Luis "El Presidente" Cordero führt die Guatemalteken in Amstetten aufs Eis.

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Beim Zielschießen der Junioren herrschte kurz Verwirrung im Publikum

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Beim Weitschießen sind die Regeln einfacher: Der weiteste Schuss gewinnt.

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In Luis Corderos Kindheit gab es weder Schnee noch Eis. Unter zehn Grad Celsius hat es in seinem Heimatort Guatemala-Stadt selten. Wenn man den 41-Jährigen jedoch über das Eisstockschießen sprechen hört und ihn beim Schwingen des Stocks in den guatemaltekischen Nationalfarben sieht, wirkt es, als sei er an einem zugefrorenen See aufgewachsen.

Cordero ist Präsident des guatemaltekischen Eisstockverbands. Sein Team tritt ab Anfang dieser Woche bei der Weltmeisterschaft in Niederösterreich an. "Federa cion Deportiva de Eisstock Guatemala" steht auf den blauen Jacken des Teams, am Ärmel prangt der Quetzal, der guatemaltekische Nationalvogel. "Wir sprechen auf dem Eis eine Kombination aus Spanisch und Deutsch. In unserer Sprache fehlen die Eisstockvokabeln", erzählt er. Die Kommandos werden hingegen auf Spanisch gerufen.

DER STANDARD

Für Cordero ist der Sport im Jahr 2007 zur Leidenschaft geworden. Bei der offenen Europameisterschaft in Weiz fehlten dem guatemaltekischen Team damals Spieler. "Ich habe bis dahin noch nie einen Eisstock gesehen und nicht gewusst, dass es den Sport gibt", erzählt er. Nach zwei Trainingseinheiten stand Cordero auf dem Eis und wurde mit seinen Teamkollegen Vizeeuropameister der Gruppe B. Seither ist der Sport aus seinem Leben nicht mehr wegzudenken. Stolz präsentiert er seine Medaillen. Bronzene, silberne und goldene Vierecke glitzern in seinen Händen. Die meisten sind aus Europabewerben – auch wenn Guatemala in Mittelamerika liegt.

Alle Mannschaften, die wollen, können bei der Europameisterschaft teilnehmen, sagt Cordero. Das liegt auch daran, dass Eisstockschießen als Leistungssport noch nicht ganz angekommen ist. Denn die Nationalteams treten in zwei Gruppen an, die Gruppe A zählt bei der Europameisterschaft meist zehn Teams. "Die Gruppe B hätte nicht genügend Nationen", sagt Cordero. Die zweite untypische Mannschaft, die immer dabei ist, ist übrigens Kenia.

Freundschaftliche Feinde

"Das Europaderby heißt Guatemala gegen Kenia – wir sind die zwei ‚Exoten‘, die jedes Mal auf einandertreffen", erzählt Cordero. Der afrikanische Staat gehört zu den größten Rivalen der Guatemalteken. Einzig die Konkurrenz mit Paraguay ist noch größer. "Wir sind ihre sportlichen Feinde, das beruht auf Gegenseitigkeit." Die "freundschaftliche Feindschaft" wurzelt in einem Turnier, in dem die Teams denselben Platz belegten.

"Neben der sportlichen Leistung wird Kameradschaft hier noch großgeschrieben", sagt dagegen Alfred Weichinger Junior, Gesamtkoordinator der heurigen Weltmeisterschaft. In drei Bewerben zeigen 25 Nationalteams von 26. Februar bis 3. März in Amstetten und Winklarn ihr Können: im Mannschaftsspiel, beim Ziel- und Weitschießen. Die Junioren waren bereits vergangene Woche dran. Da holte Deutschland im Zielschießen der U23 Gold. Die Disziplin wird auf parallel gesteckten Bahnen ausgetragen. Das sorgt im Publikum jedoch für Verwirrung: "Wer hat gewonnen?", fragt eine ältere Dame ihren Begleiter. "Das sehen wir erst bei der Sieger ehrung", antwortet dieser.

Kurzes Weitschießen

Beim Weitschießen sind die Regeln aufgelegt: Der, der am weitesten schießt, gewinnt. Der Rekord liegt laut Weichinger bei 566 Metern, die Bahn in Winklarn hat 130. "Wir steuern das über die Laufsohlen der Stöcke. Sonst würden die Durchgänge zu lange dauern." Schießt einer über die Bahn hinaus, ist das kein Problem, passiert das zweimal, wird abgebrochen. "Dann müssen wir neu beginnen", sagt Weichinger.

Das Mannschaftsspiel ist jene Spielform, die in Österreich fast jeder schon einmal gesehen hat. "Viele verbinden das mit dem, was bei uns im Winter auf dem Teich stattfindet", sagt Weichinger. Der Bewerb habe aber wenig mit dem oft mit hohem Alkoholkonsum verbundenen Brauch der Alpen region zu tun. Der größte Unterschied: Das Bier gibt es erst nach dem Sport.

Wabbler bei Ronaldo

"Das Mannschaftsspiel ist unsere Lieblingsdisziplin, hier räumen wir die Medaillen ab", sagt Cordero. Bis 2011 habe Guatemala sowieso nie wirklich trainiert. "Wir sind Naturtalente und haben uns immer kurz vor dem Bewerb getroffen, gespielt und gewonnen." Dann kam just bei der Weltmeisterschaft der Rückschlag. "Wir waren sicher, dass wir alle wegputzen würden. Aber es war eine richtige Katastrophe." Guatemala erreichte nur den siebenten Platz. Seither wird regelmäßig trainiert. Seit fünf Jahren üben die Guatemalteken im Prater mit dem ESV Styria und schauen sich dort einiges ab. "Wir haben die Strategie umgestellt."

Soll heißen: Die schnellen Eislaufsohlen – bunte Platten, die die Rutschgeschwindigkeit der Eisstöcke bestimmen – wurden ausgetauscht. Denn je stärker die Sohle, desto schwieriger ist es, von den Gegnern weggeschossen zu werden. Dafür flitzen die Stöcke nicht so gut über die Bahn. Auch an speziellen Techniken wird gefeilt. Etwa am "Wabbler", einem Schuss bei dem man um einen bereits im Zielkreis stehenden Stock herumwackelt und dadurch näher zur "Daube", dem Ziel in der Mitte, kommt. Das läuft aber weniger gut: "Die Guatemalteken schaffen das nicht. Das können nur die Ronaldos und Messis des Eisstocks."

Und diese kommen meist aus der Alpenregion. Die Topfavoriten sind jene Länder, die auch alle seit 1983 stattgefundenen Welt meisterschaften ausgetragen haben: Deutschland, Österreich, die Schweiz und Italien – "Südtirol", sagt Cordero. Im Jahr 1936 wurde Eisstockschießen als Demonstrationsbewerb bei den Olympischen Spielen vorgeführt. Seither gibt es Bemühungen, aufgenommen zu werden. Im Sommer 2017 wurde ein entsprechender Antrag beim Komitee eingebracht.

Junges Team

Das guatemaltekische Team ist im Vergleich mit anderen Stocksportmannschaften ein junges. Die Gründungsgeschichte liegt in der Weltmeisterschaft 2004 in Graz. Guatemala trat zum Spaß an und erreichte den fünften Platz. "Sie waren begeistert", sagt Cordero. Die Mannschaft besteht damals wie heute aus Guatemalteken, die an der österreichischen Schule in Guatemala-Stadt maturiert haben.

Die Schule wurde 1958 gegründet, die Lehrer kommen aus Österreich, die Unterrichtssprache ist Deutsch. Der weitere Bildungsweg der Absolventen ist vorprogrammiert: Der Lehrplan ist jenem in Österreich angepasst, die Matura erfolgt nach den gleichen Standards. Der Wechsel an eine Uni in Österreich verläuft ohne Probleme. Cordero zog 1994 erst nach Graz und später nach Salzburg und studierte Kommunikationswissenschaften. Die Heimat wird nur noch sporadisch besucht.

Dort verstehen sowieso nur wenige, was die Auslandsguatemalteken auf dem Eis treiben. "Meine Mutter hat einen Zeitungsartikel darüber entdeckt. Sie hielt es für kompletten Blödsinn, bis sie gelesen hat, dass ihr Sohn dabei ist. Seither ist der Text eingerahmt", sagt Cordero, dessen Elternhaus auch die Adresse des Vereins sitzes ist. "Niemand von uns lebt in Guatemala. Wir mussten aber eine Anschrift in dem Land angeben, für das wir antreten."

Guatemala ist die Ausnahme. Das Gros der Teams aus schnee armen Ländern wurde von Auswanderern gegründet. So traten bei den Junioren gleich drei Aus tralier mit demselben Nachnamen an. "Die Kinder von einem Mostviertler, der vor Jahrzehnten nach Australien gezogen ist", sagt WM-Sprecher Didi Rath: "Er hat das Team dort gegründet. Solche Geschichten haben viele Mannschaften." (Oona Kroisleitner, Raoul Kopacka, 24.2.2018)