"Ich war nie bei einer politischen Partei", betont sie, darauf angesprochen, dass sie unter Schwarz-Blau 2003 Vize- und jetzt angeblich auf FPÖ-Wunsch Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs wurde.

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Wien – Die neue Verfassungsgerichtshof-Präsidentin Brigitte Bierlein hält den Regierungsplan, dem Verwaltungsgerichtshof jede Zuständigkeit in Asylsachen zu entziehen, für "problematisch". Angesichts des geplanten Sicherheitspakets pocht sie auf Verhältnismäßigkeit. In der am Montag beginnenden Session des Verfassungsgerichts ist eine Entscheidung über das niederösterreichische Mindestsicherungsmodell zu erwarten.

VfGH-Präsidentin Bierlein hält einen Rückbau des Rechtsschutzes im Asylbereich für "problematisch".

Dass sie am Dienstag Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter als Verfassungsrichter angeloben wird, sieht Bierlein wegen dessen Expertise als "Bereicherung" für den Gerichtshof. Angesichts von Kritik, dass Brandstetter über Gesetze mitentscheiden werde, die er als Justizminister selbst veranlasst hat, verweist Bierlein auf die Praxis: "Die Befangenheitsregeln werden sehr, sehr ernst genommen."

Jedes VfGH-Mitglied, bei dem "auch nur im Entferntesten der Anschein einer Befangenheit entstehen könnte", nehme sich selbst aus dem Fall heraus. So habe es die frühere Asfinag-Aufsichtsratsvorsitzende Claudia Kahr immer gehalten, wenn es um Straßenbau gegangen sei, und Brandstetter werde es wohl genauso handhaben. Jedenfalls biete er als Professor für Wirtschaftsstrafrecht, Strafverteidiger, Ex-Minister und -Vizekanzler ein "breites Feld beruflicher Erfahrung".

Bierlein: "War nie bei einer Partei"

Bierlein selbst wurde am Freitag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen als Nachfolgerin von Gerhart Holzinger angelobt. Die zwei Jahre, die sie aufgrund der Altersgrenze für Verfassungsrichter im Amt sein wird, seien "gar keine so kurze Zeit", meinst Bierlein, das sie "immerhin acht Sessionen" lang Präsidentin sein werde. Parteinähe bestreitet sie: "Ich war nie bei einer politischen Partei", betont sie, darauf angesprochen, dass sie unter Schwarz-Blau 2003 Vize- und jetzt angeblich auf FPÖ-Wunsch Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs wurde. "Unabhängigkeit ist für mich eine Selbstverständlichkeit", schon aus der früheren Karriere in der Strafgerichtsbarkeit.

Bei jedem VfGH-Mitglied beginne sofort die verfassungsrechtlich garantierte Unabhängigkeit zu greifen – "und die Richter leben diese auch". Das sehe man in den Beratungen und Abstimmungen. "Die vorschlagenden Gremien würden sich mitunter über das Abstimmungsverhalten der von ihnen Nominierten wundern", so Bierlein. Für Verfassungsrichter gehe es um die Verfassung und die Grundrechte – "das ist unser Maßstab, und kein anderer".

Kritisch äußert sich Bierlein über das im Regierungsprogramm enthaltene Vorhaben, die Möglichkeit der außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Asylfragen zu streichen. "Das Asylwesen ist ein besonders sensibler Bereich, da sollte man den Rechtsschutz nicht zurückbauen." Sie plädiert aber dafür, "alles zu tun, um Asylverfahren zu verkürzen" – und möglichst rasch Wirtschaftsflüchtlinge und "echte Asylwerber" zu trennen. Letztere sollte man dann "sofort zu integrieren versuchen".

Kein Kommentar zu Sicherheitspaket

Zurückhaltend äußert sich Bierlein in der Frage der Kürzung der Mindestsicherung für Asylwerber – zumal der VfGH gerade den Antrag des Landesverwaltungsgerichts behandelt, die diesbezügliche Regelung Niederösterreichs aufzuheben. Darüber dürfte in der bevorstehenden Session entschieden werden, sagt Bierlein. Im Dezember sei die Causa nicht finalisiert worden, weil "noch Fragen offen waren". Ob es eine bundesweit einheitliche Regelung der Mindestsicherung geben soll, müsse die Politik entscheiden – sei die Sozialhilfe derzeit doch Landessache.

Auch ob die Koalitionspläne für ein Sicherheitspaket – mit Ausbau der Überwachungsmöglichkeiten für die Polizei – verfassungskonform sind, will Bierlein nicht kommentieren. Schließlich werde dieses Gesetz, so es beschlossen wird, "mit hoher Wahrscheinlichkeit bei uns landen". Bei allem Verständnis für den Wunsch der Sicherheitsbehörden, mit Kriminellen technisch Schritt zu halten, verweist Bierlein auf das vom VfGH schon mehrfach vorgegebene Gebot der Verhältnismäßigkeit (etwa bei der Vorratsdatenspeicherung oder dem Staatsschutzgesetz).

"Öffentliches Interesse und Grundrechte müssen immer in Balance stehen. In die Grund- und Freiheitsrechte kann nur eingegriffen werden, wenn das durch eine Überwachungsmaßnahme zu schützende öffentliche Interesse höher zu bewerten ist und andere Maßnahmen nicht ausreichen", sagt Bierlein. Im Zweifel habe der VfGH bisher immer zugunsten der Grundrechte entschieden.

Weitere Öffnung des Gerichtshofs geplant

Am Gerichtshof will Bierlein die schon unter ihren Vorgängern Karl Korinek und Gerhart Holzinger forcierte Öffnung beibehalten – und so weit möglich ausbauen. Der VfGH treffe sehr wichtige Entscheidungen in gesellschaftspolitisch sensiblen Fragen. "Diese verständlich zu transportieren und die Gründe zu erklären ist ein hohes Qualitätsmerkmal." Auch ihr sei die Akzeptanz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen "sehr wichtig".

Das Budget für 2018 ist noch nicht ausverhandelt. Klar ist, dass der VfGH nicht unter den Personalabbau – nur mehr jede dritte freiwerdende Stelle im öffentlichen Dienst soll nachbesetzt werden – fällt. Bierlein würde gerne ein wenig aufstocken: Nicht bei den 14 Richtern und sechs Ersatzmitgliedern – deren Zahl ist in der Verfassung verankert –, aber bei den juristischen Mitarbeitern, die ihnen in der Vorbereitung der Entscheidung helfen. Schließlich sei der Arbeitsanfall von 2016 auf 2017 um 30 Prozent auf mehr als 5.000 Fälle gestiegen – und Bierlein will die (international vorbildliche) Erledigungsdauer von 4,5 Monaten "unbedingt beibehalten". (APA, red, 25.2.2018)