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Auf dem Weg zu der zweiten Goldenen bei den Spielen in Pyeongchang.

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Triumph.

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Freude.

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Präsentation der Gold-Sammlung.

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Wien – Man muss aufpassen. Zu leicht gerät ein Text über Marcel Hirscher ins Hymnische. Oder, noch schlimmer, in den Tonfall eines Nachrufes. Denn tatsächlich lässt sich ja kaum reden über den am 2. März erst 29 Jahre alt werdenden Salzburger, ohne in der Erfolgsbilanz eines wahrlich erfüllten Rennläuferlebens kramen zu müssen: 55-facher Sieger in Weltcuprennen, sechsfacher Gesamtweltcupsieger, sechsfacher Weltmeister. Und nun, nach der alle Welt so schwer beeindruckenden Fahrt zu Riesentorlauf-Gold, Doppelolympiasieger.

Vor ihm verneigt der Zirkus sich. Henrik Kristoffersen, Hirschers norwegischer Dauerrivale und mit seiner überragenden Fahrt vom zehnten Halbzeitrang zu Silber selber eine Märchenfigur dieses Rennens, meinte: "Marcel ist unschlagbar im Moment im Riesentorlauf. Wir anderen kämpfen nur um Silber und Bronze." Letzteres ging an den Franzosen Alexis Pinturault.

Rekordvorsprung

Dass neben Hirscher alle anderen gewissermaßen unter "ferner liefen" laufen, drückt sich auch in der Zeit handfest aus. Zwischen ihm und dem silbernen Kristoffersen liegen 1,27 Sekunden. Das ist der größte Abstand in einem olympischen Riesentorlauf seit einem halben Jahrhundert; seit Grenoble 1968, als Hausherr Jean-Claude Killy dem Schweizer Willy Favre 2,22 Sekunden abnahm.

Das sind Dimensionen, die schon beeindrucken. Marcel Hirscher selbst, der nach seinem Kombinationsgold gemeint hatte, der Druck sei weg, nun endlich jenes olympische Gold holen zu müssen, das ihm auf dem Weg in die Unsterblichkeit noch gefehlt hat, war überwältigt von seiner Perfektion, die abzustreiten ja gar nicht möglich gewesen wäre: "In der Kombi war es überraschend, das jetzt war so die erhoffte und erwartete Medaille. Wenn man das dann umsetzen kann, ist das schon mega und cool."

Auch im eigenen Team ist Marcel Hirscher längst ein eigenes Team. Für den Verband zahlt sich das – wie, erst umstritten, bei Anna Veith oder einst bei Hermann Maier – sehr aus. Die Vorstellung, Hirscher wäre auf der eisigen Piste aus- und dann nur hinuntergerutscht, wäre ein Albtraum für die Erfolgsverwöhnten. Zwei des Viererteams – Manuel Feller und Christian Hirschbühl – scheiterten im ersten Durchgang. Stefan Brennsteiner stürzte im zweiten nach wackerer Fahrt und verletzte sich dabei schwer.

Präsidentenlob

So aber konnte der zuletzt ja einigermaßen genamelte ÖSV-Präsident jubeln: "Er ist ein Verrückter!" Das ist in der Sicht des Peter Schröcksnadel mehr als nur "ein wilder Hund". Und deshalb kann der diesbezüglich nicht ganz unähnliche Schröcksnadel sagen: "Marcel ist der Größte!" Im übertragenen Sinn.

Peter Schröcksnadel, das zuletzt etwas ramponierte Bergwinter-Marketinggenie, hatte also die Hymne bereits angestimmt. Die gilt klarerweise auch dem ÖSV selbst, in dem ja die wilden Hunde und die Verrückten so sehr wachsen, dass ein paar vielleicht an die Wiener Fußballvereine als Mentalcoaches verliehen werden könnten; um die dortigen Diven zu lehren, wie es sich lebt unter ständigem Druck.

Schröcksnadel sagt das so: "Jeder, der einmal Rennen gefahren ist, weiß, wenn er da oben steht, was in einem vorgeht. Unglaublich, wie er das wegsteckt." Hirscher, den man sich druckverhältnismäßig auch als Apnoetaucher vorstellen kann, meint: "Unter Druck funktionieren wir alle am besten, so schaut's aus."

Spannungsaufbau

Na ja, ganz so ist es auch wieder nicht. Schon nach Kombigold wusste er nicht, ob er noch die Spannung aufbauen könne für den Riesentorlauf. Und nun sagt er, er fühle schon, "wie der Saft ausgeht".

Hirscher – ein ziemlicher Materialtüftler – braucht Einsamkeit auf dem Trainingshang. Hier dagegen wurlt es stets. "Wenn ich nicht so viel Erfahrung hätte, hätte ich durchgedreht in den letzten drei Tagen. Es ist so arg, das bist du nicht gewöhnt. Es sind 25 Leute auf dem Kurs, die Strecke ist super, aber das hilft dir nichts, wenn es nicht so hergerichtet ist wie die Rennstrecke."

Dennoch habe sein Team die Sache mit Bravour gemeistert. Beim freien Fahren auf der Rennstrecke am Samstag sei alles gut gelaufen und das perfekte Set-up für die speziellen Schneebedingungen gefunden worden. "Ich habe gespürt, der Rennski pfeift, das funktioniert, das passt."

Er selber könne nicht mehr als Ski fahren. Zu dem, was auf der Piste sich ereignet – die Höllenmaschine Marcel – gehöre aber ein wohlabgestimmtes Team. "Meine Leute reißen sich den Arsch auf, dass ich das beste Zeugs, die besten Infos habe. Mehr können wir alle nicht tun, wir können nicht zaubern." Na ja.

Reisüberdruss

Am Donnerstag wartet der Slalom. Bis dahin muss der, der nicht mehr tut als Ski fahren, wieder die Rennspannung aufbauen. Und die Maschine Hirscher ins Laufen kommen: "Ich habe ein großartiges Team um mich, großartige Techniker, Serviceleute, Trainer." Und: "Wir sind am Höhepunkt. Je älter wir werden, desto besser sind wir. Es kommt ein Wendepunkt, sicher, aber die Erfahrung hilft mir sehr viel in dieser Saison."

Die Saison, die mit einem Knöchelbruch im August begann, hat enorme Kraft – und eben auch Saft – gekostet. Nun geht es gewissermaßen ums Eingemachte der Geschichtsschreiber. Drei Olympiagoldene hatten bisher nur Toni Sailer 1956 und Killy 1968. Hirscher: "Ich bin dankbar, dass ich zwei Goldene habe. Es ist mir bewusst, dass ich eine höhere Ebene erreicht habe."

Die hilft ihm nichts auf der Ebene des In-Korea-Seins. "Ich zähle schon die Tage. Und sorry, Freunde Asiens, aber ich kann keinen Reis mehr sehen." (APA, wei, 18.2.2018)