In den Volksschulen dürfen die Kinder meistens noch unbeschwert lernen. Geht es einmal in Richtung Gymnasium, hört sich der Spaß spätestens auf.

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Als ich an der TU Wien unterrichtete, musste ich mir im Rahmen einer Massenprüfung für mehrere Hundert Studierende Prüfungsfragen einfallen lassen. Mein Vertrauen in eine derartige Wissensüberprüfung war gering und die Durchfallsraten hoch. Ich dachte, im Sinne der Studierenden zu handeln und das selbstständige Denken zu fördern, als ich Fragen stellte, die jeder Maturant mit dem Hausverstand bewältigen könnte. Mehrmals wies ich die Studierenden auch direkt bei der Prüfung darauf hin, dass es auf alle Fälle besser wäre, eine Frage mit eigenem Denken als gar nicht zu beantworten. Dennoch antworteten etwa 80 Prozent auf diese Fragen gar nichts. Die Ergebnisse der Studierenden wurden erst besser, als ich lernbares Faktenwissen abfragte.

Als ich zuletzt mit meiner Tochter wegen eines Gymnasiumsplatzes vor einem Direktor saß und das zehnjährige Mädchen nur ein halbes Jahr Instrumentalunterricht vorweisen konnte, wurde es belächelt. Ob sie Spaß am Instrument hat oder wie sie das Instrument gefunden hat, das zu ihr passt und das sie nun eben erst mit zehn, aber mit Begeisterung spielt, war gar keine Frage mehr wert. Auch wenn das wahrscheinlich eher zu einem Gespräch geführt hätte als die nächste Frage.

"Was machst du denn gerne?" Das genannte Basteln war wohl wieder daneben. Nächste Frage. Dass das Kind sensationelle, dreidimensionale Welten bastelt – von Lehm bis Karton, aus dem, was andere Müll nennen, wie Nussschalen, Geränkeverschlüsse, Eierkartons und Ähnliches, kam nicht zur Sprache. Basteln mit kostenlosen Materialien, früher als Kinderspielzeug gut genug und in progressiven Kindergärten wieder hip, da es die Kreativität fördert – fürs Gymnasium wäre es wohl besser gewesen, sie hätte ein sinnvolleres oder zumindest extravaganteres Interesse als Basteln angegeben.

Im 15-Minuten-Takt

Das hier erwähnte Gespräch ist etwas überzeichnet. Ich möchte nicht einer dieser Direktoren oder Direktorinnen sein, die ihre Schule zu einer gemacht haben, die sich deutlich positiv von den restlichen durch- bis unterdurchschnittlichen Lernanstalten abhebt. Denn sie sehen sich mit viel zu vielen Anmeldungen konfrontiert und müssen Schüler aufgrund der beschränkten Kapazitäten abweisen. Im 15-Minuten-Takt fragen sie dann Kinder nach ihrem Lieblingsfach in der Schule und entscheiden im Zweifelsfall nach der Wohnortnähe.

Das ist einerseits verständlich, andererseits ergibt sich daraus soziale Segregation: eine hohe Dichte an Kindern wohlhabender Akademiker in den Innenstadtschulen und überwiegend migrantisch und sozial schwächer gestellte Kinder in den Außenbezirken. Mit steigenden Mietkosten werden Teile der Mittelschicht in Wien über den Gürtel gedrängt, und findige Eltern drängen mit vorgetäuschten Hauptwohnsitzverlegungen ihre Kinder wieder in die Schulen zurück, um dort jene zu verdrängen, die sich noch nicht am Rennen um die beste Schule beteiligt haben.

Private Auslese

Privatschulen dürfen wirkliche Ausleseverfahren anwenden und sind dabei sehr einfallsreich. Eltern können mit diversen Leistungen ihrer Kleinen aufwarten. Von der Medaille für Matheleistungen (hätte sogar meine Tochter gehabt, hatten wir leider aus Naivität weder mitgenommen noch erwähnt) bis zu Fotos von Ballettauftritten oder Ähnlichem. Die Kunst besteht dann darin, es so darzustellen, als wäre das Kind schon mit zwei Jahren täglich aus eigenem Antrieb zum Ballett gekrochen.

In kirchlichen Instituten soll auch die Ausrichtung eines Pfarrkaffees helfen. Und ganz knifflig sind die durchdachten Aufnahmeprozeduren, bei denen man bereits Jahre vorher das Formular zu einem bestimmten Zeitpunkt beantragen muss, denn nur die ersten 200 bekommen überhaupt ein Formular für die Aufnahme zugeschickt.

Selektion gibt es aber noch in anderer, versteckterer Form. Wer in einem stark migrantischen Bezirk eine katholische Schule wählt, hat tendenziell weniger Mitschüler mit nichtdeutscher Muttersprache, was leider zum Thema wird, da der positive Effekt der Mehrsprachigkeit und auch der kulturellen Vielfalt wenig gefördert wird. Alphabetisierung in der Muttersprache und eigener konfessioneller Unterricht ja, aber interkonfessionelle, interkulturelle Aktivitäten und Programme sind Mangelware.

Dabei könnten Programme in den Vorortschulen, die die kulturelle, sprachliche Vielfalt zum Potential machen, sowohl einen gewaltigen Beitrag zur Integration, zum kulturellen Miteinander und Verständnis liefern als auch den Druck von den innerstädtischen Schulen nehmen. Der Trend geht derzeit aber in Richtung separater Deutschklassen.

Lehrer und Direktoren werden weitgehend allein gelassen und sind budgetär und personell schlecht aufgestellt. An der Schule meiner Kinder wird zum Beispiel seit Jahren die Handywertkarte für die Freizeitbetreuung im Ausmaß vom 20 Euro vom Elternverein bezahlt, da bereits solche Beträge das Schulbudget belasten – von Unterrichtsmaterialien, Sportgeräten und Schulfesten ganz zu schweigen.

Soziale Segregation

Erstaunlicherweise gibt es noch viel subtilerer Formen der sozialen Auslese. Bei Ganztagsschulen zählt als Aufnahmekriterium, dass beide Eltern berufstätig sein müssen. Wenn beide Eltern nachweislich, also angemeldet arbeiten, sprechen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit relativ gut Deutsch und haben ein gewisses Ausbildungsniveau sowie finanzielle Rahmenbedingungen, die in der Regel ein stabiles Familiengefüge ermöglichen. Die Kinder der meist nicht angemeldet Arbeitenden (z. B. Putzfrauen) landen dann gebündelt mit allen anderen, die weder Möglichkeit noch Kapazität zur Auswahl haben, in den anderen Schulen, was die Situation dort nicht erleichtert.

Lustigerweise sind hier wie dort vor allem die Frauen beteiligt: Die einen machen jene Wohnungen sauber, wo sich die anderen um die nötige Formung des Nachwuchses bemühen, die immer aufwendiger wird, was wiederum diese Frauen in Teilzeit oder zur Berufsaufgabe treibt. Und sollte für sie auch im individuellen Falle die Ganztagsschule die attraktivere Schule sein, kann die Frau immer noch im Büro oder der Kanzlei des Mannes angemeldet werden, das spart zudem noch Steuern. Die Kinder der Putzfrau aus dem Gemeindebau im innerstädtischen Bezirk haben dann leider wieder das Nachsehen.

Es ist ein Wettlauf, an dem man auf die eine oder andere Art nicht vorbeikommt. Entweder man nimmt teil oder man wird eben von anderen verdrängt. Der Wahnsinn daran ist, dass all dieser betriebene Aufwand der Eltern – im besten Fall – die freie Entfaltung eines Kindes nicht abwürgt, es für die in der Regel engagierten Mütter einen emanzipatorischen Rückschritt bedeutet und gesellschaftspolitisch völlig unsinnige Zeitverschwendung ist.

Diese Zeit wäre besser in ganz normale Gespräche und Alltagstätigkeiten mit den eigenen Kindern investiert, damit diese sich beizeiten selber die Schuhe binden können, statt Trommelkurs, Geigen- und Englischunterricht mit vier zu belegen. Und damit sie sich später im Berufsleben oder im universitären Umfeld trauen, eine Frage mit dem Hausverstand zu beantworten, auch wenn ihnen ihre Eltern oder eine Bildungseinrichtung vermittelt haben, dass etwas richtig machen heißt, dass es einem gewissen Rahmen entsprechen muss. Selbstständig denken aber bedeutet, Zusammenhänge zu erfassen, die manchmal jenseits eines gegebenen Rahmens liegen. (Eva Germann, 23.2.2018)