München/Jerusalem/Warschau – Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat mit einer Äußerung über "jüdische Täter" in der NS-Zeit für Empörung gesorgt. Morawiecki sagte am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Zusammenhang mit dem umstrittenen polnischen Holocaust-Gesetz, dass es in der NS-Zeit neben deutschen auch polnische, russische, ukrainische und "jüdische Täter" gegeben habe.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu verurteilte die Bemerkung als "empörend". "Hier haben wir ein Problem der Unfähigkeit, Geschichte zu verstehen, sowie fehlendes Gefühl für die Tragödie unseres Volkes", twitterte Netanyahu, der ebenfalls an der Sicherheitskonferenz teilnimmt, in der Nacht auf Sonntag. Er kündigte an, "unverzüglich" mit seinem polnischen Kollegen über die Äußerung sprechen zu wollen.

Jüdischer Weltkongress empört

Auch der Jüdische Weltkongress (WJC) äußerte sich empört über die "absurde und unverschämte" Aussage Morawieckis. "Polens Regierungschef hat erschreckende Ignoranz gezeigt mit seiner unverschämten Behauptung, dass sogenannte jüdische Täter zum Teil verantwortlich waren für den Versuch der Nazis, das europäische Judentum auszurotten", schrieb WJC-Präsident Ronald Lauder in einer Erklärung. Dies komme einem Versuch der Geschichtsfälschung gleich.

Morawiecki hatte in München das umstrittene Holocaust-Gesetz seines Landes verteidigt. In den vergangenen Jahren sei fälschlicherweise immer wieder von "polnischen" Konzentrations- und Vernichtungslagern die Rede gewesen, sagte Morawiecki nach seiner Rede auf Nachfrage eines israelischen Journalisten. Diese Gräueltaten auf polnischem Boden seien aber von Nazi-Deutschland organisiert worden.

Israel: Versuch zu verschleiern

Da es in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg keinen unabhängigen polnischen Nationalstaat gegeben habe, sei nicht ausreichend deutlich gemacht worden, dass die Judenvernichtung nicht von Polen ausgegangen sei, führte Morawiecki weiter aus. Seine Regierung könne es nicht länger zulassen, "dass die Täter mit den Opfern vermischt werden".

Das neue Gesetz verbiete es anders als mitunter dargestellt aber nicht, auch über die Mitschuld einzelner Polen am Holocaust zu sprechen. Es werde nicht strafbar sein, "wenn man sagt, es gab auch in Polen Täter", sagte Morawiecki. "Es gab ja auch jüdische Täter, es gab russische Täter, ukrainische Täter – nicht nur Deutsche."

Das neue Gesetz verbietet es unter anderem, die NS-Todeslager im besetzten Polen fälschlicherweise als "polnische Lager" zu bezeichnen. Es sieht aber auch Geldstrafen und bis zu drei Jahre Gefängnis vor, wenn der "polnischen Nation oder dem polnischen Staat" eine Mitschuld an den Nazi-Verbrechen gegeben wird. Die nationalkonservative Regierung in Warschau will damit verhindern, dass Polen eine "Kollaboration" mit den NS-Besatzern vorgeworfen wird.

Die israelische Regierung sieht in dem Gesetz einen Versuch, die individuellen Verbrechen von Polen an Juden im Zweiten Weltkrieg zu verschleiern. Sie befürchtet zudem negative Konsequenzen für Holocaust-Überlebende, die derartige Fälle zur Sprache bringen. Die USA schlossen sich der Kritik aus Israel an.

Warnung an Iran

Scharfe Worte fand Netanyahu auch Richtung Iran. "Testen Sie uns nicht", sagt Netanyahu am Sonntag bei der Sicherheitskonferenz.

Er richtete seine Worte dabei direkt an den ebenfalls anwesenden iranischen Außenminister Mohammad Javad Zarif. Netanyahu hielt dabei ein Metallteil hoch, das nach seinen Worten Teil einer Drohne war, die in den israelischen Luftraum eingedrungen war.

"Herr Zarif, erkennen Sie das? Sie sollten es. Es gehört Ihnen", sagte er an die Adresse des iranischen Außenministers, der später sprechen sollte. "Stellen Sie Israels Entschlossenheit nicht auf die Probe", warnte er ihn.

Israel verurteilt Beschwichtigungspolitik

Israel hatte am vorvergangenen Samstag eine Serie von Angriffen in Syrien geflogen und dabei nach eigenen Angaben syrische und iranische Stellungen ins Visier genommen. Auslöser der Luftangriffe war nach Angaben Israels eine iranische Drohne, die von Syrien aus in den israelischen Luftraum eingedrungen sei. Zuvor war ein israelischer Kampfjet über Syrien beschossen worden und auf israelischem Territorium abgestürzt.

Israel werde es nicht zulassen, dass der Iran eine "dauerhafte militärische Präsenz in Syrien" aufbaut, sagte Netanyahu. "Wir werden es nicht zulassen, dass der Iran eine neue Terrorbasis aufbaut, die uns bedroht." Netanyahu warnte, Israel werde "wenn nötig" nicht nur die "Stellvertreter" des Iran bekämpfen, sondern "auch den Iran selbst angreifen". Teheran unterstützt in Syrien die schiitische Hisbollah-Miliz, die an der Seite von Präsident Bashar al-Assad kämpft.

Das Atomabkommen mit dem Iran verurteilte Netanyahu als zum Scheitern verurteilte Beschwichtigungspolitik "Der Iran ist die größte Bedrohung auf der Welt", sagte er. "Lassen Sie uns die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen: Beschwichtigungspolitik funktioniert nie."

"Countdown habe schon begonnen"

Der Ministerpräsident spielte damit auf das Münchner Abkommen von 1938 an, mit dem Großbritannien und Frankreich der erzwungenen Abtretung des Sudetenlandes von der Tschechoslowakei an Deutschland zustimmten. Die Vereinbarung wurde zum Symbol der Beschwichtigungspolitik, mit der Großbritannien und Frankreich versuchten, das Großmachtstreben des damaligen Reichskanzlers Adolf Hitler durch Zugeständnisse einzuhegen.

Der Iran sei nicht gleichzusetzen mit Nazi-Deutschland, stellte Netanyahu klar. Atomar bewaffnet werde das Land aber unkontrollierbar sein. "Schauen Sie, was der Iran jetzt macht – und dann stellen Sie sich vor, was er mit Atomwaffen machen würde", warnte er.

Teheran arbeite weiter an der Entwicklung ballistischer Raketen, betonte Netanyahu. "Sobald dem Iran Atomwaffen zur Verfügung stehen, kann seine Aggression nicht mehr kontrolliert werden", sagte Netanyahu. Der "Countdown" habe schon "begonnen".

Zugleich habe die vom Iran ausgehende Gefahr einen "positiven Effekt", weil sie Israel und die arabischen Länder in der Region näher zusammengebracht habe, sagte Netanyahu. Vielleicht entstehe daraus sogar eine "größere Chance" für einen Frieden mit den Palästinensern.

Es ist Netanyahus erster Besuch in Deutschland seit den Verstimmungen in den deutsch-israelischen Beziehungen Anfang vergangenen Jahres. Nach der Verschiebung der deutsch-israelischen Regierungskonsultationen, offenbar aus Verärgerung der deutschen Bundesregierung über Israels fortgesetzte Siedlungspolitik, sorgte anschließend im April die Absage eines Treffens mit Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) durch Netanyahu für Irritationen.

Der Grund war damals, dass sich der deutsche Gast in Israel auch mit Vertretern der regierungskritischen Nichtregierungsorganisationen Breaking The Silence und B'Tselem getroffen hatte. Bei einer Reise Gabriels Anfang dieses Jahres empfing Netanyahu seinen Gast dann jedoch. (APA/AFP, 18.2.2018)