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Meryl Streep als Katharine Graham.

Foto: Niko Tavernise/20th Century Fox via AP)

Die Außenseiter fallen immer auf, vor allem im Kino des Steven Spielberg. "Wer ist dieser Hippie?", will einer jener Soldaten wissen, die den Berichterstatter 1966 in den vietnamesischen Dschungel mitschleppen. "Das ist Ellsberg." Ein Gemetzel und wenige Filmminuten später sieht man das Ergebnis des nächtlichen Kampfeinsatzes: Neben einem Dutzend gefüllter Leichensäcke verwandelt Ellsberg das Gewehrfeuer in ein Hämmern auf seiner Schreibmaschine.

Für die Morgenausgabe der "New York Times" interessieren sich nicht nur die Redakteure der "Washington Post". So wie Chefredakteur Bradlee (Tom Hanks) will auch das Weiße Haus lesen, was es über den Vietnamkrieg verschwiegen hat.
Foto: Universal Pictures

Steven Spielbergs Filme präsentierten sich schon immer als großes Erzählkino, das seine Helden weniger mit Feinden als mit einer feindlichen Welt konfrontiert. Auch in "The Post" sind die Würfel in Indochina bereits zu Beginn gefallen, wenngleich es die amerikanische Öffentlichkeit noch nicht weiß. Am meisten hätte ihn überrascht, wie unverändert die Lage sei, berichtet Ellsberg (Matthew Rhys), Mitarbeiter der die US-Armee beratenden Rand Corporation, noch im Flugzeug dem Verteidigungsminister Robert McNamara (Bruce Greenwood), ehe dieser in der Heimat den auf dem Rollfeld wartenden Journalisten den Kriegsverlauf als Erfolgsstory verkauft. Eine Lüge, die Ellsbergs inneren Kampf nur noch verkürzt: Rund 7.000 Seiten Geheimdokumente wird der Whistleblower aus McNamaras Tresor entwenden, um sie Blatt für Blatt zu kopieren und im Juni 1971 der "New York Times" zuzuspielen.

Historische Lüge

Es waren die als "Pentagon-Papiere" berühmt gewordenen Dokumente, die die jahrelange Falschinformation der US-Regierung über den Vietnamkrieg enthüllten und die letztlich wesentlich zu dessen Ende beitrugen. Die Archivbilder der Fernsehansprachen von Truman bis Nixon, in denen die US-Präsidenten wider besseres Wissen den Sieg in Fernost herbeireden, bilden in "The Post" somit vorweg jene historische Lüge, von deren Aufdeckung dieser Film erzählt. In Zeiten, in denen darüber diskutiert wird, was Wahrheit überhaupt ist, lautet Spielbergs dringlichste Frage: Wie kann man der Wahrheit zum Sieg verhelfen?

20th Century Fox

Für den Traditionalisten des US-Kinos, der wie Frank Capra und John Ford davon überzeugt ist, dass die amerikanische Nation aus ihrem Gründungsmythos heraus immer wieder geboren werden kann, kann es dabei nur eine einzige Antwort geben: durch den Mut und die Beherztheit des Einzelnen, der sich dadurch für Amerika, die Gemeinschaft und die Gesellschaft als nützlich erweist.

Spielball der Macht

In "The Post" ist dieser Held eine Heldin: Katharine Graham (Meryl Streep) ist Eigentümerin der "Washington Post", eine Position, die ihr als Witwe zugefallen ist. Dass ihre Zeitung durch ihre Freundschaft mit McNamara bisher gefälliger Spielball der Macht gewesen sein könnte, will sie nicht wahrhaben. Spielberg zeichnet Grahams Kampf als einen solchen gegen eine männerdominierte Welt der Aufsichtsräte und Vorstände: Der anstehende Börsengang der "Post" erfordert Zugeständnisse und erzwingt Klarstellungen. Die Frage, warum in die Redaktion investiert werden soll, muss (noch) Grahams engster Vertrauter beantworten: "Qualität fördert Rentabilität."

Eine Zeitung als Wirtschaftsunternehmen zu führen und zugleich als Korrektiv der Macht zu verstehen, ist für Spielberg kein Widerspruch: Für Graham genügt es, in einem Akt der Selbstüberwindung ihre Freundschaft zu McNamara der höheren Verantwortung für die Allgemeinheit hintanzustellen. "Es ist schwer, Nein zum Präsidenten der Vereinigten Staaten zu sagen", erklärt sie ihrer erwachsenen Tochter. Denn eben hat Nixon der "Times" die weitere Veröffentlichung der Pentagon-Papiere untersagt und damit der "Post" zu ihrer großen Chance verholfen: Ellsberg hat einen neuen Abnehmer gefunden, und erst Grahams Entscheidung in letzter Minute bringt die Druckmaschinen zum Laufen und rettet der Presse ihre Freiheit.

Schwarz auf weiß

Wie immer interessiert sich Spielberg auch in "The Post" nicht für psychologische Erklärungen, diese finden sich vielmehr in der Überzeugung seiner Figuren und im Glauben an das Gute. Thomas Jefferson Zitat "Wo Pressefreiheit herrscht und jedermann lesen kann, da ist Sicherheit" wird denn auch zum Motto von Grahams Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks), der den doppelten Sieg vor Augen hat: sein Blatt auf der Überholspur und sich selbst auf der richtigen Seite zu wissen.

Wofür Spielbergs Herz in "The Post" schlägt, das sind die heute anachronistisch wirkenden Bilder aus Redaktionsräumen der Siebzigerjahre, das ist die Nostalgie, mit der die Lettern in der Druckerei im Untergeschoß, wo man die Druckerschwärze noch riechen kann, zusammengebaut werden.

Für Schattierungen bleibt in diesem Film, der sein Anliegen schwarz auf weiß ausbuchstabiert, mithin kein Platz. Um den politischen Morast in Washington zu verlassen, braucht es keinen Auftrag. So wird Katharine Graham zur Verwandten Lincolns, dem Spielberg für dessen Kampf für die Abschaffung der Sklaverei in "Lincoln" bereits ein Denkmal setzte. In den Filmen von Steven Spielberg kann jeder von uns ein Held sein. (Michael Pekler, 22.2.2018)