Udo Jürgens' Single von "Merci, Chérie" aus dem Jahr 1966. Mit dem Lied gewann er den Song Contest in Luxemburg.

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Im Rahmen des Gedenkens anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Republik widmet sich die Reihe "Zwickt's mi" Popmusik in Österreich. Einzelne Songs und Künstler, die die heimische Populärmusik geprägt haben, werden in Erinnerung gerufen und vorgestellt. Vollständigkeit ist nicht das Thema, die Bedeutung zählt.

Popmusik und Österreich, das war keine Liebe auf den ersten Blick. Zwar wurden Rock 'n' Roll, später die Beatles oder die Rolling Stones wahrgenommen und zumindest von Teilen der Jugend willkommen geheißen, doch das war ein Minderheitenprogramm, für das es vor der Installierung von Ö3 kaum Platz im Radio gab. Populär war und ist in Österreich der Schlager. Auch der gerne als erster Rock 'n' Roller interpretierte Peter Kraus war eher Progressivschlager als tatsächlich Rock 'n' Roll.

Ideologiefreies

Der Schlager wurzelt in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, als sich aus Operetten populäre Lieder lösten, die abseits der Aufführungshäuser Einlass in den Alltag fanden. Es waren meist unterhaltsame und tanzbare Stücke. Mit dem Auftauchen des Mediums Radio erreichten solche Lieder eine breitere Öffentlichkeit. Oft waren diese Lieder frech bis frivol, ohne dass sie nach einem Explicit-Lyrics-Sticker verlangt hätten.

Die Nazis brachten die paar Radiofrequenzen unter ihre Kontrolle und ließen nur Ideologiefreundliches, Ideologiefreies oder einschlägige Propaganda zu. Das änderte sich nach dem Zweiten Weltkrieg. In der große Katastrophe war gute Laune eine Seltenheit geworden, das Bedürfnis deckte nach 1945, zumindest ein wenig, der Schlager ab.

Zu Bruch gehende Herzen

Zur Hochblüte gelangte das Fach in den Wirtschaftswunderjahren ab den mittleren 1950ern. Schlager waren der Soundtrack zum bescheidenen Wohlstand. Da wurde die Italien-Reise besungen, die erste Liebe, die Lebensfreude. In Österreich endete 1955 die Besatzungszeit, man wollte nach vorn blicken, und die Heile-Welt-Versprechen dieser Schlager kamen da gerade recht. Sie verströmten Optimismus und Unbeschwertheit, selbst wenn da oder dort ein Herz zu Bruch ging.

Schlagerstars gab und gibt es hierzulande viele, doch keiner erlangte so eine Bedeutung wie Udo Jürgens. Der Durchbruch gelang ihm 1966, als er bei seinem dritten Antreten mit "Merci, Chérie" den Eurovision Song Contest (ESC) für Österreich gewann. Jürgens konnte da bereits auf eine Biografie verweisen. Er hatte in den USA gelebt, Jazz gespielt und Songs für große Namen wie Frank Sinatra geschrieben.

"Beatles go home!"

Wie es um das Verhältnis von Österreich zur Popmusik damals stand, illustriert ein berühmtes Foto von Christian Skrein. Es zeigt Demonstranten in Obertauern, die gegen die Beatles demonstrieren, als die gerade für die Dreharbeiten zu Richard Lesters Film "Help!" im Lande sind. "Beatles go home" steht auf den Plakaten der Passanten. Ja, Willkommenskultur hat in Österreich Tradition.

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Die Beatles erfuhren 1965 in Obertauern die Segnungen der regionalen Willkommenskultur: "Beatles go home!"
Foto: Christian Skrein / Picturedesk

Jürgens sollte sich hingegen als Weltbürger erweisen. Sein ESC-Sieg ein Jahr später schmeichelte dem österreichischen Selbstbewusstsein: Die Musiknation Österreich hatte sogar im populären Fach was zu melden – denn "Merci, Chérie" reüssierte auch außerhalb des deutschsprachigen Raums. Und es brachte Jürgens' Karriere richtig in Fahrt.

Brav herausgeputzt

Jürgens sollte zu einem der größten Stars des Schlagers werden. An der Trennungsballade "Merci, Chérie" war das noch nicht ablesbar. Streicher sorgten für Schmalz und Schmelz, Jürgens, brav herausgeputzt bis zum Mascherl, übte sich darin als Beziehungsbeender. Das sollte sich für den sich selbst als Windhund begreifenden Star als durchaus alltagstaugliche Übung erweisen.

"Sei nicht traurig, muss ich auch von dir gehen" – Udo Jürgens gewinnt den ersten Preis im Beziehungsbeenden.
JoaoVelada

Später befreite Jürgens den Schlager Stück um Stück von seiner Oberflächlichkeit, streifte an Pop an, am Chanson. Der als Jürgen Udo Bockelmann 1934 in Klagenfurt geborene Musiker war nicht der onkelhaft-kindische Peter-Alexander-Typ, er ließ Themen in seine Musik einfließen, die eigentlich tabu waren: etwas Politik und zarte Gesellschaftskritik.

Kein Protestsänger

Nun war Jürgens kein beinharter Protestsänger, doch er injizierte vielen seiner Lieder Kritik in Portionen, die sein Publikum annehmen konnte. Mehr noch. Als er sich in den 1980ern mit dem Titel "Gehet hin und vermehret euch" für die Familienplanung aussprach, wurde er nach Protesten der Kirche auf den Index gesetzt und von Radiostationen in Bayern boykottiert. Das führte dazu, dass seine Fans auf die Straße gingen, um für Udo zu demonstrieren. Das muss man sich einmal vorstellen.

Jürgens wurde zu einem der erfolgreichsten Musiker und Entertainer des deutschsprachigen Raums. 100 Millionen Alben soll er verkauft haben. Wenngleich im Schlager hauptgemeldet, führte er ein Rock-'n'-Roll-Leben. Er war ein Weltbürger, der gegen das Kleingeistige ansang und es oft kritisierte. Auch das passiert im Schlager nicht oft, Roland Kaiser tut das noch, dann muss man schon länger suchen.

Sechs Jahrzehnte eine Konstante

Mit seiner Haltung begleitete Jürgens sein Publikum fast sechs Jahrzehnte lang, bevor er Ende 2014 im Alter von 80 Jahren starb. Natürlich war nicht jeder seiner Songs Gold oder ein Volltreffer, auch er griff ins Schmalzfass und gab Banalitäten nach. Doch bei einer kolportierten Zahl von über 1.000 Liedern verwundert das nicht. Und im Schlager darf es auch einmal billiger sein, simpler. So billig, wie das Fach aber über weite Strecken erscheint, gab Jürgens es selten. (Karl Fluch, 3.3.2018)