Die Syrerin und ihre vier Kinder wurden in die Familienschubhaft in der Wiener Zinnergasse gebracht.

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Oberwart/Wien – Bereits über 6.500 Menschen hatten bis Montagfrüh eine Petition gegen die Rückschiebung einer sechsköpfigen syrisch-kurdischen Familie unterschrieben, die dem Vernehmen nach Dienstagfrüh nach Bulgarien zurückgebracht werden soll.

Dort wurde dem Ehepaar und seinen vier Kindern zwar subsidiärer Schutz zuerkannt, doch nach traumatischen Erfahrungen – drei der Kinder, damals erst drei, vier und acht Jahre alt, waren mehrere Tag lang allein in einem Anhaltelager inhaftiert, der Achtjährige wurde dort offenbar schwer geschlagen und ist seither traumatisiert – wehren sie sich mit Händen und Füßen gegen eine Rückkehr in den südosteuropäischen EU-Staat.

Sozial gut verankert

Hinzu kommt, dass die Familie in Österreich sozial gut verankert ist. Ein Bruder der Ehefrau, der österreichischer Staatsbürger ist, unterstützt seine Schwester und die Ihren mit Rat und Tat sowie mit Geld, ebenso die gemeinsamen Eltern, die in Österreich Asyl haben.

Dennoch: Am Sonntag um sechs Uhr Früh kam Polizei in die Wohnung der Familie im burgenländischen Oberwart, um sie in die Schubhaft in der Wiener Zinnergasse zu bringen. Als der Ehemann das vernahm, zückte er ein Messer, um sich damit selbst Gewalt anzutun. Lieber wolle er sterben, als nach Bulgarien zurückzugehen. Polizisten entwanden ihm das Messer.

Beschwerde ohne aufschiebende Wirkung

Frau und Kinder wurden unterdessen in die Zinnergasse überstellt, der Vater später am Tag in eine psychiatrische Klinik gebracht. Laut dem Anwalt der Familie, Andreas Lepschi, könnten am Dienstag vorerst Frau und Kinder, der Mann hingegen später nach Bulgarien gebracht werden. Zwar liege dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) eine Beschwerde gegen die vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) für rechtmäßig befundene Rückschiebung vor, aufschiebende Wirkung habe das Höchstgericht jedoch nicht erteilt, sagte er dem STANDARD.

Komplex und vielschichtig ist der Hintergrund dieses Falles, der im sich zuspitzenden syrischen Bürgerkrieg im August 2014 beginnt – und einiges über Asyldefizite innerhalb der EU vermittelt. Um den Kampfhandlungen zu entgehen, floh die Frau mit drei Kindern – mit dem vierten war sie damals schwanger – aus Syrien in die Türkei. Von dort aus versuchte sie ein Visum für Bulgarien zu erhalten, wo ihr Ehemann bereits subsidiären Schutz hatte.

Kinder allein über die Grenze geschickt

Sie erhielt ein Visum, die Kinder hingegen nicht. Also beschloss das Paar, die Kinder allein von Schleppern über die Grenze bringen zu lassen. Die Schlepper wurden an der Grenze erwischt, die Kinder in besagtes Anhaltelager gebracht und den Eltern fünf Tage lang nicht zurückgegeben. In seinem jüngsten Bescheid lastet das Bundesverwaltungsgericht dies vor allem dem Vater und der Mutter wegen der Schlepperentscheidung – und weniger den zuständigen bulgarischen Behörden – an.

In Bulgarien wollte die Familie in der Folge nicht bleiben. Mit der großen Fluchtbewegung kamen Frau und Kinder über Serbien nach Österreich. Der Bruder der Frau erwartete sie an der Grenze und kümmerte sich um sie. Der Ehemann hingegen war in Serbien zurückgeblieben und unauffindbar. Für das BVwG war das damals eine klare Sache: Die Frau und ihre Kinder erhielten in Österreich Bleiberecht.

Vater kam nach, Rückschiebeentscheid folgte

Dann jedoch, im Jahr 2017, kam der Ehemann nach Österreich nach. Damit hatte es mit der Aufenthaltssicherheit von Frau und Kindern ein Ende, denn die Behörden rollten den Fall von Neuem auf. Sie befanden: Ohne Ehemann und Vater sei die Rückkehr von Frau und Kindern nach Bulgarien laut BVwG unzumutbar gewesen – zusammen mit ihm hingegen schon. Denn nun könne er "seiner Beistands- und Unterhaltsverpflichtung nachkommen".

Nicht entscheidungsrelevant bei alldem war die psychische Situation der Kinder. 2015, nach den fünf Tagen in bulgarischer Anhaltehaft, waren sie laut einer Eingabe "verdreckt, ausgehungert und stark durstig". Der damals Achtjährige, der offenbar geschlagen worden war, entwickelte in der Folge eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken und massiven Schlafstörungen.

Laut mehreren Kinderpsychologen und -psychiatern sollten den vier so wenige Belastungen wie möglich zugemutet werden. An den behördlichen Rückschiebeplänen haben diese Befunde nichts geändert. (Irene Brickner, 4.3.2018)