Die letzte Instanz in Verfassungsfragen an der Wiener Freyung: Der Verfassungsgerichtshof ist mit Abstand das politischste der drei Höchstgerichte in Österreich.

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Elegant bringt Andreas Hauer zum Ausdruck, dass die Versammlungsteilnehmer gegen den Wiener "Akademiker"-Ball eher den weniger wohlhabenden Bevölkerungsschichten anzugehören scheinen, wenn er formuliert, "dem Kleidungsstil nach zu urteilen" müssten sich diese "nicht mit den höheren Progressionsstufen des Einkommenssteuerrechts auseinandersetzen". Gut kann man sich vorstellen, dass der Begriff, den er dafür gedanklich oder vielleicht auf seiner "Bude" verwendet, weniger akademisch daherkommt: linkes Gesindel, Pack. Und für die Medien gelte es, sich in Sachen Akademikerball zu entscheiden zwischen "bürgerlicher Ordnung" und "Anarchie".

Ob das hinter Hauers Sagern zu vermutende Problem von öffentlichem Interesse ist, hängt davon ab, welche Position er innehat oder anstrebt. Hauer ist Universitätsprofessor in Linz und will nun (auch) Richter des österreichischen Verfassungsgerichtshofs werden. Das ist nicht ungewöhnlich, denn die österreichische Bundesregierung darf – anders als das Parlament – ausschließlich Kandidaten aus dem Kreis der Richter, Verwaltungsbeamten und Rechtsprofessoren vorschlagen (Art 147 BV-G).

Die Zugehörigkeit zu einer dieser Berufsgruppen ist somit (neben Jusstudium und mindestens zehnjähriger Berufserfahrung) rechtlich notwendige Voraussetzung für eine Nominierung. Sachlich hinreichend ist sie damit freilich noch nicht. Nur eine kleine Zahl an Verwaltungsbeamten oder Richtern weist jene fachliche Kompetenz und kognitiven Fähigkeiten auf, die von Verfassungsrichtern erwartet werden können. Bei einem Universitätsprofessor wirken sich Dünkel und Vorurteile schlimmstenfalls auf die Notengebung aus oder sie geben seinen Publikationen und Gutachten eine Schieflage. Bei einem Verfassungsrichter wären die Folgen gravierender und beträfen uns alle.

Negativer Gesetzgeber

Als Höchstgericht entscheidet der VfGH auf nationaler Ebene in seinem Kompetenzbereich letztinstanzlich über die Auslegung von Gesetzen. Die Auslegungsspielräume sind dabei nicht gering, da Gesetze als in Lettern gegossene Politik per definitionem vom Einzelfall abstrahieren. Nicht selten enthalten Gesetze Formelkompromisse und überlässt die Politik ganz bewusst die Klärung mancher – durchaus politischer – Fragen den Gerichten. Somit entscheiden alle Gerichte auch immer wieder über hochpolitische Materien. Und unter den drei Gerichten, die in Österreich als Höchstgerichte konzipiert sind (OGH, VwGH, VfGH), ist der VfGH fraglos das politischste: Er interpretiert Gesetze und Verordnungen nicht nur, er kann diese (oder auch nur einzelne Worte davon) sogar aufheben und ist somit funktional "negativer Gesetzgeber". Trotz allem "judicial self-restraint" ist der VfGH damit eine der mächtigsten Einrichtungen der Republik. Somit spielen die Einstellung und die politische Meinung eines Verfassungsrichters praktisch durchaus eine Rolle und können sich dessen Vorurteile auf seine Rechtsprechung auswirken. Vor-Urteile – lateinisch praeiudicatae – sind es dann im doppelten Sinne: Das Präjudiz im Kopf wird zum Präjudiz als Judikat – eine für alle anderen Gerichte bindende Entscheidung.

Wer abschätzig auf Angehörige niedrigerer Steuerklassen herunterblickt und einen Ball von Burschenschaftern mit "bürgerlicher Ordnung" gleichsetzt, die Kundgebung dagegen aber mit Anarchie, wirkt nicht unbedingt im positiven Sinne prädestiniert, über Fragen des Sozialstaats oder des Versammlungsrechts zu entscheiden.

Auch wer der Auffassung ist, der Begriff "Polizeistaat" sei zu Unrecht negativ konnotiert, da Polizei etwas Positives sei (Hauer, "Ruhe Ordnung Sicherheit", 2000, S. 402 ff.), empfiehlt sich nicht als Hüter jenes Staats, der dem Polizeistaat begrifflich gegenübergestellt wird und durch den dieser erst seine nähere Präzisierung erhält: des Rechtsstaats.

Hauer wird wissen, dass die Komposita des Begriffspaares in ihrem jeweils ersten Wort das enthalten, was für die Herrschaft in dem Staat maßgeblich ist: Im Rechtsstaat herrscht das Recht, im Polizeistaat die Polizei. So erklärt sich die englische Entsprechung des Begriffs Rechtsstaat: rule of law. Wenn Hauer im Rahmen seiner Habilitationsschrift (und der darauf basierenden publizierten Monografie) sein Unbehagen darüber äußert, dass der Polizeistaat ein negativer Begriff ist, so evoziert dies ein rechtsstaatliches Unbehagen und die Frage, ob ein Freund des Polizeistaats sich als Hüter des Rechtsstaats eignet.

Die rechtswissenschaftlichen Verdienste Hauers sollen damit nicht in Abrede gestellt werden. Der Autor dieser Zeilen hat sich mit Hauers Monografie näher befasst (Theuer, "Ruhe, Ordnung, Sicherheit?", Juridikum 2002, S. 24) und konnte darin keine Rechtsstandpunkte finden, die schlechterdings unvertretbar gewesen wären. Hauers Ideen zum Polizeistaatsbegriff aber sind bedenklich und wurden im erwähnten Beitrag auch angesprochen.

Niemand ist frei von Vorurteilen, und von einem denkenden Menschen kann eine politische Meinung erwartet werden. Und dass ein Rechtsprofessor, den die FPÖ favorisiert, auch ein Rechts-Professor ist, kommt wenig überraschend. Aber Hauers Äußerungen zu den niedrigen Steuerklassen der Demonstranten und der Gefahr für die bürgerliche Ordnung lassen zusammen mit seinen Polizeistaatsideen Zweifel daran aufkommen, ob dieser – von seinem Fachwissen fraglos bestens geeignete Kandidat – in ein Amt ernannt werden sollte, das die Entscheidung über sensible politische Fragen beinhaltet.

Wenn nämlich bei einem Kandidaten für das politischste Höchstgericht der Republik die Gefahr besteht, dass im Fall seiner Ernennung die politische Schlagseite überhandnimmt und die Vorurteile im Kopf zu Präjudizien am Papier werden könnten, dann kann, wenn sich solche Ernennungen wiederholen, das Präjudiz die Justiz zur Prä-Justiz machen – zu einer Rechtsprechung mit Spurenelementen aus Zeiten, die vor dem modernen Rechtsstaat angesiedelt sind: Zeiten des Polizeistaats, ob der Ausdruck nun gefallen mag oder nicht. (Eberhart Theuer, 1.3.2018)