Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) fordert "ein Ende der Verunsicherung".

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Wien – "Wir werden im wahrsten Sinn des Wortes verarscht" – Martin Ladstätter vom Verein Selbstbestimmt Leben sprach am Montag vor Journalisten aus, was sich viele Behindertenvertreter angesichts der verworrenen Situation zur Sachwalterreform denken. Als neueste Variante geistert nun nämlich folgende Lösung herum: Das neue Erwachsenenschutzgesetz soll nicht verschoben werden, sondern (wie von allen Parlamentsparteien im Vorjahr beschlossen) am 1. Juli in Kraft treten – allerdings ohne die für die Umsetzung benötigte Finanzierung. Zuletzt war von 17 Millionen Euro pro Jahr die Rede.

Mittlerweile sei die Finanzierung gesichert, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag in einem Pressegespräch. Sowohl er als auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) betonten, dass das Gesetz mit 1. Juli in Kraft treten soll. Kurz dazu: "Wir sind die Regierungsspitze, und sowohl der Vizekanzler als auch ich haben mehrfach klargestellt, dass es kommen wird."

Für die betroffenen Vereine, ohne die eine Umsetzung unmöglich ist, wäre ein Inkrafttreten ohne gesicherte Finanzierung die schlimmste Variante von allen. "Ohne Geld ka Musi. Ohne finanzielle Mittel kann das Gesetz nicht umgesetzt werden", betonte Behindertenratspräsident Herbert Pichler. Es nütze nichts, wenn das Gesetz in Kraft tritt, es müsse auch "mit Leben erfüllt" werden.

Prüfung von 65.000 Fällen

Mit Leben erfüllen heißt unter anderem, dass viele neue Mitarbeiter für sogenannte Clearingstellen eingestellt werden müssen. Auch bei Pflegschaftsgerichten ist eine Aufstockung des Personals notwendig. Innerhalb des ersten Jahres müssen alle rund 65.000 derzeit bestehenden Sachwalterschaften überprüft werden – ob also ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter weiterhin nötig ist oder eben Alternativen bestehen.

Der Knackpunkt der umfassenden Novelle ist ja, dass die Handlungsfähigkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen oder intellektuellen Beeinträchtigung (auch altersbedingt) nicht mehr pauschal eingeschränkt werden soll. Stattdessen soll die Vertretung in abgestuften Formen erfolgen, je nachdem, in welchem Ausmaß ein Mensch Unterstützung benötigt.

Geplante Jobs gestrichen

Wie DER STANDARD berichtete, mussten Sachwaltervereine bereits zugesagte Jobs wieder absagen, weil es (voraussichtlich) kein Geld vom Bund gibt. Eine Betroffene, die anonym bleiben möchte, erklärt, dass sie von 50 gestrichenen Jobs wisse. Sie sei enttäuscht: "Ich habe Soziale Arbeit studiert und mein Studium heuer abgeschlossen. In den Lehrveranstaltungen war die geplante Gesetzesänderung Thema, die hinsichtlich der Selbstbestimmung von betroffenen Menschen eine enorme Verbesserung verspricht." Diese vermehrte Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen sei auch ein geforderter Punkt in der UN-Behindertenrechtskonvention, die von Österreich unterzeichnet wurde.

Ministerin fordert Ende der Verunsicherung

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) ließ mitteilen, dass sie von der vor wenigen Tagen angekündigten Verschiebung des Erwachsenenschutzgesetzes überrascht gewesen sei. Sie forderte am Montagnachmittag ein "Ende der Verunsicherung", Justizminister Josef Moser (ÖVP) habe ihr zugesichert, dass das Gesetz "ohne weitere Verzögerungen umgesetzt wird".

Im Büro von Moser wiederum hieß es aber, dass die Finanzierung noch offen sei. Vor wenigen Tagen hatte Moser erklärt, dass er die entsprechende Bedeckung durch das Finanzministerium brauche. Was Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) aber bisher abgelehnt hat. Das Justizressort habe durch Umschichtungen in dessen Budget diese Aufgabe zu gewährleisten, spielte Löger den Ball zu Moser zurück.

Heftige Kritik der SPÖ

Die Opposition schäumt:"Die rechte Hand weiß nicht, was die linke tut. Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten werden hin- und hergeschoben", sagte Ulrike Königsberger-Ludwig, die SPÖ-Sprecherin für Menschen mit Behinderung. In einem Brief an den Finanzminister fordert SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim, dass Löger und "Herr Sebastian Kurz als Bundeskanzler dieser Regierung die Aufgabe hätten, statt des von mir als beschämend empfundenen Herumagierens zulasten der Schutzbedürftigen eine klare Erklärung zu den eigenartigen Vorkommnissen abzugeben". Jarolim bekrittelt in dem Brief auch den "neuen Stil der Regierung Kurz, bereits getroffene Maßnahmen, aus welchen merkwürdigen Gründen auch immer, zu widerrufen".

Auch Neos, Grüne und die Volksanwaltschaft haben in den vergangenen Tagen massive Kritik geäußert. Peter Kolba, Klubobmann und Gesundheitssprecher der Liste Pilz, fordert einen Runden Tisch mit allen Beteiligten. (APA, simo, 26.2.2018)