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Die EU-Kommission bereitet Gegenmaßnahmen vor, sollten die USA wirklich mit Stahlzöllen losschlagen.

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Wien – Der Spuk dauerte etwas mehr als ein Jahr. Im März 2002 ordnete der damalige US-Präsident George W. Bush die Verhängung von Strafzöllen gegen diverse Stahlimporte aus aller Welt an. Der Republikaner setzte damit ein Wahlkampfversprechen um, das er Industriearbeitern im Wahlkampf gegeben hatte: Die Jahre des Niedergangs im produzierenden Gewerbe sollten vorbei sein.

Wirtschaftswissenschafter Gottfried Haber erläutert in der ZiB 24 die Konsequenzen eines möglichen Handelsstreits mit den USA.
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Um bis zu 30 Prozent wurden importierte Stahlprodukte damals über Nacht teurer. Weltweit ergriffen Länder Gegenmaßnahmen. Die EU verhängte ihrerseits Zölle auf US-Waren – auf Stahlprodukte, aber auch auf Orangensaft, Motorboote, Strickwaren, Kopiermaschinen und Sonnenbrillen. Zugleich legte man Beschwerde vor der Welthandelsorganisation (WTO) ein. Die WTO gab den Europäern recht. Im Dezember 2003 hob Washington die Zölle auf. Die Gegenwehr der EU sowie anderer Staaten und die Beschwerden der US-Autobauer über teurer gewordenen Stahl waren ausschlaggebend.

Liberale Ordnung in Gefahr

Rund 15 Jahre später wächst unter Experten und Unternehmern in Europa die Sorge, dass ein neuerlicher Handelskonflikt diesmal nicht so schnell enden wird. Wenn die Welt schon nicht in einen Handelskrieg schlittert, so könnte doch die liberale handelspolitische Ordnung zerbrechen. Das liegt vor allem am Mann im Weißen Haus: Präsident Donald Trump gilt als unberechenbar.

In dem sich anbahnenden Konflikt dreht sich wieder fast alles um Stahl. Die US-Regierung prüft, ob sie Zölle von "mindestens" 24 Prozent auf importierten Stahl und 7,7 Prozent auf Aluminiumprodukte verhängen soll.

Handelsminister Wilbur Ross hat am Freitag diese Maßnahmen vorgeschlagen. Laut US-Recht bleibt Trump maximal bis 11. April Zeit, sich zu entscheiden, ob er die Zölle einführt. Danach würde ein neuer, langer Fristenlauf starten, besagt das Gesetz.

Das Problem aus europäischer Sicht ist, dass die USA drauf und dran sind, den bewährten Boden, auf dem handelspolitische Konflikte ausgetragen werden, zu verlassen. Dieser Ort ist die WTO.

Konflikte in der WTO

Der 1994 gegründeten Organisation gehören mehr als 160 Staaten an. Weil die Interessen der WTO-Länder zu unterschiedlich sind, laufen Reformbemühungen in der Organisation seit Jahren ins Leere. Sowohl Entwicklungs- als auch Industrieländer sind damit unzufrieden.

Die Konfliktbeilegungsmechanismen der Organisation haben sich aber aus Sicht vieler Staaten bewährt, weil sie eine friedliche Schlichtung ermöglichen und Streitereien in geordnete Bahnen lenken.

Laut WTO-Regeln dürfen Staaten, wenn sie glauben, ausländische Firmen verkaufen Produkte zu Dumpingpreisen, Schutzzölle einheben. Ebenso ist es erlaubt, den eigenen Markt zu sperren, wenn durch Massenimporte billiger ausländischer Waren eine ganze Branche bedroht ist. Auf eine solche Gefahr berief sich 2002 Präsident George W. Bush. In der WTO wurde seine Vorgehensweise geprüft, Warenimporte und Preise analysiert – und das US-Vorgehen schließlich für illegal befunden.

Die EU ist ein Nettoexporteur von Waren und hat das aktuelle internationale Handelsregime wesentlich mitgestaltet. Ihr ist also auch deshalb viel daran gelegen, dass die bestehende Ordnung aufrecht bleibt. Auch für große Exportländer wie China gilt das.

Bedrohung aus Washington

Trump schlägt einen Kurs ein, der dieses System laut Experten gefährdet. Er beruft sich nämlich im Stahlstreit auf die nationale Sicherheit. Ein Gesetz erlaubt es dem Präsidenten, Zölle einzuheben, wenn die Wehrfähigkeit des Landes gefährdet ist. Damit argumentiert Trump: Stahl und Aluminiumprodukte sind für die Armee wichtig, und es sei nicht akzeptabel, dass man immer stärker von Importen abhängig ist. Besonders Chinas Bedeutung auf dem Stahl- und Aluminiummarkt ist gestiegen. Die US-Zölle würden aber, um effektiv zu sein, nicht bloß China, sondern die ganze Welt treffen.

Allerdings macht das Argument mit der nationalen Sicherheit klassische WTO-Streitbeilegungsmaßnahmen schwierig, wie Susanne Schrott, Expertin für Handelsfragen bei der Österreichischen Wirtschaftskammer, sagt. In der WTO wurden Fälle, in denen Sicherheitsfragen betroffen sind, ausgeklammert, weil sich Staaten da nur ungern dreinreden lassen. Nur wenn ein Land plausibel belegen kann, dass die USA das Argument der nationalen Sicherheit exzessiv nutzen, kann es sich mit einer Beschwerde an die WTO wenden. Das ist aber juristisches Neuland.

Einmischung von außen

Und selbst wenn ein WTO-Schiedsgericht befindet, dass die nationale Sicherheit der USA nicht gefährdet sei und die Zölle für illegal erklärt, bezweifeln Experten, dass Washington diese Einmischung akzeptiert.

Die Folge wäre ein Handelskonflikt abseits der klassischen Spielabfolge. Was sollte die EU tun, wenn Trump Ernst macht? Laut Medienberichten sind Gegenmaßnahmen in Vorbereitung. Die EU-Kommission erwägt, Zölle auf importierte Harley-Davidson-Maschinen und Whiskey zu verhängen – beides eher symbolische Gesten als knallharte Gegenmaßnahmen. Erlaubt wäre der Schritt nach WTO-Recht, sagen zumindest Juristen in Europa. Aber die Gegenwehr ist mit Risiken verbunden, sagen Handelsexperten.

Viele Risiken

"Was auch immer man tut, es entstehen Kosten. Antwortet die EU mit Vergeltungsmaßnahmen, ist es gut möglich, dass sich Trump provoziert fühlt und weitere Zollbarrieren aufbaut. Lässt sich die EU die Aggression gefallen, dann könnte der US-Präsident sich ermächtigt fühlen, weiter mit der Protektionismuskeule um sich zu schlagen", sagt der führende deutsche Handelsexperte Gabriel Felbermayr.

"Wenn die EU keinen Widerstand leistet, dann könnten sich aber auch andere Länder – allen voran Indien und Russland – ermutigt fühlen, die Regeln der WTO mit Füßen zu treten", so der Experte. Nach einer schweren Abwägung rät Felbermayr: Die EU muss sich wehren.

Diese Parole gab am Mittwoch auch Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl aus. Europa solle aber umsichtig agieren, forderte Leitl. Wenn Trump selbst zunächst nur eher symbolische Maßnahmen ergreift, darf auch die EU nur symbolisch zurückschlagen. Leitl warnte, dass bei einem Handelskrieg auch Österreich und die EU viel zu verlieren haben. Tatsächlich exportieren europäische Firmen weit mehr Waren in die USA als umgekehrt.

Eine Abschottungspolitik würde Europa also rasch zu spüren bekommen, ist Leitl überzeugt. Symbolische Gegenmaßnahmen sind riskant, so sieht es auch der Wirtschaftskammerpräsident. Mit KTM verfügt Österreich selbst über einen international ausgerichteten Motorradbauer. Wenn die EU also Harley-Davidson ins Visier nimmt, könnte das die Hardliner in Washington auf neue Ideen bringen. (András Szigetvari, 22.2.2018)