Denkt man an mittelalterliches Essen, kommen einem zunächst deftige Fleischgerichte, wie man sie von Mittelaltermärkten und Ritteressen kennt, in den Sinn. Es gibt aber mittlerweile wissenschaftliche Auseinandersetzungen, die sich mit vegan-vegetarischen mittelalterlichen Gerichten beschäftigen. Darunter finden sich unter anderem authentische Rezepte für Mandelmilch, veganen Milchreis, Brot, Linsen- oder Bohneneintöpfe oder auch Mandelkäse:


Wiltu zigern machen mit mandeln, so stoß den mandel vnd mole in dicke vnd erwelle in denne in eime pfennelin vnd slage es us. so er denne erkaltet, so tuo in denn in ziger zeinelin, so formieret es sich. vnd slahe in uff teller vnd sege zucker dar uff.

Willst du mit Mandeln Käse machen, so stoße die Mandeln und mahle sie dick und erhitze sie in einem Pfännchen und schlage sie durch. Wenn die Mandel[masse] erkaltet ist, gib sie in eine Käseform und sie setzte sich. Stürze sie auf einen Teller und streue Zucker darauf.
(Rezept für Mandelkäse aus der HS Wolfenbüttel)

Mandelkäse nach einem modernen Rezept.
Foto: Public Domain

Am Anfang die Begriffsbestimmung: Der Begriff vegan und die damit einhergehende philosophische Haltung gehen auf den Engländer Donald Watson zurück, der 1944 die Vegan Society gründete. Auch der Mittelalter-Begriff entstand erst in der Frühen Neuzeit, um die für die Humanisten so rätselhafte Epoche zwischen Antike und Renaissance zu benennen. Das Konzept des Veganismus, wie wir es heute kennen, war dem mittelalterlichen Menschen aber völlig unbekannt. Die Gründe für den Verzicht auf tierische Produkte waren zu dieser Zeit entweder religiös motiviert, diätetischer Natur oder schlicht mangelnde Verfügbarkeit tierischer Nahrung. Auch wurde nicht auf jegliche Art von tierischen Produkten verzichtet: So waren zum Beispiel Seide, Leder oder Horn wichtige Güter, für die es damals noch keinen synthetischen Ersatz gab.

Fasten als religiöse Motivation für den Verzicht

Im Mittelalter war die erste und grundlegende Regel der klösterlichen Lebensweise, vor allem für die Erlangung des ewigen Heils, der Verzicht auf den Fleischgenuss. Schon im Urchristentum war der Verzehr von Fleisch höchst umstritten, wie beispielsweise aus einer Stellungnahme des Gelehrten und Kirchenvaters Hieronymus (347-420) hervorgeht:


"Der Genuss des Tierfleisches war bis zur Sintflut unbekannt, aber seit der Sintflut hat man uns die Fasern und die stinkenden Säfte des Tierfleisches in den Mund gestopft [...]. Jesus Christus, welcher erschien, als die Zeit erfüllt war, hat das Ende wieder mit dem Anfang verknüpft, so das es uns jetzt nicht mehr erlaubt ist, Tierfleisch zu essen." (Aversus Jovinianum I)


Derartige apokryphen Schriften, die nicht in das Bibelverständnis der katholischen Kirche passten, wurden allerdings selten kanonisiert, was deren Glaubwürdigkeit stark minderte – tradiert wurden sie dennoch. Mönchsorden entschieden sich vor allem im Zuge der cluniazensischen Reform im Hochmittelalter, strenge Vorschriften einzuführen und prinzipiell auf Lebensmittel tierischen Ursprungs zu verzichten – gelegentliche Fischspeisen ausgenommen. So zum Beispiel der Orden der Kartäuser, die für ihre außergewöhnlich hohe Lebenserwartung bekannt sind, oder die Augustiner-Barfüßer, die sich im 15. Jahrhundert lediglich von Brot, Früchten, Öl und Wein ernährten. Was die Festlegung von Fastenvorschriften, Bußübungen und Nahrungsentzug anbelangt, so gehörten die Klosterregeln Nordeuropas allgemein zu den härtesten und strengsten.

Die Kirche bestimmte aber auch im Weltlichen für fast zwei Drittel des Jahres, was auf den bäuerlichen und hochherrschaftlichen Tisch kam – zumindest in der Theorie der Fasten- und Festtage: Diese strengen Regeln führten einerseits schon früh zu der Verbreitung von Rezepten für pflanzliche Alternativen der verbotenen Kost, wie zum Beispiel Milch und Käse aus Mandeln. Andererseits wollte – oder konnte – sich nicht jeder an die strengen Regeln halten. So kamen, vermehrt ab dem 15. Jahrhundert, zum Beispiel die sogenannten "Butterbriefe" auf, die offiziell regulierten, was schon lange gelebte Tradition war: Päpstliche Fastendispense als offizielle Befreiungen von Verboten oder Geboten, erlauben den Verzehr von Milchprodukten für bestimmte Personen, Gruppen oder Regionen – wie in dieser Zeit üblich, nicht selten gegen finanzielle Zuwendungen oder besonderen Gebetsaufwand. Argumentiert wurde dabei oft sehr einfallsreich: Für die Erlaubnis, in Regionen nördlich der Alpen Butter essen zu dürfen, wurden beispielsweise der Mangel an Olivenbäumen, der aufwändige Import des Öls und dessen Unverträglichkeit in der Bevölkerung genannt. 1491 lockerte Papst Innozenz VIII. (1432-1492) schließlich das strikte Reglement und gestattete den Verzehr von Milchprodukten und Eiern in der Fastenzeit.

Die Rolle von Verfügbarkeit und Abgabepflicht von Lebensmitteln

Die Versorgung der Bevölkerung war nicht nur abhängig von Abgabepflichten sowie Lagerungs- und Konservierungsmöglichkeiten, sondern wurde auch von Naturkatastrophen und den damit einhergehenden Hungersnöten beeinflusst.

Um Adel und Klerus – und später die Stadtbevölkerung – ernähren zu können, wurden die Bauern in die Pflicht genommen, an Grundherrn und Kirche bestimmte Abgaben zu leisten. Naturalabgaben, wie Eier oder Geflügel, die weniger saisonabhängig waren, wurden zwar zu einem bestimmten Termin erwartet, allerdings häufig nicht auf einmal, sondern je nach Bedarf gefordert. Oft mussten Bauern die Tiere ihrer Herren einstellen und durchfüttern. Insgesamt beliefen sich die zu leistenden Naturalabgaben auf etwa 50 Prozent des Ertrages. Erst ab dem 13. Jahrhundert wurden Naturalien nach und nach in Geld abgelöst.

Metzger beim Schlachten einer Ziege (Mendelsches Hausbuch I, fol. 71v).
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Obwohl man im Mittelalter zahlreiche Methoden der Konservierung von Fleisch kannte – wie etwa das Beizen, Einsalzen, Räuchern oder Trocknen –, waren die Möglichkeiten, Fleisch richtig zu lagern und über einen längeren Zeitraum haltbar zu machen, dennoch eher begrenzt. Nicht selten führte dies zu akutem Nahrungsmangel, vor allem im Frühjahr.

Der gute Verlauf von Ernte und Weinlese war damals ebenso wichtig wie günstiges Klima für die Vermehrung von Fisch oder das Reifen der Eicheln für eine erfolgreiche Schweinezucht. Bereits Gregor von Tours (circa 538-594), Geschichtsschreiber und Hagiograph, schreibt in einem Bericht zur Produktionskrise des Jahres 591 über die Vielfalt der zu beachtenden Faktoren:

Es gab eine ungeheure Dürre, die alles Grasfutter mißraten [sic] ließ daher brach eine schwere Krankheit unter den Schafen und dem Zugvieh aus, und es blieb wenig zur Nachzucht übrig. (...) Und diese Seuche wütete nicht allein unter den Haustieren, sondern selbst unter dem ungezähmten Wild. Denn im Dickicht der Wälder fand man große Mengen von Hirschen und anderen Tieren verendet. (Decem libri historiarum des Gregor von Tours zitiert nach Montanari)


Er schreibt weiters über starke Regenfälle, die das Heu faulen ließen. Die Getreideernte wie auch die Weinlese waren stark beeinträchtigt und Eicheln konnten nicht reifen, et cetera. In einer Zeit, in der man noch wenig Interesse an Überproduktion hatte und die Vorratshaltung meist unzureichend war, lebte man wortwörtlich von der Hand in den Mund. Eine solche Hungersnot bedeutete daher für viele Menschen – vor allem aber für die ärmere Bevölkerungsschicht – nicht nur Verzicht, sondern den Tod.

Diätetik und mittelalterliche Vorstellungen von gesunder Ernährung

Die Diätetik ist ursprünglich die Lehre von der Gesunderhaltung von Körper und Geist durch Speisen und Getränke und schafft somit eine Verbindung zwischen Kochkunst und Medizin. Die sogenannte Humoralmedizin stellt einen ausgeglichen Haushalt der Humores, der Säfte aus denen ein Körper in der Theorie zusammengesetzt ist, in den Mittelpunkt. Diese Säfte werden natürlich durch die Lebensmittel und die Zubereitung der Nahrung beeinflusst. Der Zusammenhang von Ernährung und Gesundheit war also auch im Mittelalter durchaus bekannt.

Aber nicht jeder schien zeitgenössische diätetische Empfehlungen ernst zu nehmen. Und so blieben die Folgen des guten Lebens nicht aus. Gicht, als eine typische Wohlstandskrankheit und Folge des ungehemmten Fleischkonsums, war in den wohlhabenden besseren Gesellschaftsschichten weit verbreitet. Schon Karl der Große (742-814) litt an der Stoffwechselerkrankung. "Aber auch dann", so der fränkische Gelehrte und Karls Biograph Einhard, "folgte er mehr seinem Gutdünken als dem Rat der Ärzte, die ihm beinahe verhasst waren, weil sie ihm rieten, dem Braten, den er zu speisen pflegte, zu entsagen (...)."

Ein Hase köpft einen Mann, British Library, Royal 10 E IV, fol. 61v
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Vegan im Mittelalter?

Nein, wohl nicht … und wenn doch, dann nicht unter diesem Begriff. Eine vollkommen tierfreie Lebensweise mag es im Laufe des Mittelalters vereinzelt bei Eremiten gegeben haben, diverse Legenden überliefern derartiges. Generell waren Fleischkonsum als Zeichen und Höhepunkt der Feiertage und die tierischen Produkte des täglichen Lebens (Schuhe, Gürtel, Knöpfe) ein zentraler Bestandteil des Alltags. Dennoch sind aus dem Mittelalter Rezepte überliefert, die heute die Basis einer veganen Ernährung bilden.

Fest steht, dass sich die europäische Gesellschaft im Mittelalter, wie auch heute, durch unterschiedliche und entgegengesetzte Konsumformen und Ernährungsweisen auszeichnet. Noch nie zuvor fielen in Industrienationen derart viele Menschen Zivilisationskrankheiten zum Opfer, welche auch auf den übermäßigen Konsum von Produkten tierischen Ursprungs zurückzuführen sind. Dies belegen mittlerweile zahlreiche Studien, wie zum Beispiel Colin Campbells China Study, die allerdings nicht unumstritten ist und hier keinesfalls den gesamten Forschungsbereich darstellen kann oder soll: In einer groß angelegten epidemiologischen Studie – einer Studie, die sich mit Krankheitserscheinungen von gesamten Bevölkerungen beschäftigt – kommen die Autoren T. Colin Campbell und dessen Sohn zu dem Ergebnis, dass der Konsum von tierischen Eiweißen für das Auftreten von Krebs und anderen Zivilisationskrankheiten verantwortlich ist. Angesichts dessen, stellt sich die Frage, ob nicht eine Rückbesinnung zur ureigensten Bedeutung der Diätetik – die Gesunderhaltung von Körper und Geist durch eine angemessene Ernährung – sinnvoll, wenn nicht gar wünschenswert, wäre. (Johanna Damberger, Sabrina Bamberger, 28.2.2018)

Literaturhinweise

  • Brunner, Karl: Kleine Kulturgeschichte des Mittelalters. München: C.H. Beck 2012.

  • Classen, Albrecht (Hrsg.): Gutes Leben und guter Tod von der Spätantike bis zur Gegenwart. Ein philosophisch-ethischer Diskurs über die Jahrhunderte hinweg. Berlin/Boston: de Gruyter 2012.

  • Campbell, T. Colin; Campbell, Thomas M.: China Study: Die wissenschaftliche Begründung für eine vegan Ernährungsweise. Bad Kötzting [u.a.]: Verl. Systemische Medizin 2014.

  • Jaritz, Gerhard: Fasten als Fest? Überlegungen zu Speisebeschränkungen im späten Mittelalter, in: Härtel, Reinhard (Hrsg.): Geschichte und ihre Quellen. Festschrift für Friedrich Hausmann zum 70. Geburtstag, Graz 1987.

  • Meier, Frank: Mensch und Tier im Mittelalter. Ostfildern: Thorbecke 2008.

  • Montanari, Massimo: Der Hunger und der Überfluss. Kulturgeschichte der Ernährung in Europa. München: C.H. Beck 1993.

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