Politiker seien oft zu sehr aufs gute Performen fixiert, kritisiert Peter Kaiser. Sie müssten sich "neue Denkräume" erobern.

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STANDARD: Bei der Nationalratswahl wurde Kärnten blau. Warum stimmten so viele Rote für die FPÖ?

Kaiser: Es sind mehr von uns zu Kurz abgewandert.

STANDARD: Hatte Kurz also die besseren Antworten als Christian Kern?

Kaiser: Die einfacheren Antworten, und die hat er ständig wiederholt. Egal, ob er dafür Verantwortung getragen hat, wir wissen, er hat es nicht – aber das permanente Wiederholen des Satzes "Ich habe die Balkanroute geschlossen" war offenbar ausreichend.

STANDARD: Sie sagen, Kurz hat die Balkanroute nicht geschlossen – hat er Ihrer Meinung nach also die Wähler belogen?

Kaiser: Ich würde es nicht gleich als Lüge darstellen. Vielleicht glaubt er es ja selber.

STANDARD: Kärnten steht schlecht da: Arbeitslosigkeit, Abwanderung, Schulden. Wie gegensteuern?

Kaiser: Wir tun es seit fünf Jahren. Wenn wir die Schuldentilgung ausblenden, gebaren wir im laufenden Betrieb positiv. Aber das sehen die Leute in ihrem Alltag nicht. Jetzt kann man sagen: Ihr seid schlechte Politiker, weil ihr ihnen das nicht vermittelt. Ich glaub' aber, solche Dinge sind nicht so leicht zu verstehen. Dass dann Kritik kommt, weil sich zu wenig rührt, das müssen wir akzeptieren. Das bin ich gewöhnt.

STANDARD: Die Kärntner haben die Schuldenkrise nicht gespürt?

Kaiser: Kein Einziger hat das individuell gespürt. Das war eine lange Überlegung, die ich mit Gaby Schaunig angestellt habe: Jetzt haben wir also diesen Schuldenberg. Wenn wir aber noch betonen, wie arm wir sind, wie schlecht es uns geht – na, dann probieren Sie einmal, eine positive Standortpolitik zu machen. Daher haben wir diesen Weg gewählt. Dass er uns schadet, weil die Leute nicht fünf Watschen gekriegt haben und dann für ein Pflaster dankbarer sind, ist auch klar. Aber wenn Sie mich als Vater fragen: Ich hätte bei meinem Sohn Luca niemals gesagt, ich warte, bis er das erste Mal auf die heiße Herdplatte greift, weil dann brauch' ich's ihm nicht mehr sagen. Sondern ich hab' zehntausendmal gesagt: Greif nicht hin. Und er hat keine Verbrennung dritten Grades gehabt.

STANDARD: Hat Türkis-Blau Ihr Bild von der FPÖ verändert?

Kaiser: Den Weg zur Normalität sehe ich die FPÖ jedenfalls nicht mit Riesenschritten anstreben.

STANDARD: Sie haben der SPÖ eine Linie verpasst, wie sie mit der FPÖ umgehen soll. Laut diesem Kriterienkatalog tun sich die Roten nicht mit rechtsextremen Bewegungen zusammen. Was heißt das konkret? Kein deutschnationaler Burschenschafter in der Landesregierung?

Kaiser: Wer sich nicht zu Österreich bekennt, hat in einer Landesregierung nichts verloren.

STANDARD: Und in einer Bundesregierung? Infrastrukturminister Norbert Hofer gehört einer solchen Verbindung an, bekennt sich aber zur österreichischen Nation. Wäre das für Sie ausreichend?

Kaiser: So ein Bekenntnis ist eher das Gegenteil davon. Nach dem Motto: Was ich nicht will, betone ich. "Wir würden nie etwas Antisemitisches machen!" Und schon kommt der nächste Ariel-Witz.

STANDARD: Kärnten schrumpft. Wie wollen Sie Zuwanderer anlocken?

Kaiser: Es wird Welcome Centers geben, wo man auf einen Mausklick alle Jobs, alle Neuansiedlungen sieht. Beispiel: Da kommt Infineon mit 350 Forschungsplätzen, wir suchen so und so viele Leute, bieten in der Umgebung diese Wohnmöglichkeiten, diese und jene Schulen, Kindergärten mit soundso vielen freien Plätzen. Es ist wichtig, das breit zu kommunizieren. Ich gestehe, das war eine Schwäche: Im Selbstmarketing sind wir auf null runtergefahren. Wie früher jeden Kreisverkehr mit einer Einladung an 10.000 Leute, Gulasch und Freibier zu eröffnen, das mach ich sicher nicht mehr in dem Land. Wir machen in der Politik ja einen Kardinalfehler: Wir reduzieren uns zu sehr im Denken, konzentrieren uns auf die Gegenwart, die öffentliche Performance. Der Grundgedanke der Politik, das Antizipieren von Problemen, das Suchen nach neuen Antworten, kommt zu kurz. Der Jüngste, der sich solche Gedanken gemacht hat, ist Christian Kern. Wenn wir uns diese Denkräume nicht erkämpfen, werden wir von Entwicklungen überrollt werden. Das ist aber nicht nur eine Selbstanklage der Politik, sondern auch vieler Medien.

STANDARD: Was wäre eine solche neue Antwort, ein neues Konzept?

Kaiser: Die Anforderungen für Jobs ändern sich permanent, viele Menschen brauchen dringend Umschulungen. Wir werden deshalb neue Formen der Arbeitszeitverkürzung brauchen: 36 Stunden, gleicher Lohn, aber vier Stunden zweckgewidmet für Weiterbildung. Da gewinnen drei: der Unternehmer, weil sein Mitarbeiter qualifiziert wird, die Mitarbeiter und die Gesellschaft. (INTERVIEW: Walter Müller, Maria Sterkl, 24.2.2018)