Heinrich Prokop inspiziert einen innovativen Wursthautschäler. Investment gab es dafür zwar keines, doch für die Verpflegung war gesorgt.

Foto: Gerry Frank Photography

Wien – Zwei Minuten hatte er Zeit, um die sinnbildlichen zwei Millionen abzuräumen. Gebannt schauten fünf Investoren dem Wiener Paul Varga beim Zähneputzen zu, respektive seiner Produktpräsentation. Zwei Millionen sollten es nicht werden, doch schlussendlich bekam Varga mit seinem Start-up Playbrush die stattliche Summe von 550.000 Euro. Investiert haben Marie Hélène Ametsreiter von Speedinvest und Seven Ventures Austria, eine Tochter der ProsiebenSat1-Puls-4-Gruppe. Playbrush, das ist ein Aufsatz für Zahnbürsten, der sich via Bluetooth mit einer Spiele-App am Smartphone verbindet und Kinder zum Zähneputzen animieren soll. Ein Produkt, das perfekt ins Konzept der Puls-4-Start-up-Show 2 Minuten 2 Millionen passt.

Warum Varga sich für die Show beworben hat, schildert er dem Standard so: "Ein mögliches Investment war nicht der Hauptgrund. Die Marke Playbrush bekannter machen und Feedback von erfahrenen Investoren einholen – das waren unsere Motive." Die Kapitalspritze sei natürlich ein sehr angenehmer Nebeneffekt gewesen. Stichwort Werbewirkung: Ob der Tatsache, dass Puls 4 mit der fünften Staffel der Investmentshow zu Spitzenzeiten rund 300.000 Leute erreicht, ein durchaus verständlicher Beweggrund. Wenn auch bei Playbrush die Einschaltquoten in der dritten Staffel 2016 noch etwas niedriger waren – für Co-Founder Varga hat sich die Mühe allemal ausgezahlt.

Kein Spaziergang ins Hauptprogramm

Auch andere Jungunternehmer, die anonym bleiben wollen, bestätigten im Standard-Gespräch, dass sie vor allem der Werbeeffekt zum Mitmachen bewogen habe – selbst wenn sie aktuell zum Drehtermin nicht wirklich ein Investment brauchten.

Ein Spaziergang ist der Weg ins Hauptabendprogramm jedenfalls nicht. "Von mehreren Hundert Bewerbern wird jeder einzelne gecastet", sagt Katharina Gellner, die Sendungsverantwortliche bei Puls 4. Grundvoraussetzung für die Teilnahme ist ein vorhandener Prototyp – eine Idee und eine Powerpoint-Präsentation reichen nicht aus. Wirtschaftliches Potenzial und die Menschen hinter dem Produkt zählen ebenso zu den Entscheidungsfaktoren. Außerdem müsse man bei den Kandidaten den wahren Willen, Unternehmer zu sein, erkennen können.

Nervosität macht sich breit

Nachdem Varga und sein Team den Cut geschafft hatten, kam die Nervosität. "Wir standen noch am Anfang, waren unerfahren – das war schon stressig." Denn der Faktor "Show" spielt eine zentrale Rolle für das Format. Leute sollen die Produkte verstehen, Leute sollen über die Sendung sprechen, und Leute sollen unterhalten werden. Varga war das klar: "Es geht ums Fernsehen, ich habe ein paar Tipps für den Auftritt bekommen, aber im Wesentlichen ließen sie mich machen, was ich wollte", erzählt der Gründer.

Die Regeln des Showbiz sind, bei aller Konzentration auf das Inhaltliche, dennoch einzuhalten: Hochkomplexe Softwarelösungen haben für ein Gespräch beim Mittwochmorgenkaffee tendenziell schlechtere Karten als ein Wursthautschäler oder ein Mittel zur Wespenvertreibung, dessen Entwicklung auf "Ich hab einfach mal alles zusammengemischt" basiert. Immer wieder schwingt ein bisschen Castingshow in dem Puls-4-Format mit. "Die haben ja sowieso keine Chance auf die Kohle" ist keine unübliche Zuseher-Reaktion auf so manche Produktidee. Verständlich? Schon. Puls 4 macht Privatfernsehen, und Privatfernsehen soll zur Unterhaltung dienen.

Kein "Leider nein"

Der Sender dementiert jedoch reine Belustigungsintentionen: "Wir casten niemanden auf 'Leider nein'-Basis, nur um Unterhaltungsfernsehen zu liefern. Aber nichtsdestotrotz braucht die Show skurrile Ideen", sagt Sendungsverantwortlicher Gellner. Der Fokus liege auf Produkten, die direkt an den Konsumenten gehen, meint Gellner weiters. Auch Playbrush-Gründer Varga empfiehlt vorrangig jenen Start-ups, die im B2C-Bereich tätig sind, sich für die Show zu bewerben.

"Die Inszenierung ist verständlicherweise produktorientiert. Was manchmal untergeht, sind die anderen Faktoren und Rahmenbedingungen, die ein Investor zu beachten hat: Wie kann ich das Produkt verteidigen? Welche möglichen Entwicklungen lässt das Produkt zu? Wie sieht das Team aus?", sagt Michael Eisler, Mitgründer des Business-Angel Netzwerks Startup300.

Immer gut drauf

Dass Start-ups medial boomen, war eine Binsenweisheit der vergangenen Jahre. Dargestellt wird dabei oftmals eine Szene junger kreativer Menschen, die immer gut drauf und rund um die Uhr motiviert sind, alles für das eigene Unternehmen zu geben. Diese Bereitschaft haben tatsächlich viele. Das Arbeitspensum hinter dem Projekt "Selbstständigkeit" geht dabei oft unter.

Business-Angel Eisler sagt: "Start-up ist kein Lifestyle. Es mag hip und cool sein zu gründen, doch in Wahrheit ist es knochenharte Arbeit – gepaart mit großer Risikofreude und der Bereitschaft, lange Zeit kaum etwas zu verdienen." Und Zahlen lügen nicht: Neun von zehn Start-ups scheitern. Die Investoren nehmen sich deswegen meist kein Blatt vor den Mund, wenn sie von einem Produkt nichts halten.

Aufklärungseffekt der Serie

Einig ist man sich in der Szene über den Aufklärungscharakter der Puls-4-Serie. Themen wie Selbstständigkeit und Investments werden dort einem breiten Publikum zugänglich gemacht. "Es gibt nichts Besseres, als der breiten Masse näherzubringen, dass es andere Möglichkeiten neben einem Angestelltenverhältnis gibt – und darüber hinaus Menschen, die einen dabei mit Kapital, durch TV-Reichweite und Know-how unterstützen", sagt Daniel Zech, Leiter von Seven Ventures Austria.

Bewusst überspitzt spricht er sogar von einem sozialpolitischen Effekt. Ob sich die Show direkt auf die Motivation zu gründen auswirkt, kann die Wirtschaftskammer Österreich nicht sagen. Den Aufklärungseffekt begrüßt aber auch sie.

Bei dem Telefonat mit dem Standard blickt Paul Varga nach oben und nicht zurück, denn er befindet sich zu dem Zeitpunkt auf dem Großglockner. Als den dezidierten Durchbruch für seine Firma sieht er den Auftritt zwar nicht, aber er hätte natürlich sehr geholfen, und die Firma profitiere in gewisser Weise immer noch davon. (Andreas Danzer, 24.2.2018)