Leonid Sluzki, hier bei einer Plenarsitzung in der Duma, spricht von einer "billigen Provokation".

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Moskau – In der Sowjetunion gab es keinen Sex und in Russland keinen Sexismus. Zumindest wurde bisher nicht öffentlich darüber berichtet. Nun aber werden Anschuldigungen wegen sexueller Belästigung gegen einen der einflussreichsten russischen Politiker laut: Leonid Sluzki. Zunächst machte TV Rain die Vorwürfe gegen den Vorsitzenden des Außenausschusses der Duma publik. Der oppositionelle Internetsender zitierte drei anonyme Parlamentsjournalistinnen, die erklärten, Sluzki habe sie betatscht, zu küssen versucht und Interviews für ein Date angeboten.

Der Betreffende wies alle Vorwürfe zurück: "Versuche, aus Sluzki einen russischen Harvey Weinstein zu machen, sind eine billige und minderwertige Provokation", teilte er in Anlehnung an die MeToo-Debatte mit. Wenn jemand Beschwerden habe, sollte dieser Mensch ihm diese ins Gesicht sagen, ansonsten handle es sich um Verleumdung. Notfalls sei er bereit, Klage einzureichen.

Angriff auf die russische Souveränität

Auch seine Kollegen sprangen für den Abgeordneten der populistischen LDPR in die Bresche: Den Skandal um Sluzki hätten Russlands Feinde im Westen provoziert, es handle sich um einen Angriff auf die russische Souveränität, mutmaßte etwa Sluzkis Fraktionskollege Igor Lebedew.

Dessen Vater Wladimir Schirinowski, der 2014 selbst einen Skandal auslöste, als er einen seiner Leibwächter aufforderte, eine Journalistin zu vergewaltigen, erklärte, er wisse nichts über Sluzkis Verhalten. Zugleich aber verteidigte er es krude damit, dass Sluzki mit seinen Annäherungsversuchen womöglich versucht habe, mehr Interesse für sein politisches Amt zu wecken.

Unterstützung bekam Sluzki nicht nur aus den eigenen Reihen: In einer Stellungnahme des erst vor einem Monat gegründeten Frauenklubs in der Duma heißt es, er sei bekannt "als anständiger Politiker, Profi auf seinem Gebiet, der nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland Respekt genießt". Tatsächlich präsentierte er sich vor einer Woche stolz auf Bildern in Wien mit Österreichs Außenministerin Karin Kneissl.

"Er versuchte, mich an die Wand zu drücken"

Doch der Skandal um den Politiker zieht inzwischen weitere Kreise. So hat sich nun ein Opfer auch mit Namen zu Wort gemeldet: Jekaterina Kotridse, Vizechefredakteurin des russischsprachigen Auslandssenders RTVI, berichtete, dass Sluzki sie vor sieben Jahren in sein Büro gebeten habe, um ein Interview abzusprechen: "Er schloss die Tür ab und versuchte, mich irgendwie an die Wand zu drücken und mich anzufassen und zu küssen." Sie habe sich jedoch losreißen und fliehen können, sagte sie.

"Ich bin sicher, dass das, was ich erlebt habe, viele Journalistinnen an verschiedenen Stellen in russischen Behörden erlebt haben", klagt Kotridse, dagegen werde nichts unternommen. Auch die Opfer würden nicht darüber reden, weil sie wüssten, dass sie dann nur noch weiteren Beleidigungen und Vorwürfen wegen Verleumdung ausgesetzt seien, fügte Kotridse hinzu.

"Stinkende Lesben"

Sluzki wollte die neuen Vorwürfe nicht kommentieren, dafür äußerte sich erstmals Duma-Chef Wjatscheslaw Wolodin dazu. Er forderte die Opfer auf, sich an die Ethikkommission des Parlaments zu wenden. Gleichzeitig wurde in der Duma ein seit 15 Jahren liegender Gesetzesentwurf gegen sexuelle Belästigung neu eingebracht. Ohne Widerstand dürfte das allerdings nicht durchgehen. Der skandalträchtige Abgeordnete Witali Milonow kritisierte den neuen Entwurf bereits als vom Westen diktiert und die Autorinnen des Gesetzes als "stinkende Lesben". (André Ballin aus Moskau, 2.3.2018)