Sei es in Wien, Linz oder Graz: Die Hochhausdebatte kommt gerade erst so richtig in Schwung. Sie wird vor allem auf visueller Ebene – das Stadtbild – und wenig auf inhaltlicher Ebene – wem dienen Hochhäuser, wer wohnt wo, wer profitiert? – geführt. Wir Architekturschaffende stehen dem Bauen grundsätzlich positiv gegenüber und sind aufgeschlossen für das Vertikale, auch wenn das Hochhausbauen nicht gerade zum Alltagsjob zählt. Ich möchte die Debatte weder bremsen noch beflügeln, es ist gut, dass sie geführt wird. Schlecht wäre, wenn allen egal wäre, wie sich unsere Städte entwickeln. Also weiterreden!

Linz in Richtung Urfahr, eine moderne Skyline.
Foto: Nikolaus Schullerer

Nicht allzu hoch, aber herausragend

Ich möchte vielmehr einen Typus ins Spiel bringen, der – meiner Meinung nach zu Unrecht – kaum mehr gebaut wird: das kleine Hochhaus. Es war eine typische Bauform der 1960er- und 1970er-Jahre. Mit zehn bis dreizehn Geschossen ragten die Türme oder schlanken Scheiben damals frech aus jeder halbwegs größeren österreichischen Stadt zwischen Eisenstadt und Bregenz. Sie markierten Stadteingänge oder neue Zentren, die Wohnungen waren meist mit wohnungsbreiten Loggien versehen und die Erschließung lag am Rand der nicht allzu tiefen Grundrisse mit natürlicher Belichtung und Blick über die Stadt für alle. Ästhetisch folgten sie meist einem pragmatischen Funktionalismus. Nicht alle waren immer von herausragender architektonischer Qualität, aber es geht hier auch nicht um Fassaden, sondern um Städtebau.

Horizontale Wolkenkratzer und adipöse Türme

Warum müssen Hochhäuser heute gleich so hoch sein? Und warum werden sie auch immer dicker? Schon der Architekt Le Corbusier war am Beginn des 20. Jahrhunderts gescheitert, als er versuchte, verschiedensten Städten "horizontalen Wolkenkratzer" als Lösung aller Stadtprobleme zu verkaufen. Niemand wollte die 160 Meter breiten und knapp über 200 Meter hohen, kreuzförmigen Büromonster haben. Wen wundert's? Türme brauchen Proportionalität, und die ist auch in kleinerem Maße möglich. Das zeigen die kleinen Türme und Scheiben aus jener Zeit, als Investoren noch nicht das Bild der Stadt prägten.

Le Corbusier zeigt auf sein vermeintliches Erfolgsmodell, die horizontalen Wolkenkratzer.
Grafik: Costanza Coletti

Warum sie heute nicht mehr gebaut werden? Gebäude werden heute insgesamt dicker, sie gehen buchstäblich in die Breite, je tiefer ein Grundriss, desto effizienter die Erschließung und desto besser die Energiebilanz. Schlanke Türme und schnittige Scheiben sind passé, heute wird rund um Erschließungskerne eingepackt, und das ordentlich. Die Silhouette der Stadt ist dabei egal, so scheint es zumindest. Ich spreche hier nicht von einem Canaletto-Blick – der Blick auf Wien vom Belvedere aus –, ich finde ihn einen möglichen Ansatz, aber auch elitär. Er sagt nichts aus über die Vielfalt und die Offenheit einer Stadt, Qualitätskriterien, die heute vielleicht wichtiger sind als ein freier Blick von Schloss zu Kirche. Ich plädiere auch nicht für freie Sichtachsen, sondern im Gegenteil, für eine (moderate) Skyline. Hat sich jemand schon einmal mit der Skyline von Wien beschäftigt? Mit den Möglichkeiten einer sanften Modulierung? Um da und dort etwas herausragen zu lassen? Mit möglichen Brüchen in der Blockranddachlandschaft?

Linz' bewegte Skyline

Ein Beispiel für eine bewegte Skyline einer mittelgroßen Stadt ist Linz. Hier zeigt sich das, was eine Stadt ausmacht, obwohl sie so viel kleiner ist als Wien und in Vielem auch Graz hinterherhinkt. Aber in Linz prallen Gegensätze fröhlich aufeinander, wie man es sich eben in einer modernen Stadt wünscht. Hier hat die Industrie ihre Spuren hinterlassen, nicht nur im Voest-Gelände – ohnehin der urbanste Ort in Österreich –, oder im Hafen – Wien liegt an der Donau, aber Linz hat einen Hafen! –, sondern auch mitten in der Stadt. Hier wurden in der Nachkriegsmoderne freistehende Wohnhäuser in die Höhe gezogen, die bis heute die Stadt munter durchbrechen. Sie stehen selbstbewusst zwischen Kirchtürmen, und wo sie nicht stehen, wird die alte Stadtstruktur kleinteilig und individuell am Dach ausgebaut. Geht man entlang der Donau, so vermitteln die Turmbauten ein Selbstbewusstsein, einen Aufschwung und eine Modernität, ohne Canaletto-Blick-Zwänge.  Auch Linz hat ein Hochhausproblem, auch darüber wurde und wird viel debattiert, und auch das ist gut so.

Foto: Dietmar Tolerian

Der neueste und kleinste Turm von Linz, der Transzendenzaufzug auf der Kunstuniversität Linz, ein Kunstprojekt von Karin Sander.

Hafen, Schiffe, gute Moderne und neue Projekte. Linz ist urbaner als man glaubt.
Foto: Sabine Pollak

Architektur soll ernst genommen werden und darf ruhig Reibungsfläche sein. Die Stadt soll offen sein und vielfältig, sie soll für alle gleich benutzbar sein, keine Barrieren aufweisen und soziale Räume für diejenigen zur Verfügung stellen, die sie sich sonst nicht leisten können. Die Vielfalt auf ebener Erde sollte sich auch in einer Skyline wiederspiegeln, mit möglichst vielen Orten, die auch auf erhöhten Ebenen öffentlich zugänglich sind. Also Türme ja, aber gut proportioniert bitte. Wann ist ein Turm kein Turm mehr? (Sabine Pollak, 27.2.2018)

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