Galante Gesten auf der Bühne der Staatsoper: Am Samstag wird es davon bei "Ariodante" womöglich noch einige mehr geben.

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William Christie: "Sie haben unrecht: In den Opern von Händel gibt es keine Stereotype."

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Wien – Er hatte es nicht leicht in diesen Tagen: die Konkurrenz, die Geldsorgen, die Gesundheit. Und dann waren Händel und seine Royal Academy of Music auch noch aus dem King's Theatre hinauskomplimentiert worden. Für den Einstand beim neuen Covent Garden Theatre musste also ein Knüller her. Händel entschied sich für Ariodante und nahm sich für die Komposition verhältnismäßig viel Zeit: von Mitte August bis Ende Oktober 1734. Hört man das dem Werk an? Natürlich, meint William Christie.

Der gebürtige US-Amerikaner leitet bei der Inszenierung von Ariodante an der Wiener Staatsoper sein Ensemble Les Arts Florissants. Christie hat schon über 20 Opern von Händel aufgeführt, also muss er mehr wissen: "Es gibt in Ariodante einen Chor und ein Ballett – Elemente, die in der Opera seria lediglich optional sind", setzt der Wahlfranzose nach.

Gehen wir ins Detail: Der Komponist hat ab und zu das strenge Formenschema der Opera seria aufgebrochen, damit gespielt. Das Duett des Helden Ariodante mit seiner Angebeteten Ginevra im ersten Akt, Prendi da questa mano, unterbricht ihr Vater, der schottische König, aus lauter Freude einfach so beim Da capo. Ein besonderer Kniff? "Händel hat in jeder seiner Opern mit der Form der Opera seria gespielt", befindet Christie knapp.

Neuer Versuch, weitermachen

Neuer Versuch: In Ariodante ereignen sich viele Szenen in der Natur: in den königlichen Gärten, in einem anmutigen Tal, in einem Wald. Gelingen Händel hier – etwa bei Ariodantes erstem Arioso Qui d'amor nel suo linguaggio – besonders fantasievolle Naturschilderungen? "Das gelingt ihm in jeder Oper", bescheidet Christie. An wen erinnert der 73-Jährige nochmal? Genau: an Michael Caine in der Rolle des Butlers in Batman Begins – abzüglich vielleicht seiner Herzenswärme.

Weitermachen. Für die Uraufführung von Ariodante schrieb Händel seiner ersten Ginevra Anna Strada del Pò halsbrecherisch schwierige Koloraturen auf die Gurgel. Bei der Neuproduktion gibt das Ensemblemitglied Chen Reiss die schicksalsgeprüfte Königstochter. Wie bewältigt die talentierte Allroundsängerin die Schwierigkeiten? "Selbstverständlich gut. Ich würde doch keine Sängerin engagieren, die die Partie nicht singen kann!"

Ah ja. Das Personal in Barockopern ist mitunter schablonenhaft gezeichnet, die Ginevra hingegen ist eine komplexe Partie: Im ersten Akt noch himmelhochjauchzend vor Glück, wird die schottische Prinzessin von ihrer Hofdame verraten, von ihrem Vater verstoßen und glaubt, dass sich ihr Geliebter umgebracht hat. Kann Chen Reiss hier all ihre darstellerischen und gesanglichen Fähigkeiten zeigen? "Sie fragen etwas und beantworten die Frage gleichzeitig", befindet der Musiker. "Zudem haben Sie unrecht. In den Opern von Händel gibt es keine Stereotype."

Kraft des Counter

Durchatmen. Neues Thema: Christophe Dumaux. Wer den Franzosen in Salzburg als intriganten Polinesso erleben durfte, neben Cecilia Bartoli in der Ariodante-Inszenierung von Christof Loy, war beeindruckt von dessen kraftvollem Counter. Wann hat Christie mit dem Franzosen zusammengearbeitet, den er ja für die Produktion vorschlug? "Er war Student bei meiner Akademie Jardin des Voix", erläutert Christie in einem Tonfall, in dem der königlich-britische Haushofmeister dereinst Prinz Charles über das Ableben eines Familienmitglieds informiert haben wird. Für die Titelpartie soll Sarah Connolly die gemeinsame Wunschkandidatin von Christie und Direktor Dominique Meyer gewesen sein.

Welche Projekte hat der Franzose mit der englischen Mezzosopranistin schon gemacht? "Viele", informiert Christie. Spätestens an diesem Punkt keimen im düsteren Dirigentenzimmer intensive Fluchtgedanken. Dann setzt Barockspezialist Christie noch zu einer Arie über die Vorzüge der Spezialisierung an, lobt Philippe Jordan, an dessen Pariser Oper er gerade Händels Jephta machen durfte, und Dominique Meyer, weil dieser das Repertoire auf so kluge Weise erweitert habe.

Jetzt aber schnell raus. Der Februarabend empfängt den Flüchtling mit fürsorglicher Wärme, verglichen mit den arktischen Temperaturen, die in der Staatsoper geherrscht haben. (Stefan Ender, 23.2.2018)