Nach der Präsidentenwahl im April 2017 protestierten Tausende in Belgrad gegen den zunehmenden Autoritarismus in Serbien.

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"Sauber wie eine Träne": Aleksandar Vučić feierte seinen Wahlsieg – Unregelmäßigkeiten wurden nie aufgeklärt.

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Vučić war in der Wahlwerbung omnipräsent. Das Geld kam unter anderem von Privatpersonen, die zuvor jeweils 40.000 Dinar für die Überweisung bekommen hatten.

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Anfangs wurde keine Gegenleistung erwartet. Ein örtliches Mitglied der serbischen Regierungspartei hatte ihr zu einer Stelle als Lehrerin verholfen. Sie kannte viele andere, die einen Arbeitsplatz in öffentlichen Einrichtungen oder bei Firmen gefunden hatten, an deren Spitze Leute mit Verbindungen zur Serbischen Fortschrittspartei standen. Das ist keine Schande, vor allem angesichts einer Arbeitslosenrate von knapp 15 Prozent.

Als die Präsidentenwahl im Frühling 2017 näherrückte, lud man sie zu den wöchentlichen Parteiversammlungen ein. Aleksandar Vučić, der damalige Ministerpräsident, war der kämpferische Kandidat der Fortschrittspartei für das Präsidentenamt.

Umschlag mit 40.000 Dinar

Bei einer dieser Versammlungen nahm ein Funktionär die Lehrerin zur Seite und überreichte ihr einen Umschlag mit Bargeld: 40.000 Dinar, was damals etwa 320 Euro entsprach. Es stamme aus einer großen Spende, erklärte der Funktionär, ohne näher darauf einzugehen. Ob sie bereit wäre, dieses Geld der Partei in ihrem Namen wieder zurückzuspenden?

"Ich bekam nur den Umschlag mit dem Geld und die Kontonummer, auf die ich es einzahlen sollte", erzählte sie. "Jeder wusste, worum es ging, als ich zur Bank kam. Sie wussten bereits, wie die Zahlungen funktionieren. Später brachte ich ihnen den Zahlschein als Beweis, dass ich das Geld überwiesen hatte."

Falsche Spender

Sie habe gesehen, wie Parteifunktionäre bei Versammlungen auch andere Personen gebeten hätten, ähnliche Spenden zu tätigen, berichtete sie. Eine Untersuchung des Balkan Investigative Reporting Network (BIRN) zeigt auf, dass es sich um keinen Einzelfall handelte, sondern zu einem Konzept der Fortschrittspartei gehörte, mithilfe von Strohmännern die wahre Herkunft von Wahlzuwendungen zu verschleiern – eine nach dem serbischen Gesetz über die Finanzierung politischer Tätigkeiten unzulässige Methode.

Während es unmöglich war, die Herkunft des Bargelds nachzuweisen, das im Verdacht stand, mittels falscher Spender gewaschen worden zu sein, fand man im Zuge der Untersuchung Beweise für eine systematische Missachtung des Gesetzes seitens der Partei bei dieser und früheren Wahlen.

Keine Stellungnahme

Die Partei antwortete nicht auf Bitten um eine Stellungnahme. Zum Vorschein kam bei der Untersuchung auch eine Kultur der Straflosigkeit. BIRN kann nachweisen, dass die Antikorruptionsbehörden von der Staatsanwaltschaft die Einleitung von Strafverfahren im Zusammenhang mit mutmaßlichen illegalen Aktivitäten während des Wahlkampfs 2014 verlangt haben. Es wurde jedoch keine einzige Person angeklagt, was Zweifel an der Unabhängigkeit der serbischen Strafverfolgungsbehörden aufkommen lässt.

BIRN machte die Lehrerin und vier weitere Personen ausfindig, die zugaben, falsche Spender zu sein. Ihre Namen standen auf einer Liste, die auf der Webseite der Antikorruptionsbehörde ACA veröffentlicht wurde.

Serbische Parteien sind von Gesetzes wegen verpflichtet, mit dem Wahlkampf verbundene Geldflüsse, inklusive Spenden, bei jeder Wahl innerhalb von 30 Tagen zu melden. Die ACA veröffentlicht anschließend im Rahmen ihrer routinemäßigen Überprüfung der Wahlkampffinanzierung die Namen der Spender sowie die betreffenden Geldsummen.

Exakt die gleiche Summe

Aber diese Liste war beispiellos. Zum einen spendeten 98 Prozent der Einzelspender exakt die gleiche Summe an die Fortschrittspartei: 40.000 Dinar. Es waren so viele, dass die Behörde eine Woche benötigte, um die 6.789 Namen in ihre Online-Datenbank aufzunehmen.

Die Spenden an sich waren nicht rechtswidrig. Nach serbischem Recht können Einzelpersonen bis zum Zwanzigfachen ihres durchschnittlichen Monatsgehalts an politische Parteien spenden, was im März knapp 385 Euro ausmachte. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region gibt es in Serbien auch keine Obergrenze für die Höhe jener Mittel, die Parteien für ihren Wahlkampf beschaffen können.

Es handelt sich jedoch um einen Straftatbestand, der mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet wird, wenn versucht wird, die Herkunft von Spenden zu verschleiern.

Kriegskasse von 6,5 Millionen Euro

Viele Personen, die BIRN kontaktierte, wollten dazu keine Stellungnahme abgeben, fünf bestätigten jedoch unabhängig voneinander, dass sie von Parteifunktionären 40.000 Dinar erhalten hätten, um diese 2017 der Fortschrittspartei zu spenden.

Alle wollten anonym bleiben. Insgesamt trug das Heer an seltsamerweise gleichen Einzelspendern der Fortschrittspartei mehr als zwei Millionen Euro zum Wahlkampf von Vučić bei – mehr als ein Drittel seiner gesamten Kriegskasse von 6,5 Millionen Euro. Der Rest stammte im Sinne der Wahlordnung vorwiegend aus dem Staatsbudget.

Diese Art von Kaufkraft erlaubte es der Fortschrittspartei, Massenkundgebungen zu mobilisieren, das Land mit Werbeflächen zuzupflastern und Zeitungen mit Werbeanzeigen zu überfluten. Tatsächlich wandte die Partei 83 Prozent ihrer Wahlkampfmittel allein für Werbung auf – mehr als 5,3 Millionen Euro, mehr als die Gesamtausgaben aller anderen Kandidaten zusammen.

"Sauber wie eine Träne"

Schlussendlich gewann Vučić mit überwältigenden 55 Prozent der Stimmen eine Wahl, die laut Beobachtern von Stimmenkauf, Einschüchterung und Kontrolle der Medien getrübt war. Der zweitplatzierte Kandidat kam auf 16 Prozent.

Sein Sieg sei "sauber wie eine Träne", erklärte er den Journalisten. Vučić wurde im entscheidenden Jahr 2014 Ministerpräsident, als die Fortschrittspartei zum ersten Mal seit Miloševićs Amtsenthebung die absolute Mehrheit im Parlament errang. Vučić hatte nach der Wahl von 2012, als die Fortschrittspartei stärkste Kraft wurde, als Verteidigungsminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten fungiert.

Geldwäschevorwürfe hatten beide Wahlen getrübt. Auch bei anderen Parteien gab es dubiose Spender, darunter Unternehmen, die trotz Verlusten großzügig spendeten. Die Situation der Fortschrittspartei war jedoch beispiellos: Tausende Unterstützer hatten exakt die gleiche Summe gespendet.

Finanzielle Fingerabdrücke

Diese Summen wurden während des Wahlkampfs der Fortschrittspartei zu finanziellen Fingerabdrücken verdächtiger Aktivitäten. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2012 spendeten 98 Prozent der 2.300 Einzelpersonen jeweils 19.000 Dinar.

Bei späteren Wahlkämpfen betrug die bevorzugte Summe 40.000 Dinar. 2014 spendeten 95 Prozent von mehr als 2.800 Personen diese Summe; 2017 waren es 98 Prozent von knapp 7.000 Spendern.

Die Antikorruptionsbehörde ACA hat seit langem allen Grund, Spendern der Fortschrittspartei zu misstrauen. BIRN zeigte in seiner Untersuchung auf, dass die ACA infolge eines Hinweises eines separaten Staatsorgans – der für Finanzermittlungen zuständigen Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche – auch ernste Bedenken bezüglich des Wahlkampfs 2014 hatte.

Verdacht auf Geldwäsche

Vier Tage nach der Wahl erhielt die ACA Kenntnis von 135 Banktransaktionen, bei denen Personen 40.000 Dinar auf ihre Konten eingezahlt und den gleichen Betrag unverzüglich der Fortschrittspartei als Spende überwiesen hatten.

Beinahe drei Jahre später übermittelte die ACA im März 2017 einen Bericht an die Staatsanwaltschaft mit der Aufforderung, ein Strafverfahren im Zusammenhang mit den Transaktionen im Wert von etwa 46.000 Euro einzuleiten. Es bestand der Verdacht, dass die Spenden "aus illegalen Aktivitäten, darunter auch Geldwäsche", stammten, hieß es in dem Bericht, der exklusiv von BIRN eingesehen wurde.

Politische Einflussnahme?

Auf die Frage, warum man drei Jahre gebraucht habe, um der Staatsanwaltschaft einen Bericht über die Wahl von 2014 vorzulegen, gab Božo Drašković, ein ehemaliges Vorstandsmitglied der ACA, "politische Einflussnahme" als Grund an.

Nemanja Nenadić, Programmdirektor der Korruptionsaufsicht Transparency Serbia, sagte, dass die Staatsanwaltschaft die Pflicht habe, verdächtige Spenden zu überprüfen, um festzustellen, woher das Geld stammt. "Das ist noch nie passiert, und es gibt für die Staatsanwaltschaft keine plausible Entschuldigung dafür, es nicht zu tun", sagte er.

In Serbien werden Staatsanwälte von der Regierung nominiert und vom Parlament bestätigt, was bedeutet, dass ihre Wahl von der regierenden Mehrheit abhängt. Sie sind bis zu sechs Jahre im Amt und können beinahe unbegrenzt wiedergewählt werden.

Kein Grund, etwas zu bemängeln

Dieses in der Region einzigartige System sei ein "politischer Prozess par excellence", der der Behinderung der Justiz Tür und Tor öffnet, sagt Radovan Lazić, Präsident des Vorstands der serbischen Vereinigung der Staatsanwälte. "Wenn Staatsanwälte wissen, dass sie nach einer bestimmten Zeit von den Politikern wiedergewählt werden, haben sie keinen Grund, an diesen etwas zu bemängeln", sagt er. "Sie sind sogar sehr motiviert, keine Fehler zu finden, damit sie ein neues Mandat bekommen."

Laut dem letzten Global-Competitiveness-Index des Weltwirtschaftsforums befindet sich Serbien bei der Unabhängigkeit der Justiz auf Platz 118 von 137 Ländern, gleich hinter Bosnien, Mauretanien und Mosambik. Aus einer Analyse der Weltbank aus dem Jahr 2014 geht hervor, dass 25 Prozent der Richter und 33 Prozent der Staatsanwälte in Serbien der Meinung sind, das Justizsystem sei nicht unabhängig. (Vladimir Kostić aus Belgrad, 5.3.2018)