Noch schnell den ORF checken, bevor es nach Brüssel geht: Medien- und Europaminister Gernot Blümel (ÖVP).

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So umfangreich war das Kapitel "Medien" im Regierungsprogramm schon lange nicht mehr. Volle drei Seiten widmen ÖVP und FPÖ den Medien, der Digitalisierung sogar elf. Die Vorgängerregierung hatte 2013 für die Medien nur gerade eine einzige Seite übrig. Und die schwarz-blaue Koalition hat viel vor. Österreichs Wirtschaft soll zur "Speerspitze der digitalen Transformation" werden, was unter anderem durch eine "Digitalisierungsoffensive" im Bildungsbereich gelingen soll. An den "digitalen Leuchtturmprojekten" soll die öffentliche Hand teilnehmen, und eine "Austrian Digital Academy" soll lebenslanges Lernen anbieten.

Österreichische Inhalte

Den Medien stellt die Regierung medienpolitisch "völlig neue Antworten" in Aussicht, mit einem Schwerpunkt auf österreichische Inhalte, der Stärkung der österreichischen Identität, dem Kampf gegen "Onlinegiganten" und "Monopolisten", die zur "Steuerpflicht in Österreich zu zwingen" seien. Die Regierung bekennt sich ausdrücklich zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk und nimmt sich vor, dessen Auftrag "ins 21. Jahrhundert [zu] bringen".

Eine "gemeinsame digitale Vermarktungsplattform" soll "österreichische Public-Value-Inhalte im digitalen Raum stärken und wettbewerbsfähig" machen. Schließlich soll der Dialog mit der Zivilgesellschaft im Rahmen einer Medienenquete geführt werden. Bei so viel Ambition und Fürsorge könnte den Medien wohlig warm ums Herz werden.

Doch dann kam die kalte Dusche.

· ORF zum "Schuhlöffel" abgewertet Den Anfang machte der frischgebackene Medienminister Gernot Blümel mit seinem unterdessen mehrmals wiederholten Bild des Schuhlöffels, den der ORF für die private Konkurrenz spielen solle. Einen Schuhlöffel braucht der Mensch einen Moment lang, um in einen engen Schuh zu gelangen. Zur Fortbewegung selbst dient er nicht. Besteht die "völlig neue" medienpolitische Antwort darin, den größten, reichweitenstärksten und teuersten Medienbetrieb Österreichs kurz zu gebrauchen, um ihn dann beim Marsch in die digitale Zukunft in der Garderobe zurückzulassen? Blümel war zwei Jahre Mediensprecher der ÖVP, und als gelerntem Politiker und Absolventen eines Philosophiestudiums kann ihm auch kaum sprachliche Unbeholfenheit unterstellt werden.

Inferiore Rolle für den ORF?

Wenn der ORF also tatsächlich in diese inferiore Rolle gebracht werden soll, so steht dies in krassem Gegensatz zum Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Es sei denn, der Minister wäre der Meinung, dass öffentlich-rechtliche Inhalte auch von privaten Veranstaltern erbracht werden könnten. Ein Hinweis auf eine solch fundamentale Begriffsverwirrung ist im Regierungsprogramm zu finden: So solle ein "Schwerpunkt der Förderung auf öffentlich-rechtliche Inhalte unabhängig ob Privat-TV (Fernsehen, Radio oder Online) oder ORF zur Stärkung des ländlichen Raums" gelegt werden.

· Gemeinsame Plattform treibt die Medienkonzentration an Doch Minister Blümel fängt gerade erst an. Eine "gemeinsame digitale Vermarktungsplattform" für österreichische Inhalte von privaten und öffentlichen Veranstaltern soll gezielt aufgebaut werden. Bliebe eine solche Plattform auf den Business-to-Business-Bereich beschränkt, also auf den Handel mit Programmen auf internationalen Märkten oder auf die Werbung, wäre das ökonomisch effizient, medienpolitisch aber bedeutungslos. Zielt die Plattform aber auf das Verschmelzen öffentlicher und privater Inhalte, so wäre das für die privaten Anbieter wie ein Lottogewinn, für den öffentlichen Veranstalter das Ende der ohnehin schon ramponierten Unterscheidbarkeit und medienpolitisch eine Kapitulation.

Dem Land mit einer international einzigartigen Medienkonzentration im Printbereich auch noch das Qualitätskorrektiv des öffentlichen Rundfunks zu verwässern kann kein verantwortungsbewusster Medienpolitiker wollen.

Möge die angekündigte Medienenquete hier Weisheit bringen.

· Koalitionspartner FPÖ legt sich mit dem ORF an Während auf den Medienminister hier umfangreiche, selbstgestellte Hausaufgaben warten, betätigt der Koalitionspartner FPÖ munter die kalte Medienpolitikdusche. Mitte Februar hat Vizekanzler Strache auf seiner Facebook-Seite ein Meme mit einem Bild von Armin Wolf und folgender Aufschrift veröffentlicht, den er mit dem Hinweis "Satire" versehen hat: "Es gibt einen Ort, an dem Lügen zur Nachricht werden. Das ist der ORF. Das Beste aus Fake News und Propaganda, Pseudokultur und Zwangsgebühr. Regional und international. Im Fernsehen, im Radio und auf dem Facebook Profil von Armin Wolf. ORF wie Wirr."

Wenige Tage zuvor hat Verkehrsminister Norbert Hofer seinem Unmut über den Umstand, in einem Fernsehbeitrag über den Transitgipfel nicht erwähnt worden zu sein, ebenfalls in einem Facebook-Post Ausdruck verliehen: "Ob ich für Zwangsgebühren bin? Nein."

Der Strache-"Satire" widmete der Falter seine aktuelle Titelgeschichte. Armin Wolf hat Strafanzeige wegen Kreditschädigung, übler Nachrede und Beleidigung eingebracht. Ein Gericht wird entscheiden.

Aus medienpolitischer Sicht enthält Hofers Kurzmitteilung nicht weniger Brisanz. Mir fällt dazu die aktuell in der Schweiz geführte Debatte über die Abstimmung zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ein. In einem Flugblatt stellen Aktivisten die rhetorische Frage, was zu tun sei, wenn man sich über das Verhalten des eigenen Nachbarn ärgere. Keine gute Idee sei, dessen Haus in die Luft sprengen.

Rute im Fenster des ORF

Hofer stellt mit seinem Facebook-Post dem ORF die Rute ins Fenster, weil er sich über dessen Berichterstattung geärgert hat. Deshalb dem ORF mit dem Abdrehen des Gebührenhahns zu drohen ist kleinlich, demokratie- und medienpolitisch inakzeptabel und mit dem Bekenntnis zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der Regierungserklärung nicht vereinbar.

· Rechtsstaatliche Zweifel an Überwachungspaket Der nächste kalte Schauer ließ nicht lange auf sich warten. Am 21. Februar haben die Regierungsparteien das unausgegorene und heftig umstrittene Überwachungspaket (euphemistisch: "Sicherheitspaket") beschlossen.

Dieses Paket ist kein "digitales Leuchtturmprojekt", sondern eher eine Dunkelkammer. Überwachungskameras auf den Straßen, personenbezogene Vorratsdatenspeicherung (Quick Freeze), der Einsatz von Trojanern durch den Staat und eine Lockerung des Briefgeheimnisses werfen gravierende Rechtsfragen auf – und bringen Österreich gehörig ins Schlingern auf seinem Kurs in Richtung "Speerspitze der digitalen Transformation".

Kalte Duschen haben auch eine gute Seite. Sie machen wach. Der schwarz-blaue Aktionismus im Medien- und Digitalbereich schreckt Leute auf, die sich sonst wenig für diese Fragen interessieren. Ein ähnlicher Effekt wie in der Schweiz: Dort ist die Stimmung gekippt. War vor Weihnachten noch die Mehrheit der Befragten für die Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren, so sind unterdessen fast zwei Drittel der Meinung: Die Gebühren müssen bleiben! (Josef Trappel, 27.2.2018)