Glamour und Kloake – in Lisa Eckharts Kunst hängt das eine symbiotisch am anderen. Daraus ergeben sich exquisite Sichtweisen, die ihrem Publikum manchmal fast die Luft nehmen.

Foto: Heribert Corn

Der Schlitz an der Seite ihres Kleides endet knapp unter der ersten Rippe. Er offenbart blasses Fleisch ohne textile Unterbrechung. Unten, wo der Schlitz beginnt, legt er ein paar ordentliche Trümmer High Heels frei, und anhand der Blicke in den ersten Publikumsreihen ist klar, dass dort die Frage kursiert: Trägt sie überhaupt Unterwäsche?

Lisa Eckhart ist eine Erscheinung. Kerzengerade steht sie auf der Bühne, fast zwei Stunden lang, und trägt vor. Fehlerfrei, gachblond, punktgenau. Sieben Texte zu den Todsünden, die unter dem Titel "Die Vorteile des Lasters" ihr aktuelles Programm bilden. Es beginnt mit den Worten "Es war nicht alles schlecht unter Gott".

An den Schultern ihres Kleides stehen schwarze Federn weg. Die mögen an ihrer Fluguntauglichkeit nichts ändern, abgehoben hat sie trotzdem. Lisa Eckhart ist gerade Shootingstar. Dass sie ausgerechnet im Kabarett bekannt wurde, war Zufall. Einer mit Ablaufdatum, wenn es nach ihr geht. Tatsächlich erscheint ihre Kunst als zu groß, um als Kleinkunst durchzugehen. Jedenfalls regnet es Preise und Anerkennung, die Säle sind ausverkauft, die Kollegenschaft streut ihr Blumen.

Pelz und bunt

Ihr Programm ist ein schneidend klar formulierter Monolog. Abenteuerlich paart sie Schöngeistiges mit Schweinischem und legt sich genussvoll in den Abwechslungsreichtum ihrer Sprache. Da wechselt sie fließend vom Wiener Schnöselidiom ins Steirische – um schließlich eine arrogante Pointe zu setzen. Teile des Publikums brüllen los, anderen nimmt sie damit die Luft: Hat die das gerade wirklich gesagt?

Tom's Comedy & Satire

Lisa Eckhart ist eine Erscheinung – auch im Kaffeehaus. Da sitzt sie, angetan in schwarzen Lackleggings, eingewickelt in eine Pelzjacke. Ist das Fell echt? "Natürlich."

Aus der Jacke lugt ein Hemd, für das Waschmittelhersteller das Wort Buntwäsche erfunden haben. Links oben hinten hat sie eine Zahnlücke, die Fingernägel verströmen Drogeriemarktschick. Sie raucht Selbstgedrehte, ein bisschen feig mit Filter, trinkt einen weißen Spritzer und gibt bereitwillig Auskunft über sich. In derselben geschliffenen Sprache, mit derselben Lust am Formulieren, mit derselben Unbarmherzigkeit, mit der sie auf der Bühne über Suizid, Feminismus, Gott, den Teufel und die Mysterien des Analverkehrs parliert.

Lisa Eckhart ist Lisa Eckhart. Immer. Da oben steht sie selbst und genießt es. Die nette Lisa, die Freunde anrufen, weil sie jemanden zum Kistenschleppen beim Umzug brauchen, die gibt es nicht. Eckhart tickt anders.

Auf der Suche nach einer Erklärung fällt der Name Klaus Kinski. "Der war die perfekte Inkarnation von Kunst. Da weiß man, es gab keinen Moment, in dem er nicht Klaus Kinski war. Der kam nicht heim, setzte sich aufs Sofa und war auf einmal g'miatlich. Der konnte nicht raus aus sich." Kunst, sagt sie, dürfe kein Parallelleben sein.

Provinz minus Bledsinn

Ihr Leben hat 1992 in der Steiermark begonnen. Aufgewachsen ist sie in Sankt Peter-Freienstein, einem Kaff hinter Leoben. In der Wirtschaft heißt das Standortnachteil. Die Mutter studierte noch, der Vater war in postnataler Depression gefangen – die Großeltern übernahmen das Kind.

Es sei ein gutes Arrangement gewesen, sagt sie. Tiefste Provinz zwar, doch die Großeltern hätten sie mit gesundem Menschenverstand vor den schlimmsten Einflüssen des Provinzialismus bewahrt. Als Klein-Lisa eines Abends plötzlich beten wollte, sagte der Großvater: "Mit so an Bledsinn fang' ma gar net erst an."

Mit sechs Jahren wurde sie zu den Eltern nach Graz umgezogen. Das formte ihre Vorstellung einer Stadt, bis sie rauskam und die schamlose Anmaßung erkannte, mit der sich Graz als Stadt gerierte. Ihre Jugend beschreibt sie als überhebliches Nebenherleben mit ein, zwei Gleichgesinnten. Bis zu ihrem Studium gab es keine kulturellen Einflüsse, Eckhart spricht von einem antiintellektuellen Bewusstsein, sie sei sehr leer gewesen. Das änderte sich mit dem Studium.

Eindruck und Gesamtwissen

Eckhart studierte in Wien und an der Pariser Sorbonne Germanistik und Slawistik und unterrichtete anschließend, pädagogisch wertlos, ein Jahr in London. Der Beruf und die Berufung der Mutter hatten deutlich nicht auf die Tochter abgefärbt.

Comedy & Satire im Ersten

Während des Studiums las sie Klassiker der deutschen, englischen und französischen Literatur, dazu Werke zur Psychoanalyse und der Geschichte. Damit habe sie einen illusionären Eindruck bekommen, den sie fortan als Gesamtwissen verkaufen konnte. Befriedigend war das nicht. Es zog sie auf die Bühne. Schauspielerin werden, das wär' doch was.

An die 20 Vorsprechen hat sie absolviert und ebenso viele Absagen kassiert. Ein Desaster, aber doch eine erste Bühne. Denn plötzlich saßen da vier, fünf Menschen, die ihr zuschauten. Die fanden sie zwar furchtbar, hatten aber 15 Minuten lang keinen anderen Zweck, als ihr zu lauschen. Eckhart hatte Blut geleckt.

Gefallen am Grotesken

Dann landete sie beim Poetry-Slam. Das Fach entstand 1984 in den USA. Es ist eine offene Bühne vor Publikum, auf der sich Vortragende in Gedichtform mitteilen und matchen: großes Elend und kleine Klasse auf engstem Raum. In Österreich gibt es Poetry-Slams seit rund 15 Jahren. Eben hat Doris Mitterbacher alias Mieze Medusa mit Markus Köhle das Buch "Slam, Oida – 15 Jahre Poetry Slam" in Österreich veröffentlicht.

Mieze Medusa gilt als Gründerin der heimischen Szene. Sie attestiert Eckhart ein Ausnahmetalent. Bereits ihre gestylte Erscheinung sei ungewöhnlich. "Das vergibt die Szene sonst nicht, ihr aber schon, weil sie so super ist. Sie macht sich nicht klein, sondern behauptet ihre Größe."

Eckhart sagt, Poetry-Slam hänge ihr nach wie eine nicht abgetrennte Nachgeburt. Das sei nicht schlimm, aber sie sehe sich nicht als Slammerin. Für sie bot sich damit bloß eine Bühne, derer sie sich bemächtigte. Ihr Herzblut hängt an keiner Form, es hängt an der Bühne. Außerdem ist ihr Poetry-Slam schon viel zu geschliffen. Es habe nicht mehr dieses Groteske, es fehlen die Typen, die sich da hinstellen, vollkommen unfähig, mit ihrem Leben fertig zu werden. "Das hat mir gut gefallen."

Notwendige Isolation

Mittlerweile ginge es meist nur noch um erwartbare Reizthemen und versande in Bestätigungskultur. Nicht ihres. Das gilt für vieles. Sie will überhaupt mit möglichst wenig zu tun haben. Sie befindet sich in einer Phase des Schaffens und des Produzierens. Dabei ist Isolation oberstes Gebot. Tagespolitisches interessiert sie nicht.

Sie wartet auf das, was überbleibt, wenn die Tagespolitik von der Geschichte gefiltert worden ist. Andere Kabarettisten? Kein Interesse. Sie sagt, sie hätte in ihrem Leben noch kein ganzes Kabarettprogramm gesehen. "Das ist wieder nur ein Einfluss, ein Tropf, an den ich mich nicht hängen will."

Ganz hermetisch gestaltet sich ihr Dasein dennoch nicht. In ihrem Programm finden sich natürlich Hinweise auf eine Durchlässigkeit des Kokons Eckhart für Themen des Alltags. Bloß forcieren tut sie das nicht, lieber geistfrei "Lindenstraße" glotzen. Nur im Zustand der Abschottung gelingen ihr die abenteuerlichen Fallhöhen in ihren Texten. Darin wetzt das Schweinische den geistvollen Diskurs. Zwei Stunden übers Pudern zu reden könne jeder, die Mischung aus vulgär und anspruchsvoll mache es aus. "Das finde ich sehr exklusiv."

Auftritte als Luxus

Damit ist sie hierzulande, wenn nicht im ganzen deutschen Sprachraum, einzigartig. Aber das reicht natürlich nicht. Die Talente Narzissmus und Größenwahn sind hungrige Kollegen und ringen der grundsätzlich faulen Person Ehrgeiz ab. Sie möchte sich vom Diktat des Lustigen lösen und in die Literatur gehen. Dann könnte sie, ohne zu reisen, länderübergreifend arbeiten.

Ihre Auftritte wären nicht länger die Bedingung, um Eckharts Publikum zu bannen, sondern Luxus. Die Aussicht darauf entlockt ihr einen Seufzer. Der Plan ist am Reifen. Mehrere Romanprojekte soll es bereits geben, noch sei sie am Abwägen, mit welchem sie den besten Start hinlegen könnte.

Die Zukunft leuchtet also hell für Lisa Eckhart – mit einer profanen Einschränkung. Denn so befriedigend Arbeit und Erfolg sind, eines liegt wie eine kalte Hand auf ihrer Schulter: die Vergänglichkeit. Warum sie als 25-Jährige mit dem Tod hadert? "Ach, weil ich ihn nicht wegbekomme." (Karl Fluch, 25.2.2018)