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Milliardär Boris Titow verfolgt seine eigene Agenda. Er will einen neuen Wirtschaftskurs. Ein Oppositioneller ist er nicht.

Foto: Reuters / Sergej Priwowarov

Die Adresse könnte kaum edler sein: Der Präsidentschaftskandidat Boris Titow hat das Hauptquartier seiner "Partei des Wachstums" im Moskauer World Trade Center eingerichtet. Aus dem Fenster eröffnet sich ein grandioser Blick auf den Moswa-Fluss und das grell erleuchtete neue Geschäftsviertel Moskau City. Auf der anderen Seite, nur wenige Hundert Meter entfernt steht das Weiße Haus, der Sitz der russischen Regierung, mit dem Stolypin-Denkmal davor.

Titow selbst ist unrasiert; ein ungewöhnlicher Anblick, denn in der Vergangenheit trat der Milliardär, der vor sechs Jahren von Putin zum Präsidentenbeauftragten für Unternehmerrechte ernannt worden war, stets makellos glatt an die Öffentlichkeit. "Russischer Aberglaube", sagt er. Wer in den Kampf ziehe, rasiere sich erst nach dem Sieg wieder. Doch will Titow bei der Präsidentenwahl wirklich siegen? "Ich bin nicht naiv" , entgegnet er. Putins Vorsprung sei zu groß, keiner der Opponenten könne ernsthaft daran glauben, den Amtsinhaber vom Thron zu stoßen, meint er.

Keine zehn Prozent für Herausforderer

Offizielle Umfragen bestätigen ihn: Keiner der Herausforderer kommt darin auch nur auf zehn Prozent der Wählerstimmen. Zudem zerfleischen sie sich eher gegenseitig, als gegen den Kremlchef zu agitieren. Populistenführer Wladimir Schirinowski schießt gegen den Kommunistenkandidaten Pawel Grudinin, muss sich aber gleichzeitig eines Spoilers in seiner nationalistischen Wahlecke (Sergej Baburin) erwehren. Auch bei den Kommunisten gibt es mit Maxim Suraikin einen Doppelgänger. Bei den Liberalen nehmen sich gleich drei Kandidaten gegenseitig Stimmen ab.

Titow ist einer von ihnen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass er von der Kremladministration selbst gedrängt wurde, gegen Putin anzutreten, um für eine etwas höhere Wahlbeteiligung zu sorgen. Titow streitet ab: "Ich hatte dazu ein einziges Gespräch im Kreml", sagte er dem STANDARD. Dort habe er nur gefragt, ob es einen Interessenkonflikt gebe, wenn er auf seinem Posten gegen Putin antrete. Als dies verneint wurde, habe er sich zur Wahl gestellt, um einen neuen Wirtschaftskurs zu propagieren.

Gegner der Zentralbank

"Ich bin in gewisser Hinsicht ein Bürgerrechtler", sagt der 57-Jährige. Beinahe täglich kämpfe er als Ombudsmann für Unternehmerrechte gegen Behördenwillkür, Korruption und Kontrollwahn. Ein Oppositioneller ist Titow dabei mitnichten. Seit Jahren ist er gut im System vernetzt. Die Außenpolitik des Kremls trägt er weitgehend mit, lediglich den strengen Monetarismus, den die Regierung seit den Zeiten von Finanzminister Alexej Kudrin betreibt, will Titow aufweichen.

Sein Gegner ist nicht Putin, sondern die Zentralbank: Billigere Kredite, einen billigeren Rubel und vermehrt staatliche Subventionen, um den Konsum anzukurbeln, fordert er. Damit werde Wachstum geschaffen. Er sei eigentlich nur in den Wahlkampf gegangen, um dieses Wachstumsprogramm zu popularisieren, sagt der Topbeamte, der in den 90er-Jahren mit Öl und Düngemitteln reich wurde und inzwischen das größte Weingut Russlands besitzt.

Harte Hand

Sein Vorbild sei Stolypin, gibt Titow zu Protokoll. Der russische Premier unter Zar Nikolai II. sei mit harter Hand gegen die Radikalen vorgegangen, habe Russland aber zugleich wirtschaftliche Reformen und damit enormes Wachstum gegeben, begründet er seine Wahl. Ob er denn bereit sei, den Stolypin unter Zar Putin zu geben? "Wenn uns die Aufgabe erteilt wird, unsere Wachstumsstrategie zu verwirklichen, dann sind wir dazu bereit", macht er seine Ambitionen auf den Posten des Ministerpräsidenten deutlich.

Noch sind die Träume so klein wie die Stolypin-Büste auf seinem Schreibtisch. Will er künftig das Denkmal in groß vor seinem Fenster sehen, muss er ein akzeptables Ergebnis bei der Wahl einfahren. "Fünf Prozent" gibt er selbst als Ziel aus. Derzeit sehen ihn die Demoskopen mit etwa einem Prozent Wählerunterstützung davon noch ein gutes Stück entfernt. (André Ballin aus Moskau, 22.2.2018)