"Ist ein Gutachten nicht gut, / kann's leicht sein, dass es verschwinden tut", sangen die Biermösl Blosn schon vor einem Vierteljahrhundert. Die Praxis, unwillkommene Fachmeinungen unter den Tisch fallen zu lassen, ist allerdings nicht nur in Bayern verbreitet.

Die türkis-blaue Regierung, die mit dem Anspruch "neu regieren" angetreten ist, beweist derzeit, dass sie eher altbayerisch regiert: Eine kritische Stellungnahme von Experten des Außenministeriums zur Kürzung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder wurde auf politischen Druck hin vom Netz genommen.

Die Kenner des Europarechts hatten nämlich darauf hingewiesen, dass die von der Regierung ausformulierte und in Begutachtung geschickte Neuregelung vor dem Europäischen Gerichtshof wahrscheinlich nicht halten wird. Dieser hatte bereits in anderen Fällen erkannt, dass derartige Gesetzeskonstruktionen dem Diskriminierungsverbot zuwiderliefen.

Nun steht es der Parlamentsmehrheit natürlich frei, sich über eine derartige Rechtsmeinung, auch wenn sie aus berufenem Mund kommt, hinwegzusetzen. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass die Politik Gesetze beschließt, die später von Höchstgerichten aufgehoben werden: Man kann ja probieren, ob der jeweilige Gesetzestext von Verfassungs- oder Europarichtern nicht doch akzeptiert wird – das politische Risiko des Scheiterns tragen die Parteien, die solche Gesetzesbeschlüsse fassen, sowieso.

Politische Redlichkeit

Das Begutachtungsverfahren hat aber den Sinn, dass dokumentiert wird, ob es die Politiker im Falle eines Scheiterns von Anfang an hätten besser wissen können. Die politische Redlichkeit gebietet, dabei auch solche Stellungnahmen zu veröffentlichen, die besonders unangenehm klingen – und das ist eben der Fall, wenn Beamte eines Ministeriums Bedenken gegen ein Gesetz anmelden, das der politischen Führung ein besonderes Anliegen ist.

Beamte sind ja nicht zuletzt zu dem Zweck pragmatisiert, dass sie sich eben nicht politischem Druck beugen müssen, sondern nach bestem Wissen und Gewissen handeln können. Das haben die Beamten des Völkerrechtsbüros im Außenministerium offenbar auch so verstanden – und die Regierung davor gewarnt, sich mit ihrem Projekt zu verrennen. Aber so viel Offenheit war der Chefetage des Außenministeriums denn doch nicht recht – sie zog die Stellungnahme zurück, um eine andere, wohl politisch genehmere, einreichen zu können.

Das ist schlechter Stil, auch den eigenen Beamten gegenüber. Denn diese haben in ihrer ersten Stellungnahme ja eine zulässige (und auch von vielen anderen Juristen geteilte) Rechtsmeinung vertreten. Diese zu dokumentieren, auch wenn sie den eigenen Absichten widerspricht, würde nicht nur der Transparenz dienen, sondern auch dem eigenen Anspruch der Koalition – es ist ja keine Schande, dass einem Experten widersprechen. Es ist auch keine Schande, sich über Expertenmeinungen hinwegzusetzen.

Es ist im Gegenteil ein Zeichen politischer Standfestigkeit, wenn man sich an seine Wahlversprechen erinnert und zumindest versucht, sie umzusetzen. Des Risikos, dass sich diese politische Haltung am Ende nicht durchsetzen lässt, ist sich die türkis-blaue Koalition ja ohnehin bewusst, der Ablehnung der Indexierung der Kinderbeihilfe durch die Opposition ebenso. Den Beschluss fasst sie auf eigene Verantwortung. (Conrad Seidl, 20.2.2018)