343 Schlampen" um Simone de Beauvoir, Marguerite Duras und Jeanne Moreau ein Manifest für den Schwangerschaftsabbruch veröffentlicht. Schiappas Etikett bezieht sich auch auf Sexratgeber wie Wagen Sie die Liebe mit Molligen, die Schiappa 2010 beim Erotikverlag La Musardine herausgegeben hat.

Als Schiappa im vergangenen Sommer Staatssekretärin für Gleichberechtigung unter dem neuen Präsidenten Emmanuel Macron wurde, legte das größte Pariser Magazin L'Express nach: Die verheiratete Mutter zweier Töchter habe früher unter einem Pseudonym auch sehr erotische Romane verfasst. Die Angesprochene schwieg im beruhigenden Wissen, dass ihr Blog Maman travaille (Mama arbeitet) viel bekannter war: Millionen von Französinnen lasen und lesen immer noch ihre Tipps, wie man erziehen und zugleich arbeiten kann. Immer wieder erinnert sie aber auch an den verdrängten Umstand, dass in Frankreich jedes Jahr weit über 200.000 Frauen Opfer sexueller oder physischer Gewalt ihrer eigenen Männer werden; und dass jährlich über hundert Frauen von diesen umgebracht werden.

"Die Straflosigkeit für sexuelle Verbrechen in Frankreich muss ein Ende haben", bekräftigte Schiappa auch seit Ausbruch der Weinstein-Affäre. In einer stark mediatisierten Causa um den Tod einer jungen Frau namens Alexia Daval bezichtigte die Ministerin deren Ehegatten des "Mordes", noch bevor die Justiz den Tatbestand genannt, geschweige denn ein Urteil gefällt hatte. Schiappa wurde im ganzen Land wegen "Vorverurteilung" gescholten und musste zurückkrebsen.

Vorwürfe gegen Minister

Nun stellt sich Schiappa allerdings schützend vor zwei Regierungskollegen, die der Vergewaltigung beschuldigt werden. Ein Verfahren gegen Budgetminister Gérald Darmanin (35) wurde am Wochenende eingestellt, weil die Klägerin nicht beweisen konnte, dass sie sich gegen ihren Willen mit ihm eingelassen hatte. Anhängig bleibt die Klage einer zweiten Frau, die Darmanin vorwirft, er habe sich – wie im ersten Fall – im Gegenzug für einen politischen Gefallen an ihr vergangen. Das Magazin Ebdo berichtete ferner, dass zwei Frauen – darunter die Präsidentenenkelin Pascale Mitterrand – auch den populären Umweltminister Nicolas Hulot (62) der Vergewaltigung bezichtigen. Dazu befragt, äußert Schiappa nicht etwa Verständnis für den Standpunkt der Frauen, die von zahlreichen Feministinnen unterstützt werden, und plädiert auch nicht mehr für das Ende der Straflosigkeit von Sexualverbrechen, sondern pocht auf die Unschuldsvermutung für die Minister. In der Nationalversammlung trat sie demonstrativ an Hulots Seite auf.

Kehrt die Frauenministerin Opfern sexueller Gewalt den Rücken, um auf Weisung aus dem Élysée ihre Regierungskollegen zu decken? Die Lage ist komplexer: Die beiden Minister verweisen auf die Absenz jeglicher Belege und haben Gegenklagen wegen Rufmordes eingereicht. Das einzige Belastungsmaterial sind offenbar die Aussagen der Opfer.

Anders ist es im Fall des Islamwissenschafters Tariq Ramadan: Er sitzt seit Tagen in einem Pariser Gefängnis, weil die Justiz über materielle Indizien gegen ihn zu verfügen scheint.

Schiappas Gegner werfen ihr vor, in den Fällen mit zweierlei Maß zu messen. Auch wenn später ein Freispruch erfolge, sei die Karriere bereits ruiniert, meint der konservative Philosoph und Exminister Luc Ferry, der sich damit auf Schiappas Seite stellt.

Schutz der Privatsphäre

Ihre Position in jedem einzelnen Fall scheint nachvollziehbar. Mit dem Korpsgeist in der Regierung lässt sie sich kaum erklären. Aber das grundsätzliche Dilemma kann die Staatssekretärin auch nicht auflösen: Die MeToo-Enthüllungswelle kollidiert gerade in Paris mit dem Schutz der Privatsphäre – und der Gefahr einer medialen Vorverurteilung vor jedem Justizentscheid. Das zeigt die verbreitete französische Kampagne #BalanceTonPorc – zu Deutsch "Verpfeif dein Schwein". Schiappa hat sich davon nie abgegrenzt. Oder erst, als ihre beiden Ministerkollegen "verpfiffen" wurden. (Stefan Brändle aus Paris, 18.2.2018)