Mohsin Hamid, "Exit West". Aus dem Englischen von Monika Köpfer. € 22,70 / 224 Seiten. DuMont, Köln 2017

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In einer von Flüchtlingen wimmelnden Stadt, in der es überwiegend noch friedlich zuging oder jedenfalls kein offener Krieg herrschte" – so beginnt der Roman Exit West des pakistanischen Autors Mohsin Hamid, der so realistisch geschildert ist, dass man unweigerlich an den Schauplatz Syrien und später die große Flüchtlingsbewegung des Jahres 2015 denkt. Die namenlose Stadt liegt in einem muslimischen Land, das unmittelbar vor dem Bürgerkrieg steht. Noch lässt sich ohne Einschränkungen leben, aber von Tag zu Tag wird alles fragiler.

Als Saeed, der in einer Werbeagentur arbeitet, Nadia kennenlernt, beginnt er noch als ganz gewöhnliche Liebesgeschichte, auch wenn beide in Sachen Religion weit auseinanderliegen. Der Traum einer gemeinsamen Zukunft ist ohnehin zaghaft genug. Als dann der Krieg kommt, "militante Extremisten" ein Viertel nach dem anderen erobern, Häuser zerstört werden und Menschen spurlos verschwinden, ist es für das junge Paar höchste Zeit, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und die Flucht in den Westen zu organisieren.

Konfliktstoff Migration

Das muss nicht in Syrien sein und mit dem IS (Terrormiliz "Islamischer Staat, Anm.) zu tun haben, dieses Szenario kann sich fast überall im Nahen Osten bis Afghanistan abspielen – der Roman ist vielmehr eine Parabel auf den Konfliktstoff Migration in Zeiten der Globalisierung. So allgemeingültig sind Handlungsmuster und Chiffren: Die Schlepper heißen "Agenten", die Fluchtmöglichkeiten sind "Türen", durch die man in eine andere, scheinbar bessere Welt entschwindet. Jedes Mal, wenn eine solche Tür durchschritten wird, macht die Handlung einen Schnitt: Man blättert um, und Nadia und Saeed wachen in einem Flüchtlingslager auf Mykonos auf, beim zweiten Mal, als sie durch die Tür gehen, finden sie sich in einem Schlafzimmer in London wieder.

Das hat, bei aller realistischen Zeichnung, etwas Märchenhaftes, und tatsächlich bewegt sich der Roman in Richtung einer düsteren Politfantasy: Auf Mykonos hören sie in den Nachrichten von Terroranschlägen in Wien, und in London brechen Straßenkämpfe aus, als immer mehr Migranten anfangen, sich zu bewaffnen und Häuser zu besetzen. Das ist programmiertes Chaos mit viel Gewaltpotenzial, das schließlich in jeder europäischen Großstadt vorstellbar ist und das der Autor einfach geschehen lässt, weil Türen, wie er schreibt, nicht zugesperrt werden können und weil sich immer wieder neue Türen öffnen.

Keine Lösung

Am Ende brechen die Gesellschaften auseinander, Nationen werden bedeutungslos, den Europäern bleibt nur, sich zu arrangieren: So verschwindet bald auch der geschützte Grüngürtel um London herum, weil ein Ring neuer Städte errichtet wird, Migrantenghettos. Das muss einem nicht gefallen, und auch der Autor hat dieser Vision wenig entgegenzusetzen. Dass er die Handlung in eine versöhnliche Nachgeschichte münden lässt, ist nur ein kleiner Ausblick, keine Lösung des Problems. (Gerhard Zeillinger, Album, 19.2.2018)