STANDARD: Die Arbeitslosigkeit in Österreich sinkt, ist aber immer noch deutlich höher als in Deutschland. Was könnte helfen, um diese Lücke zu schließen?

Kopf: Auf die Schnelle? Gar nichts, da ist der Unterschied zu groß. Österreich hat viele Jahre lang die niedrigste Arbeitslosigkeit der EU gehabt. Dann sind wir von Deutschland überholt worden. Momentan sind wir an neunter Stelle. Ein Grund dafür ist, dass die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland über mehrere Jahre besser war als bei uns. Hinzu kommt, dass das Arbeitskräftepotenzial bei uns viel stärker angestiegen ist. Deutschland hat demografisch bedingt eine rückläufige Bevölkerung, wir haben das nicht. Und im Vergleich zu Deutschland haben wir viel mehr Zuwanderung gehabt. Schon allein deshalb, weil mehr Deutsche zu uns gekommen sind.

STANDARD: Wobei die Arbeitslosigkeit nicht nur in Deutschland, sondern inzwischen auch in weiten Teilen Osteuropas niedriger ist als in Österreich.

Kopf: Ja, aber die Tatsache, dass in der EU-Arbeitslosenstatistik Ungarn, Tschechien, Polen und Rumänien vor uns liegen, hat ja auch viel damit zu tun, dass diese Länder im großen Stil Arbeitskräfte ans Ausland verloren haben. So schön der Rückgang der Arbeitslosigkeit zunächst für diese Staaten war: Einen neuen Industriebetrieb würde ich in viele Regionen dort nicht mehr errichten.

STANDARD: Weil so viele Arbeitskräfte weggegangen sind?

Kopf: Ja, und weil es vor allem die Jungen, die Tüchtigen und gut Ausgebildeten waren. Zwischen 2010 und 2017 sind fast 400.000 Menschen aus dem Ausland zusätzlich auf den österreichischen Arbeitsmarkt gekommen. Unsere Arbeitslosigkeit ist zwar dadurch deutlich gestiegen, gleichzeitig wurde aber auch unser Demografieproblem, das auch in weiten Teilen Europas herrscht, entschärft und damit der Wirtschaftsstandort Österreich, wie ich denke, massiv gestärkt.

STANDARD: Lässt sich etwas tun, um die Lücke etwa zu Deutschland wenigstens etwas kleiner zu machen?

Kopf: Sogar wenn Österreichs Wirtschaft weiter so stark wächst wird es schwer, weil ja die Entwicklung auch in Deutschland noch immer gut ist. Das Wichtigste für Österreich wäre die Senkung der Lohnnebenkosten. Ob ein Relais in einem BMW-Außenspiegel in Tschechien, Österreich oder Deutschland produziert wird, entscheidet sich heute einzig an den Stückkosten. Die Qualität der Produktion ist überall gut. Ein paar Cent sind ausschlaggebend. Daneben müssen wir in Qualifizierungsmaßnahmen investieren und in Bildung. Dort muss das Ziel sein, dass kein Kind mehr das Bildungssystem nur mit Pflichtschulabschluss verlässt. In dieser Gruppe ist die Arbeitslosigkeit besonders hoch, fast viermal so hoch wie bei Menschen mit einem Lehrabschluss. Viele Jugendliche bekommen keine Lehrstelle, weil sie nicht ausreichend lesen, schreiben und rechnen können. Der Vorstoß von Bildungsminister Heinz Faßmann, Schulen, an denen viele sozial benachteiligte Kinder sind, stärker zu fördern, ist aus arbeitsmarktpolitischer Sicht eine sehr, sehr gute Idee.

STANDARD: Seit ein paar Monaten beklagen Unternehmen wieder, dass ihnen Arbeitskräfte fehlen. Wird da gejammert, oder ist das ein ernsthaftes Problem?

Kopf: Tatsächlich gibt es bereits Unternehmen, die Aufträge ablehnen müssen, weil ihnen die Arbeitskräfte fehlen. Wir erleben den stärksten Rückgang der Arbeitslosigkeit seit 30 Jahren. Wobei das Niveau noch weiter hoch ist. Die Arbeitslosigkeit ist auf dem dritthöchsten Stand seit 1945.

STANDARD: Das ist ja so verwunderlich: Wie passt zusammen, dass Betriebe zunehmend über Mangel klagen und dennoch so viele Menschen arbeitslos gemeldet sind?

Kopf: Das liegt an der Qualifikation, aber auch am Ost-West-Gefälle. Die Arbeitslosigkeit in Wien ist mehr als doppelt so hoch wie in Tirol, Oberösterreich oder Salzburg. Die höhere Arbeitslosigkeit im Osten hat auch mit Arbeitnehmern aus Osteuropa zu tun, die einpendeln. Hier gibt es Verdrängung. Unternehmen, die einen neuen Mitarbeiter gesucht haben, haben oft statt des Älteren aus Wien einen jüngeren und besser qualifizierten Ungarn genommen.

STANDARD: Ein hitzig diskutiertes Thema ist, warum Menschen, etwa arbeitslose Köche, nicht eher bereit sind umzuziehen, aus Wien nach Tirol etwa. Woran liegt es: Sind die Löhne zu niedrig, die Köche nicht arbeitswillig, oder ist es das schwierige Arbeitsumfeld?

Kopf: Es ist eine Mischung. Wir haben in den vergangenen Jahren 500 Tourismusbetriebe dazu beraten, wie sie Personal finden und halten können und dabei viel Knowhow gewonnen. Da kommt man auf simple Dinge drauf. Ob jemand mit seinen Saisonbeschäftigten in der Nichtsaison Kontakt hält, ist relevant dafür, ob er oder sie wieder in den Betrieb zurückkehrt. Ein nettes SMS, eine Karte, ein Anruf: All das motiviert Arbeitnehmer zurückzukommen. Auch ob ich meinen Mitarbeitern das gleiche Essen anbiete wie den Gästen, spielt eine Rolle. Für viele Beschäftigte ist das, wie wir herausgefunden haben, emotional sehr wichtig. Entscheidend im Tourismus, wo in der Nacht, an Wochenenden und in der Urlaubszeit gearbeitet wird, ist schließlich auch, ob sich Beruf und Familie vereinbaren lassen.

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Gehälter allein entscheiden nicht, ob Köche aus dem Osten in den Westen gehen, sagt der AMS-Chef.
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STANDARD: Was gibt es da für Erfahrungswerte?

Kopf: Dass sich die Verfügbarkeit von Frauen im Tourismus stark erhöhen lässt. So gibt es Betriebe, die die Kinderbetreuung, die sie ohnehin für Hotelgäste anbieten, nun auch den Kindern der Belegschaft anbieten. Es gibt Betriebe, die mit einer Gemeinde gemeinsam organisiert haben, dass ein Kindergarten länger als bis vier Uhr und auch am Samstag offen hat. Auch das hilft.

STANDARD: Das heißt, die Höhe der Löhne, wie das Gewerkschaften behaupten, ist nicht entscheidend?

Kopf: Doch, aber in der Diskussion spielen die Löhne eine größere Rolle als in der Realität, hier hängt es stark auch von den sonstigen Rahmenbedingungen ab.

STANDARD: Im Regierungsprogramm heißt es, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte reformiert werden soll. Arbeitskräfte, die gebraucht werden, sollen leichter ins Land kommen können. Hat das Potenzial?

Kopf: Jene Fachkräfte, die wir suchen, in der Metallverarbeitung, der Industrie, im qualifizierten Bau, sind auch in unseren Nachbarländern stark gefragt. In Ungarn sind nicht hunderte Schweißer arbeitslos. Alle groß angelegten Versuche in der Vergangenheit, in diesen Bereichen Facharbeiter aus Drittstaaten herzubekommen, haben bescheidene Erfolge gebracht. Die Sprachbarriere ist in vielen Fällen zu groß. Mit einer Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte kann man sicher etwas machen, die Möglichkeiten sind aber begrenzt. Bei der Fachkräftezuwanderung sehe ich noch woanders Handlungsbedarf.

STANDARD: Wo?

Kopf: Bei den Spitzenleuten. Da haben wir einen großen Nachteil im internationalen Wettbewerb, wenn man zum Beispiel in Asien Leute sucht, kennen viele Österreich nicht. Das muss sich ändern. Wenn es uns gelingt, mehr Spitzenkräfte zu holen, würde dadurch eine Vielzahl weiterer Arbeitsplätze entstehen. Eigentlich müsste man für diese Leute den roten Teppich ausrollen. Mich interessieren die Superstars, die Ingenieure von Herrn Elon Musk (Chef des Autobauers Tesla, Anm.).

Johannes Kopf: "Mich interessieren die Superstars."
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STANDARD: Einen großen Streit gibt es aktuell um Asylwerber, die in Oberösterreich eine Lehre machen und denen die Abschiebung droht. Wie sollte das gelöst werden?

Kopf: Hier treffen unterschiedliche Interessenslagen aufeinander. Natürlich soziale Aspekte. Dann jene der Betriebe, die wollen, dass die Asylwerber, in die man investiert hat, ihre Lehre fertigmachen dürfen, und sie dann auch als Fachkräfte brauchen. Zugleich gibt es auch das Interesse, dass das Asylrecht nicht ausgehebelt wird, indem man weiß, wenn ich kein Asyl bekomme, dann kann ich trotzdem dableiben, indem ich eine Lehre mache. In diesem Spannungsfeld muss die Politik entscheiden.

STANDARD: In Deutschland gibt das Modell, dass Lehrlinge in ihrer Lehrzeit und anschließend zwei Jahre lang nicht abgeschoben werden können. Ist das interessant für Österreich?

Kopf: Will man die aufenthaltsrechtliche Situation sanieren, sollte man das nicht über das Asylverfahren machen, sondern bei einem negativen Asylverfahren, eine Rot-Weiß-Rot-Karte überlegen. Dafür müsste man eine neue Regelung mit zum Beispiel einer Quote für schon fortgeschrittene Lehrlinge in Mangelberufen schaffen. Ob das gewollt ist oder nicht, muss aber die Politik entscheiden. (András Szigetvari, 23.2.2018)