Was hat sich in Österreich verändert, seit die neue Regierung im Amt ist? Es gibt Veränderungen, über die der Normalbürger in der Zeitung liest, und andere, die er mit eigenen Augen sieht. Dazu gehört die immer sichtbarere Polizeipräsenz.

Eine Gruppe von Kurden zieht friedlich zur türkischen Botschaft in Wien, sie demonstriert gegen den türkischen Überfall auf Kurdengebiete in Syrien. Sie wird von einem gewaltigen Polizeiaufgebot begleitet. Es sind fast mehr Polizisten unterwegs als Demonstranten. Als vor einiger Zeit der serbische Staatspräsident, dem niemand etwas zuleide tun wollte, seinen österreichischen Kollegen besuchte, war die Gegend um die Hofburg abgesperrt, eine gefühlte Armee von Polizeibeamten bewachte den Gast. Und beim Akademikerball glich Wien einer Festung. Fühlen wir uns jetzt sicherer? Auf viele wirken diese Polizeiaufmärsche samt ständigem Heraufbeschwören von Gefahren trotz sinkender Kriminalität eher beklemmend.

Zu den Veränderungen, die man nicht sieht, aber von denen man immer öfter hört, zählt auch die steigende Zahl von Asylwerber-Abschiebungen. Das ist nicht unbedingt schlecht, besser abschieben als jahrelang in Unsicherheit halten. Aber wie gut integriert und wie wertvoll die Leute für die österreichische Gesellschaft sind, scheint keine Rolle zu spielen. Plötzlich ist ein afghanischer Deutschkursteilnehmer weg, ein blitzgescheiter und sympathischer Bursche. Er war aus seinem Herkunftsland geflohen, weil ihn die Taliban für ihre Streitkräfte rekrutieren wollten. Das sei "erstunken und erlogen", befand die Behörde. Kollegen und Betreuer glaubten dem jungen Mann. Ein Lehrling wurde abgeschoben. Unser bester Junger, sagte sein Chef. Eine Familie wurde geschätzt, sprach gut Deutsch, die Kinder, die Besten in ihrer Schule – abgeschoben. Denkt niemand daran, dass gute Leute, sogenannte Human Resources, ein wertvolles Gut sind? Offenbar nicht. Hauptsache: Muslime raus.

Aber die möglicherweise wichtigste Veränderung ist, dass allmählich Dinge als normal empfunden werden, die vorher inakzeptabel waren. Dass antisemitische Hetze nicht angeht, hat sich herumgesprochen, das bringt Ärger. Aber Hetze gegen Flüchtlinge, vor allem muslimische? Das ist etwas anderes. Als das Bild vom Neujahrsbaby samt kopftuchtragender Mutter veröffentlicht wurde, schrieb ein Internet-User kurz und bündig "weg damit". Ein anderer wünschte dem Säugling einen "plötzlichen Kindstod". Bei einem jüdischen Baby hätte er vermutlich gezögert. Stinkerte Juden sagt man nicht, meinte der freiheitliche Spitzenkandidat in Tirol. Aber Scheißkopftuchweiber sagt man sehr wohl.

Österreich gedenkt heuer des 100. Jahrestags der Republikgründung und des 80. des Anbruchs der Naziherrschaft. Es wird viele Reden geben, in denen von Demokratie und Rechtsstaat gesprochen werden wird, die wir heute genießen dürfen. Gut so. Aber wir sollten daran denken, dass Demokratien auch sterben können. "Democracies Can Die" lautet der Titel eines vieldiskutierten Buches. Es beginnt damit, dass Dinge als normal empfunden werden, die nicht normal sind und niemals normal werden dürfen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 28.2.2018)