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Dirigent Gustav Kuhn steht im Kreuzfeuer anonymer Kritik.

Foto: Roland Mühlanger / picturedesk.com

Bis vor kurzem hatte der Gründer und Leiter der Festspiele im Tiroler Erl, Dirigent Gustav Kuhn, nicht öffentlich Stellung bezogen. Nachdem der Blogger Markus Wilhelm zahlreiche anonyme Anschuldigungen publiziert hatte, reagierten die Festspiele vorerst mit einer Klage. Zum Wochenanfang jedoch sprach Kuhn gegenüber Ö1 von "unhaltbaren Anschuldigungen" und wehrte sich gegen Vorverurteilung: "Wenn das Gericht zu einem Urteil kommt, dann ist es so. Aber bevor das Gericht nicht zu einem Urteil kommt, ist es so nicht. Das sagt unser Rechtsstaat", sagte Kuhn, der sich unter anderem mit Vorwürfen der sexuellen Belästigung konfrontiert sieht und für den die Unschuldsvermutung gilt.

Welche (und ob) Fakten aus dem Nebel der Anschuldigungen noch aufsteigen werden – die Geschichte ist unangenehm für ein künstlerisches Erfolgsprojekt. Kuhn, der unter anderem in Glyndebourne, München und Salzburg lange tätig war und sich einst mit Mentor Herbert von Karajan überwarf, hatte per Selbstdefinition letztlich vom Musikalltag genug.

Ideal des intensiven Probens

Der 1945 im steirischen Turrach Geborene, der bei Hans Swarovsky studierte und auch beim Segeln Virtuosität bewies (Weltmeistertitel), ergriff 1997 die Gelegenheit und gründete ein Festival, auch um die Ketten des Betriebes abzulegen. Kuhn beschwor das Ideal des intensiven Probens zum Zwecke künstlerischer Intensität. In Erl könne man "Musik direkt spüren. Es arbeiten hier junge Leute, die mit Begeisterung an die Sache herangehen", sagte der Dirigent einst zum STANDARD.

Ja, und Erl galt plötzlich als Bayreuth-Konkurrent; der ganze "Wagner-Ring in 24 Stunden" wurde ein europaweiter Hit. In Hans Peter Haselsteiner fand Kuhn auch einen Förderer, der ihn "einen genialen Künstler" nannte und ihm ein neues Opernhaus baute. Der Mann, der durch Erl gerne auf seiner Honda zur Probe fährt, hat Tolles aufgebaut. Nun ist er jedoch mit Kritik konfrontiert – auch wegen angeblich autoritären Gehabes.

Selbstkritisch

Kuhn selbstkritisch: "Das rutscht einem natürlich mal raus, dass man sagt: ,Seid ihr alle Amateure.' Da sollte ich mich auch ein wenig zügeln. Vielleicht das eine oder andere Wort – das nehme ich auf meine Kappe. Ich sollte ein bisschen milder werden." Und er sollte hoffen, dass sich alles in nichts auflöst wie der offene Brief gegen ihn, dessen Autorin womöglich gar nicht existiert. Das vermutet Blogger Wilhelm, der die ganze Gerüchtelawine losgetreten hat. (Ljubiša Tošić, 28.2.2018)