#FreeDeniz: Der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel wurde am 16. Februar 2018 aus dem Gefängnis in Istanbul entlassen.

Foto: Edition Nautilus

Deniz Yücel, "Wir sind ja nicht zum Spaß hier. Reportagen, Satiren und andere Gebrauchstexte". Hrsg. von Doris Akrap. € 16,- / 224 Seiten. Nautilus Flugschrift, 2018

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Nach einem Termin bei der Emniyet muss ich immer erst einmal spazieren gehen. Vom Vatan Bulvari, dem Bürgerboulevard, zurück nach Aksaray ins russisch-türkische Einkaufsgewühl, irgendwo einen Happen essen und dann bloß nach Hause. Ein Polizeipräsidium ist selten ein angenehmer Ort, und jenes in Istanbul gleich gar nicht. Aus allen Glasscheiben an den Schaltern blicken Staatsmacht, gelangweilt, aber stark konzentriert, und eine dauernde Ahnung von Willkür. In einem ganz anderen Trakt der Emniyet – der Sicherheit -, weit von den Wartebänken des Meldeamts, saß Deniz Yücel die ersten 13 Tage seiner Kafka-Haft ab.

367 werden es am Ende für den Korrespondenten der deutschen Tageszeitung Die Welt sein. Der Titel des Buchs entsteht aber in den ersten Tagen hier in der Zelle in der Emniyet in Istanbul: "Alle, die ich hier kennengelernt habe – kurdische Aktivisten, Makler, Katasterbeamte, festgenommene Richter und Polizisten, Gangster -, alle haben mir gesagt: 'Du musst das aufschreiben, Deniz Abi.' Ich habe gesagt: 'Logisch, mach ich. Ist schließlich mein Job. Wir sind ja nicht zum Spaß hier.'"

"Abi" nennt man im freundlichen Gespräch in der Türkei den etwas Älteren. Ein Taxifahrer kann ein "Abi" sein, ein "älterer Bruder", oder eben Deniz Yücel, der Sohn deutscher Gastarbeiter aus der hessischen Kleinstadt Flörsheim, weil er im Zellentrakt in der Emniyet noch einen Tick länger sitzt als die anderen, bis die türkische Justiz endlich weiß, was sie mit ihm machen soll: in ein richtiges Gefängnis verlegen als terrorverdächtigen Untersuchungshäftling.

Aus der Einzelzelle

Wir sind ja nicht zum Spaß hier war eigentlich als eine Art Kampfschrift aus der Einzelzelle gedacht. Ein bisschen Zunder, um die Fackel der #FreeDeniz-Bewegung in Deutschland gar nicht erst erlöschen zu lassen. Yücel war aber wohl der Letzte, der sich ausmalte, dass er zur Buchpräsentation, ziemlich genau ein Jahr nach seiner Gefangennahme, selbst in Berlin auftreten könnte. Eine offensichtlich politisch motivierte Inhaftierung hat ein nicht weniger offensichtlich politisches Ende gefunden. Wir sind ja nicht zum Spaß hier versammelt auf 220 Seiten satirische Kolumnen, Reportagen und ein kritisches Interview mit einem PKK-Führer aus acht Jahren Yücel'schem Schaffen, von der linken Berliner Wochenzeitung Jungle World über die linke Taz zum rechten Springer-Seriösblatt Die Welt, das seine deutsch-nationalen Hosenträger so weit abgestreift hat, dass es sich sogar einen frech formulierenden linken Deutschtürken leisten kann.

Das Yücel-Buch soll journalistische Kontinuität signalisieren und die U-Haft in Erdogans Staat gleichsam als mehr oder minder bizarres Ergebnis beruflicher Standfestigkeit erklären. Das stimmt zum einen natürlich, zum anderen aber auch nicht. Die Textsammlung, in mühevoller Absprache aus der Zelle von Yücels Taz-Kollegin Doris Akrap zusammengestellt, zerfällt in zwei Teile: vor Istanbul und in Istanbul. Der eine Teil besteht aus meist vergnüglich zu lesenden Kolumnen aus Yücels Taz-Zeit über Fußballweltmeisterschaften, Europawahlen, richtig Fischessen und andere Begebenheiten des satten deutschen Bobo-Alltags; der andere Teil besteht aus Reportagen aus der Türkei ab 2015 – Geschichten mit Farbe, und Tempo und dabei immer fürchterlicher, je mehr das Land in Gewalt und autoritärer Herrschaft auseinanderfällt. Hier wird klar: Deniz Yücels eigentliches Thema ist die Distanz.

Streichholzschachtelwelt

Er nennt es Haltung und Handwerk, die zwei alten Grundsätze des Journalismus. In seiner Berliner Zeit bei Jungle World und Taz sah Yücel aus meist ironischer Distanz, was – wie Doris Akrap schreibt – "falsch ist und was komisch". Dass Yücel aus einer türkischen Familie kommt, ist dabei fast irrelevant. Ironisch auf die deutsche Politik und Gesellschaft blicken kann man auch als Amerikaner, Senegalese oder Luxemburger. Mit der Türkei von Tayyip Erdogan – "seine Streichholzschachtelwelt aus Koranversen und Bauplänen" nennt Yücel sie – ist es anders. Yücel werkt als Korrespondent in der Türkei herum mit einer Verve, als beschriebe er die Implosion des Planeten SPD in NRW oder die Meuchelmörder bei einer Klausurtagung der CSU auf dem Land.

Ein demokratischer, auf Pluralismus bedachter Staat hält das aus, wünscht es sogar. Beim EU-Beitrittskandidaten Türkei ist das ein Rezept für die Kaltstellung. Oft ist Yücel näher dran und formuliert direkter als wir anderen Türkei-Korrespondenten. Haltung statt Distanz. Und was er den Journalisten der türkischen Regierungsmedien vorhält, also etwa 90 Prozent der veröffentlichten Meinung, klingt heute, nach den ersten Verurteilungen regierungskritischer Kolumnisten zu lebenslanger Haft, noch mutiger: "Sie sind Propagandisten aus Überzeugung oder aus Opportunismus und sollen alle bügeln gehen." (Markus Bernath, Album, 24.2.2018)