Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Frau Meinl-Reisinger, Feministin sind Sie, wenn es darum geht, dass Sie das Tragen einer Burka ablehnen. Werden Frauenquoten diskutiert, argumentieren Sie unternehmerfreundlich. Warum tun sich Konservative und Liberale mit klassischen Frauenrechtsforderungen so schwer?

Meinl-Reisinger: Sie picken ein Zitat raus, es gibt genügend andere. Ich wehre mich dagegen, dass es guten und schlechten Feminismus gibt. Manche Frauenrechtsforderungen sind nichts anderes als linke sozialpolitische Ideen, die ich nicht teile, weil ich sie für kontraproduktiv halte. Es ist mir schon abgesprochen worden, Feministin zu sein, nur weil ich für Studiengebühren bin. Feminismus ist eine grundsätzliche Haltung: Frau sollen selbstbestimmt ihr Leben gestalten können – in Freiheit und auch in ökonomischer Unabhängigkeit. Das ist eine tief liberale Forderung und feministisch. Ich sage aber auch immer: Wenn man gegen Zwangsmaßnahmen wie beispielsweise die Quote auftritt, dann muss man beweisen, dass es auch ohne geht – wie wir Neos.

STANDARD: Nicht nur Beate Meinl-Reisinger, auch alle türkis-blauen Ministerinnen wollen das Frauenvolksbegehren nicht unterschreiben. Sie fordern darin unter anderem eine 30-Stunden-Woche für alle und kostenlose Abtreibung – handelt es sich um ein Projekt von und für Linke?

Schifteh Hashemi, Sprecherin des Frauenvolksbegehrens, warnt vor der Rosa-Blau-Falle.
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Hashemi: Definitiv nicht. Wir sind eine breite Bewegung an jungen Frauen und auch Männern. Es geht uns um echte Wahlfreiheit. Die spießt sich derzeit oft mit den Strukturen, in denen wir leben. Frauen, die nach einer Geburt länger zu Hause bleiben möchten, sollen das können, ohne am Lebensabend in der Altersarmut zu enden. Es soll aber genauso möglich sein, nach wenigen Monaten zu sagen: Ich möchte wieder zurück und Vollzeit arbeiten. Es ist toll, wenn die Neos es ohne Quote schaffen. Die Realität ist aber eine andere. Frauen mit weniger Privilegien, die keine Akademikerinnen sind oder von ihren Eltern nicht von Anfang an dieses Selbstbewusstsein mitbekommen haben – die bekommen weniger Chancen. Studien aus Schweden zeigen: Mehr Frauen auf Wahllisten bedeutet, dass minderqualifizierte Männer rausfallen und qualifizierte Frauen nachrücken.

Meinl-Reisinger: Vieles von dem, was Frau Hashemi sagt, unterstreiche ich auch. Das ist ja auch mein grundsätzlicher Schmerz. Ich finde es großartig, dass wieder über wichtige Frauenthemen gesprochen wird. Aber gerade deshalb finde ich dieses Volksbegehren so problematisch. Manche Forderungen sind frauenpolitisch sogar höchst bedenklich. Selbstermächtigung kann nur über die eigene Erwerbsarbeit erkämpft werden – und die ist nun einmal den Gesetzen der Marktwirtschaft unterworfen. Dass Nichtakademiker weniger Chancen haben, gilt auch für Männer. Das sind grundsätzliche Themen einer sich verändernden Arbeitswelt, die es erfordert, dass wir über neue Bildungs- und Ausbildungswege nachdenken – für alle, nicht nur Frauen.

Hashemi: Wir sagen auch im Gegensatz zum ersten Frauenvolksbegehren: Ohne Männer geht es nicht. Mit der schrittweisen Arbeitszeitverkürzung erkennen wir aber einfach die Realität an, dass fast eine Million Frauen in Österreich in Teilzeit arbeiten, zwei Drittel wegen Kinderbetreuung oder Pflege. Ihnen bloß zu sagen, dass sie mehr arbeiten sollen, funktioniert nicht.

Meinl-Reisinger: Sie müssen doch auch die budgetären und wirtschaftlichen Realitäten anerkennen. Mein Mann arbeitet Teilzeit, und das soll er auch können. Er darf aber nicht gezwungen sein, weil Vollzeit auf einmal nur 30 Stunden heißt. Auch Unternehmen kann man nicht zu einer 30-Stunden-Beschäftigung zwingen. Mit diesen realitätsfernen Utopien schaden Sie der Sache. Viele können hier nicht mitgehen, weil Ihre Forderungen unrealistisch sind, Arbeitsplätze zerstören, Wachstumschancen und letztlich auch die Chancen von Frauen vernichten. In meinem Fall ist das Glas letztendlich halb leer, und ich will nicht unterzeichnen.

Beate Meinl-Reisinger, Vizechefin der Neos und bekennende Feministin, mag zwar keine Quoten, aber spricht gerne darüber.
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Hashemi: Dann haben Sie das grundsätzliche Anliegen des Volksbegehrens nicht erkannt. Wir sind keine politische Partei. Wir Frauen dürfen auch mal sagen, wir haben Visionen für ein besseres Leben für alle. Unsere Ideen und Ziele müssten ja ohnehin erst einmal im Nationalrat diskutiert werden. Es geht darum, Problembewusstsein für diese Themen zu schaffen, und diesen Anker werfen wir.

STANDARD: Was hätten Männer konkret davon, wenn das Frauenvolksbegehren umgesetzt wird?

Hashemi: Männer haben ganz viel davon. Eine meiner Lieblingsforderungen ist "Vielfalt leben". Da geht es darum, bei jungen Menschen anzusetzen. Ich finde es furchtbar, dass schon Dreijährige mit so stereotypen Bildern konfrontiert werden, die sie ihr restliches Leben beeinflussen. Diese Rosa-Blau-Falle, wie ich sie gerne nenne, die greift total früh. Männlichkeit hat unterschiedliche Gesichter. Man muss nicht immer Topmanager werden. Aber es gibt in Medien wenige Rollen für Männer. In einem Schulbuch habe ich letztens einen Lückentext gesehen, wo stand, dass Papa am Abend nach Hause kommt und das Kind ihn kaum sieht. Die Mama kocht. Genauso bei der Kinderbetreuung: Ich kenne viele junge Männer, die gerne mehr Zeit zu Hause bei den Kindern verbringen würden, aber es geht meistens derjenige in Karenz, der weniger verdient. Das ist eine ökonomisch-rationale Entscheidung.

Meinl-Reisinger: Deswegen haben wir ja das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld eingeführt.

Hashemi: Das ist ein erster Schritt, mehr aber auch nicht.

Meinl-Reisinger: Jedes Kind ist gleich viel wert, das werden alle unterschreiben, aber nicht jedes Kind verursacht gleich viel Einkommensverlust. Wir müssen Anreize schaffen, damit Väter in Karenz gehen. Die Politik kann da was machen, das sieht man an den nordischen Staaten. Es ist aber ein Prozess, bei dem sich die Gesellschaft mitentwickeln muss. Mit Zwang kommen wir nicht weiter.

STANDARD: Zurück zur "Rosa-Blau-Falle" und zu Stereotypen, die aufgebrochen werden sollen – können Sie da mitgehen?

Meinl-Reisinger: Mir ist das selbst wahnsinnig auf die Nerven gegangen: Versuchen Sie einmal, etwas nichtrosafarbenes für Töchter zu bekommen. Also von der Stange. Wenn man in hippe Bobo-Läden geht, wird man genügend Auswahl haben. Aber abseits davon ist es schwierig. Sensibilität ist wichtig, und ich finde es gut, wenn Pädagogen hier sensibel sind, aber auch da würde ich mir manchmal mehr Entspanntheit wünschen. Es ist alles immer so verkrampft. Ich habe Angst vor einer überscharfen PC-Kontrolle (Political Correctness, Anm.) und der Zensur von Schulbüchern.

Schifteh Hashemi und Beate Meinl-Reisinger bezeichnen sich beide als Feministinnen.
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Hashemi: Ich finde das schon schade, dass immer dieser Vorwurf einer PC-Kontrolle kommt. Das stimmt einfach nicht. Feminismus hat viele Spielarten. Anderen Frauen vorzuwerfen, sie kommen mit der Moralkeule, ist doch unnötig. Ich möchte einfach, dass sich alle frei entwickeln können.

STANDARD: Sie sind gegen den erhobenen Zeigefinger und Sanktionen, aber können Sie sich vorstellen, dass Unternehmen und Parteien belohnt werden, wenn Frauenquoten erfüllt werden?

Meinl-Reisinger: Das kann ich mir sogar sehr gut vorstellen. In Wien gibt es einen Bonus bei der Klubförderung, wenn ein gewisser Frauenanteil erfüllt wird. Das wäre auch im Nationalrat sinnvoll. Bei Unternehmen ist die Frage, welche Anreize man setzen kann. Der stärkste Anreiz ist, ökonomisch erfolgreich zu sein. Aber bisweilen finde ich die Diskussion über Quoten ja gut. Das Drohpotenzial spornt viele zur Selbstverpflichtung an.

STANDARD: Bei all den Einsprüchen, war der ambitionierte Forderungskatalog ein Fehler?

Hashemi: Absolut nicht. Unser Bundeskanzler, Sebastian Kurz, hat kürzlich gesagt, Hetze sei genauso falsch wie Träumerei. Da bin ich ganz anderer Meinung. Aus Träumen, Visionen und Utopien ist schon ziemlich viel entstanden – so ziemlich alles, was wir heute für selbstverständlich halten. Das wird auch mal mit der Gleichwertigkeit der Frau so sein.

Meinl-Reisinger: Die Vision teile ich ja. Auf den Weg dorthin, da einigen wir uns nicht.

Hashemi: Wir haben keine Angst vor Widerspruch. An einem Stammtisch ist eine FPÖ-Gemeinderätin zu uns gekommen, die gemeint hat, dass sie es zwar nicht unterschreiben wird, aber schon gut findet, dass es das Volksbegehren gibt. Andere meinen, es sei ökonomisch fetzendeppert. Ich sehe das gelassen. Als Frau wird man ja ständig unterschätzt. Wir haben genug Zahlen und wirtschaftliche Daten im Gepäck. (INTERVIEW: Katharina Mittelstaedt und Verena Richter, 17.2.2018)