Ein Foto der Serie "The Last Day".

Foto: Helmut Wimmer

Wilde Meeresgewalten, riesige Felsbrocken oder einfach nur schmutzige Erde und wucherndes Gestrüpp über die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums hereinbrechen zu lassen – das ist mit Sicherheit eine Vorstellung, die manchen Hauskurator oder -restaurator in Angst und Schrecken versetzt. Dass der Fotograf Helmut Wimmer, der auch Filmer und Schreibender ist, "fotografisch hauptsächlich dokumentarisch unterwegs und dazu kein großer Freund der Manipulation ist", wie er das selbst formuliert, überrascht dann natürlich. Denn seine spektakulären Fotografien, die seit dem 1. März im Bassano-Saal des Kunsthistorischen Museums zu sehen sind, machen genau das – zumindest auf Fotogemälden: Sie lassen Meer und Gestein und Naturgewalten über die Ausstellungsräumlichkeiten hereinbrechen – und es sieht erschreckend echt aus.

Seit Jahren schon begleitet Wimmer die multidimensionalen Ganymed-Projekte fotografisch, und es ist jetzt, sagen wir, wenig überraschend, dass daraus wiederum eine eigene Arbeit entstanden ist, nämlich eine Spin-off-Fotografieausstellung. Die Idee, in diese spannenden Museumsräume etwas hineinzusetzen, hatte Wimmer schon länger, erzählt er. Er sitzt, noch immer etwas Grippe-geschwächt im imposanten Kaffeehaus des Kunsthistorischen Museums und schaut aus den Fenstern über den großen Platz zum naturhistorischen Nachbarn hinüber. Wimmer will mit den Bildern, die der neuen Ganymed-Nature-Produktion auch als spektakuläres Plakatsujet gedient haben, natürlich mehr als das Sichtbare zeigen.

Der Mensch hat sich unwiderruflich in die Natur eingeschrieben. Beginnend bei frühen Besiedelungen, unzähligen Kriegen und deren Millionen von Opfern, Massakern, politisch oder religiös motiviert, über die Todesmärsche bis hin zu teilweise noch sichtbaren Spuren des Holocaust: Landschaft ist kein geschichtsfreier Raum. Diese Landschaftsfragmente, mit der möglichen Anwesenheit geschichtlicher Ereignisse, dringen in die Räume des Kunsthistorischen Museums ein. Es entsteht ein visueller Dialog zwischen beiden Ebenen. Ohne geschichtliche Ereignisse genau zu benennen, sollen sich beim Betrachten Gedankenbilder öffnen.

Der Mensch braucht die Natur

Und zugleich neigen Landschaften dazu, wie das schon die Ganymed-Macher Jacqueline Kornmüller und Peter Wolf im Interview mit Nachdruck formuliert haben, Geschehenes zum Verschwinden zu bringen. Wimmers Fotografien oder besser gesagt Bilder zeigen gerade das, indem sie selbst mit Überlagerungen arbeiten. Dazu ist der Wiener Fotograf im vergangenen halben Jahre viel draußen unterwegs gewesen auf fotografischen Reisen – in der Natur und tatsächlich auch an Orten, wo diese Natur eine Gedenkkultur zu überwuchern droht. Wimmers Tableaus verbinden die historische Sammlung des Museums mit dem Gewaltigen der Natur da draußen. Entstanden sind eindrückliche Werke, die das Montagehafte aber wieder in den Hintergrund rücken lassen. So kann es sein, sagen diese Bilder, und sie haben sich strikt an das Vorhaben ihres Erschaffers gehalten, "bloß nicht symbolisch zu werden". Das ist auch gut so. Überhaupt sind Wimmers kraftvolle Sujets insgesamt trotzdem eigenartig zurückhaltend – wie auch ihr Fotograf, der gleich eingangs deponiert, dass er ja nicht "in die Falle der eigenen Interpretation seiner Bilder tappen will".

Und natürlich verweisen diese Bilder auf Vergänglichkeit, darauf verweist nicht zuletzt der Titel The Last Day. Und denken wir nur an die Gewalt des Wassers. Wimmers Bilder für die Meeresmontagen sind tatsächlich am Mittelmeer entstanden. "Ich kann das nicht mehr getrennt sehen", sagt der weißhaarige Wimmer nachdenklich und meint damit die unzähligen Toten und die fehlende Humanität gegenüber Flüchtenden, die wir alle mitzuverantworten haben. Seine Arbeiten sollen also assoziativ im Betrachter weiterarbeiten: Man soll sich Gedankenbilder machen. Mit seinen Fotografien, sagt Wimmer, will er Realitäten zum Kippen bringen: "Der Mensch braucht die Natur", ist er überzeugt, "aber die Natur den Menschen nicht." (Mia Eidlhuber, 4.3.2018)