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Ob Staaten, Firmen oder Individuen: Wer die Technologisierung verschläft, verliert den Anschluss.

Foto: AP Photo/Eugene Hoshiko

Wien – Der technologisch angetriebene Strukturwandel ist nicht aufzuhalten, die Welt befindet sich in einer Phase grundlegender Veränderung. Eines dieser Phänomene ist etwa der Bereich der Kryptowährungen wie Bitcoin, die laut dem Wealth Management der Deutschen Bank weder wieder verschwinden, noch klassische Währungen verdrängen werden. Vielmehr würden sie diese ergänzen, sagt Markus Müller, Leiter des globalen Chief Investment Office des Vermögensverwalters.

"Wir sind gerade erst am Anfang, diese Geschichte zu erzählen", betont Müller. Die großen Kursschwankungen von Bitcoin und Co führt er auf fehlende Regulierung zurück, was sich aber ändern werde. "Eine Regulierung von Kryptowährungen führt dazu, dass sie überhaupt eine Zukunft haben", sagt Müller, denn diese würde Investoren Sicherheit geben – mehr Geschäftsmodelle in diesem Bereich könnten entwickelt werden. Auch Notenbanken wie die EZB oder die Schweizer SNB würden bereits laut über eigene Kryptowährungen nachdenken. "Das müssen sie und sollten sie auch", denn deren Einsatz würde das Geldsystem effektiver machen.

Dies ist aber nur ein Teilbereich einer größeren Entwicklung, auf die sich laut Müller Politik, Unternehmen, Privatpersonen und natürlich auch Investoren einstellen müssen. Ebenso würden Automatisierung oder künstliche Intelligenz die Welt grundlegend umkrempeln. "Die Disruption geht durch alle Bereiche", erklärt Müller, für den der derzeitige Umbruch so stark ist "wie die große Industrialisierung des 19. Jahrhunderts".

Europa im Hintertreffen

Das Haar in der Suppe: Die Hotspots der technologischen Entwicklung ortet der Deutsche-Bank-Experte in Asien und mit Abstrichen in Nordamerika. Besonders China habe sich "ganz klar der der Digitalisierung verschrieben. Europa ist kein Technologiestandort. Das ist etwas, das wir dringend ändern müssen", hebt Müller hervor. Wenn man Technologie mehr als Gefahr denn als Chance verstehe, werde man ins Hintertreffen geraten. Entwicklungen mit Drohpotenzial sieht er etwa in Form von zunehmender Cyberkriminalität oder im Ausdünnen der Mittelschicht durch Technologisierung. Seiner Prognose zufolge werden bald 30 Prozent der Jobs zu 100 Prozent automatisiert sein – und zwar vor allem jene mit mittlerer Qualifikation.

Die Antwort, die die Politik in diesem Bereich geben muss, ist für Müller klar: Bildung. "Hier müssen wir aktiv werden, die Dringlichkeit ist gegeben." Man brauche in Europa ein "Smart Government", um Konzepte umsetzen zu können, sonst drohe eine Arbeitslosigkeit, die der Sozialstaat nicht auffangen kann. In mehreren Politikbereichen würden Antworten auf Technologisierung fehlen, kritisiert Müller die vorherrschende "zwangsorientierte Politik". Soll heißen: Politiker würden nur das versprechen, was ihnen die nächste Wahl sichere. Stattdessen fordert Müller eine umfassende Neuausrichtung der Ordnungspolitik im Zuge der Digitalisierung.

Diskussion über Folgen

Zudem vermisst er eine Diskussion über die langfristigen gesellschaftlichen Folgen der Technologisierung: "Wir haben keine Ahnung, wie sich Digitalisierung auf unseren Alltag und unser Verhalten auswirkt", erklärt Müller und regt eine interdisziplinäre Auseinandersetzung darüber an.

Auf Unternehmensebene würden jene profitieren, die genug Geld für Investitionen in Technologisierung zur Verfügung haben. Einen Wettbewerbsvorteil würden gut skalierbare Modelle über geringere Kostenblöcke schaffen. "Alte multinationale Konzerne haben ihre Probleme damit", sagt Müller. Die Folge fehlender Investitionen in Technologisierung wären mittel- bis langfristig geringere Erträge.

Die Konjunktur betreffend räumt Müller zwar ein, dass der derzeitige Aufschwung schon "sehr, sehr lange" dauere, vor Ende 2019 oder 2020 sehe er jedoch keine Rezession herannahen, sofern keine Schocks eintreten. Etwa wie jener, als im Februar plötzlich die Wall Street wegen plötzlich aufkeimender Inflationssorgen absackte. Müller selbst stuft diese Gefahr als gering ein. Er verweist jedoch darauf, dass dieser Aufschwung nur durch "ultraunorthodoxe expansive Geldpolitik" angestoßen worden sei, was ihn von früheren Konjunkturzyklen abhebe. "Im Jahr 2018 werden wir viel über Volkswirtschaft lernen", sagt Müller abschließend. (Alexander Hahn, 4.3.2018)