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Mehr als eine Stunde lang unterhielt sich US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus mit Überlebenden des Schulmassakers in Parkland. Die meiste Zeit schaffte es Trump mithilfe einer Gedächtnisstütze ("Ich höre euch"), Empathie zu zeigen.

Foto: AP/Carolyn Kaster

Donald Trump hält einen Spickzettel in der Hand, man kann sehen, was darauf steht. Fotografen fotografieren, das Fernsehen überträgt live. Falls das mit den Stichpunkten ein Geheimnis bleiben sollte, ist es nun keines mehr. "I hear you", "Ich höre euch", ist auf dem Zettel zu lesen. Offenbar eine Gedächtnisstütze. Der Präsident, der es nach vorangegangenen Tragödien bisweilen an Empathie fehlen ließ, soll zu keiner Zeit vergessen, worum es bei dem Treffen mit Müttern, Vätern, Geschwistern und Freunden von Schusswaffenopfern am Mittwochabend im Weißen Haus geht: zuhören, Mitgefühl zeigen, die Betroffenen reden lassen.

Leidensgeschichte folgt auf Leidensgeschichte, nur beschränkt sich Trump nicht aufs Zuhören, macht auch Vorschläge. Empfehlungen, wie sie die Waffenlobby seit dem Massenmord an der Sandy-Hook-Grundschule im Dezember 2012 immer wieder in die Debatte wirft. Wären zumindest einige Lehrer der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland bewaffnet gewesen, suggeriert der Präsident, hätte man heute vielleicht weniger Tote zu beklagen.

Um es zu illustrieren, spricht er von Aaron Feis, dem Football-Trainer, der nach Augenzeugenberichten auf den Amokläufer zusprintete, sich mit massigem Körper vor seine Schüler warf und dabei tödlich getroffen wurde. Dieser Coach, sagt Trump, habe sich unglaublich tapfer verhalten. "Doch hätte er eine Waffe zur Hand gehabt, hätte er nicht rennen müssen. Er hätte geschossen, und das wäre das Ende gewesen."

Uneins bei Trumps Vorschlag

Eine Schusswaffenattacke, argumentiert er, dauere im Durchschnitt drei Minuten. Bis die Polizei eintreffe, vergingen indes fünf bis acht Minuten, da sei es meist vorbei. Wenn nun Schulen schusswaffenfreie Zonen blieben, bedeute dies aus der Sicht von Wahnsinnigen: "Lasst uns angreifen, denn es fliegen keine Kugeln zurück." Wer die Bewaffnung ausgesuchter Pädagogen für richtig halte, fragt der Präsident schließlich in die Runde. Einige Arme gehen hoch, andere bleiben unten.

Später gibt Ashley Kurth, eine Lehrerin der überfallenen High School, eine Antwort, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglässt. Auf dem Höhepunkt der Panik hat sie 65 Teenager in ein Klassenzimmer gelotst, die Tür verriegelt und das Licht ausgeschaltet.

Kritik aus eigenen Reihen

Als sie bei einem von CNN organisierten Bürgerforum vorgestellt wird, feiert das Publikum die untersetzte Frau mit stehenden Ovationen. Sie habe Trump gewählt, sie sei Republikanerin, sie unterstütze den zweiten Verfassungszusatz, der privaten Waffenbesitz garantiere, skizziert Kurth, wo sie politisch steht. Aber Lehrer Pistolen tragen zu lassen? Ob sie in Zukunft nicht nur unterrichten, sondern auch noch eine Spezialausbildung durchlaufen müsse, um Schüler zu beschützen, will sie wissen. "Soll ich etwa eine kugelsichere Weste tragen? Soll ich mir etwa eine Kanone ans Bein binden oder in meine Schreibtischschublade legen?"

Folgt man aktuellen Umfragen, dann zählt Ashley Kurth in der eigenen Partei mit ihrer Skepsis zu einer Minderheit. Laut ABC News und Washington Post glauben 59 Prozent der Republikaner, bewaffnete Lehrer hätten das Massaker in Parkland verhindern können. Demokraten dagegen beantworten die Frage zu 73 Prozent mit Nein, ein weiteres Indiz für die tiefen Gräben, die sich quer durch die politische Landschaft ziehen.

Kein Film, sondern die Realität

Der Vorschlag gehe von völlig unrealistischen Szenarien aus, warnt Randi Weingarten, die Vorsitzende der amerikanischen Lehrervereinigung. Denn von den Pädagogen erwarte man eine Geistesgegenwart, zu der die meisten Menschen mitten im Chaos einfach nicht fähig seien. In einer solchen Situation den eigenen Revolver zu finden, mit ruhiger Hand anzulegen und mit der Zielsicherheit eines Scharfschützen zu treffen – das funktioniere vielleicht im Film, aber nicht im realen Leben. (Frank Herrmann aus Washington, 22.2.2018)